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Idylle im Sozialbau: Walter Gropius konzipierte das Neubaugebiet in Neukölln, das von 1962 bis 1975 gebaut wurde.

© Rolf Koehler/bpk

Wohnungsnot in der Hauptstadt: Warum es in Berlin plötzlich weniger Sozialwohnungen gibt

Mitten in der Wohnungsnot schrumpft in Berlin ausgerechnet das Angebot an Sozialwohnungen. Wie kam es dazu? Fragen und Antworten zum Thema.

Im Streit über den richtigen Kurs bei der Bekämpfung der Wohnungsnot hat Berlins Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) ihre Politik verteidigt. In einem Schreiben an die sechs landeseigenen Wohnungsunternehmen wies Lompscher deren Kritik zurück, dass es zu lange dauere, bis das Baurecht für Neubauten geändert und landeseigene Bauflächen für günstigen Wohnraum bereitgestellt würden.

Doch mindestens bis zum Jahr 2025 sinkt der Bestand öffentlich geförderter Sozialwohnungen. Das verschärft die Wohnungsnot. Mehr als 130.000 Wohnungen zu bezahlbaren Mieten für Berliner Durchschnittsverdiener fehlen Experten zufolge in der Stadt – und jetzt schrumpft außerdem das Angebot von Sozialwohnungen. Dies geht aus einem Bericht der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für das Berliner Abgeordnetenhaus hervor. Die Entwicklung lässt sich bis zum Jahr 2025 nicht aufhalten und verschärft die Wohnungsnot.

Was ist sozialer Wohnungsbau?

Ein Angebot an billigen Wohnungen für Menschen mit geringen Einkünften. Gebaut werden die so: Der Staat leiht Bauherren Baugeld und subventioniert diese Darlehen, indem er wenig Zinsen verlangt. Im Gegenzug für diese Finanzierung gehen die öffentlichen oder privaten Bauherren „soziale Bindungen“ ein. Diese verpflichten sie dazu, die Mieten niedrig zu halten. Außerdem darf das Land diese Sozialwohnungen mit Menschen „belegen“, die sonst auf dem Wohnungsmarkt leer ausgehen, weil die Transfereinkommen oder die Löhne aus Minijobs nicht ausreichen, um die ortsübliche Miete bezahlen zu können.

Die Lösung wäre so einfach: Jedes Mehrfamilienhaus wird verpflichtet in einem niedrigstelligen Prozentsatz an sozial Schwache zu vermieten. In diesem Fall könnte sich der Investor weiterhin an teuren Palastwohnungen bereichern und sozial Schwache könnten überall wohnen.

schreibt NutzerIn Ickehier

Wer darf in eine Sozialwohnung ziehen?

Jeder, der einen „Wohnberechtigungsschein“ besitzt. Den beantragen Berliner beim bezirklichen Wohnungsamt. Wer allein lebt, darf maximal 16800 Euro im Jahr verdienen, ein Paar 25200 Euro. Für jede weitere Person im Haushalt erhöht sich die Einkommensgrenze um 5740 Euro. Maßgeblich ist das Brutto-Einkommen, wobei davon noch Abzüge von bis zu 30 Prozent für Steuern und Sozialabgaben erlaubt sind und etwaige Freibeträge. Wegen der Wohnungsnot hatte der Senat die Einkommensgrenzen angehoben. Weil die Berliner so wenig verdienen, hat mehr als jeder Zweite Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein.

Warum schrumpfte der Bestand an Sozialwohnungen zuletzt so schnell?

Weil viele Hauseigentümer das Zinstief am Kapitalmarkt nutzen. Sie zahlen ihre staatlich geförderten Darlehen vorzeitig zurück und ersetzen diese durch gewöhnliche Kredite von Geschäftsbanken. Mit der Rückzahlung der Staatskredite endet die Förderung, damit entfallen auch die Bindungen. Die Sozialwohnungen sind damit schlagartig ganz normale Wohnungen, und die Hauseigentümer können diese zur ortsüblichen Vergleichsmiete anbieten. Wegen der Wohnungsnot ist das verlockend, weil sie bei einer Neuvermietung ohne Investitionsaufwand mehr Miete einnehmen. Außerdem können die Eigentümer ihre Häuser sanieren und dürfen elf Prozent der Baukosten auf die Mieten aufschlagen, diese Umlage ist bei Sozialwohnungen nicht zulässig.

Was unternimmt der Senat gegen das schrumpfende Angebot an Sozialwohnungen?

Er arbeitet an einem neuen Wohnungsgesetz, wie die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf Anfrage mitteilte. Demnach sehen die Pläne neue Vergünstigungen für die Besitzer von Sozialbauten vor, damit diese nicht vorzeitig aus den Förderverträgen und den Bindungen aussteigen. Eine Idee ist, dass auch die landeseigene Investitionsbank Berlin den Eigentümern von Sozialbauten eine Umschuldung älterer und teurerer Staatskredite auf die aktuellen Minizinsen anbietet.

Wie kam es zum Abbau des Bestandes günstiger Wohnungen – und warum reagiert der Senat erst jetzt?

Frühere Koalitionen haben viel zu lange die Wohnungsnot geleugnet, besonders hartnäckig die vor sechs Jahren ausgeschiedene Bausenatorin Ingeborg Junge- Reyer (SPD). Schuld daran war die Sparpolitik, die das Land Berlin nach der Bankenaffäre einschlagen musste. „Sparen, bis es knirscht“, hatte der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gefordert, und die Verdrängung von Mietern aus der Innenstadt tat er mit dem Bonmot ab: „Niemand hat ein Anrecht auf eine Wohnung in der Innenstadt.“ Wowereits Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) beschleunigte den Raubbau am Bestand öffentlicher Wohnungen, indem er die landeseigene Gesellschaft GSW mit mehr als 100.000 günstigen Wohnungen an einen Finanzinvestor verkaufte. Außerdem versagte er Sozialwohnungen die Anschlussförderung. Dadurch verloren zehntausende Wohnungen die soziale Bindung. Ex-Bausenatorin Junge-Reyer beschleunigte diesen Prozess noch, indem sie 2011 ein Gesetz erließ, wonach die Bindungen von Sozialbauten wegfielen, sobald diese beim Verkauf den Eigentümer wechselten.

Wie und warum entstand der soziale Wohnungsbau überhaupt?

Genau datieren lässt sich das nicht. Aber der Kampf um Wohnraum kam auf mit der Industrialisierung und dem massenhaften Zuzug von Menschen in die Städte. In Berlin entstanden in dieser Zeit Arbeiterquartiere in dicht bebauten Blöcken mit mehr als sechs Hinterhöfen, und es gab sogar 100.000 Kellerwohnungen. Zeitchronist Heinrich Zille sagte dazu: Mit einer „Wohnung kann man Menschen töten wie mit einer Axt“. Mietstreiks und Krawalle wegen Zwangsräumungen gab es bereits in der Kaiserzeit. Erst nach der Novemberrevolution reagierte der Staat mit dem Bau der Hufeisensiedlung in Britz oder der Wohnstadt Carl Legien in Prenzlauer Berg, die als frühe Beispiele des sozialen Wohnungsbaus gelten. Die heutigen Sozialbauten sind Ergebnis einer nach dem Krieg entwickelten staatlichen Förder- und Subventionspolitik.

Hilft der Bund den Ländern nicht im Kampf gegen die Wohnungsnot?

Doch, er überwies in diesem Jahr sogar mehr als vorgesehen für den sozialen Wohnungsbau: 1,5 Milliarden Euro. Und er beteiligt sich seit Jahrzehnten an dieser Aufgabe. Der eigentliche Skandal besteht darin, dass viele Länder die Millionen nicht in den öffentlichen Wohnungsbau investierten, sondern zur Tilgung von Schulden im Haushalt einsetzten. Das Land Berlin hielt diese „Zweckentfremdung“ besonders lange durch. Erst vor drei Jahren kam die – viel zu späte – Einsicht und eine Neuauflage des Programms für den sozialen Wohnungsbau.

Welche Rolle spielen Kapital- und Immobilienmarkt in der Wohnungskrise?

Eine entscheidende, weil Anleger Berlin als Markt Nummer eins für Spekulationen mit Wohnraum führen. In keiner anderen europäischen Metropole ist der Unterschied so groß zwischen den (niedrigeren) Mieten im Bestand und den (hohen) Mieten für neu vergebene Wohnungen. Deshalb jagen Privatinvestoren und Kapitalgesellschaften Wohnhäusern nach, kaufen sie und versuchen durch Mieterhöhungen, Sanierungen und Neuvermietungen das Niveau kräftig anzuheben. Höhere Mieten sind der Spekulationsgewinn.

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