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Hinter Gittern. Fußballkäfige findet man fast überall in Berlins City.

© picture alliance /dpa/Carstensen

Wohnungen statt Fußballkäfige: Macht Platz, ihr Bolzen!

Tagsüber ist nichts los, abends scheppern Fußbälle gegen die Gitterstäbe. Sport ist in Berlin wichtiger als das Recht auf Wohnen. Das kann nicht sein. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Björn Seeling

Als fußballferner Mensch in einer fußballverrückten Mehrheitsgesellschaft ist das Leben geprägt von Ausgrenzung. Ständig prallt man beim Weg durch Berlin gegen Zäune, hinter denen sich üppige Flächen befinden, auf denen Fußball oder eine andere Mannschaftssportart gespielt wird. Angeblich. Denn die meiste Zeit am Tag sind die Areale menschenleer. Nur abends beginnt die Rennerei, allerdings auch nicht täglich. Aber wenn, dann gern unter Einsatz von grellem Flutlicht, das vermutlich die Kochnische auf der ISS-Raumstation gleich mit ausleuchtet.

Die weniger luxuriöse Variante dieser Menschengatter findet sich in Bolzplatz-Käfigform direkt vor der Haustür. Ohne Beleuchtung zwar, aber trotzdem abgezirkelt mit Zäunen, die Donald Trump bestimmt gern an der Grenze zu Mexiko hätte. Mal abgesehen von lauen Sommerabenden oder grauen Sonntagvormittagen, an denen moppelige Männer mittleren Alters mit großem Hallo und lautem Scheppern ihre PVC-Bälle hin- und herdreschen, ist es auch hier tagsüber still.

Berlin braucht jetzt neue hoch verdichtete Stadtteilquartiere [...] in geschlossener Bauweise mit Blockrandbebauung durchgehend sechsgeschossig. Dann muss man auch nicht anfangen die letzten Sport- und Grünflächen in Frage zu stellen.

schreibt NutzerIn Mercury

Die meisten Flächen in der Innenstadt sind bereits zugemörtelt

Dabei könnte man so viele nützliche Dinge mit den Flächen anfangen, die meist nicht nur mitten in Wohngebieten liegen, sondern auch gut an öffentliche Verkehrsmittel angebunden sind. Nein, nicht die x-te Rutsch- und Buddelhölle errichten, sondern – Wohnungen bauen. Berlin braucht bekanntlich welche, aber die meisten Flächen in der Innenstadt sind bereits zugemörtelt. Im Augenblick scheint das Recht auf Fußball-, Basketball- oder Hockeyspielen allerdings wichtiger zu sein als das Recht auf Wohnen.

Als die Berliner vor hundert Jahren noch wenige Möglichkeiten hatten, sich irgendwie sportlich zu betätigen, mögen Bolzplätze in der Stadt der Mietskasernen noch ihre Berechtigung gehabt haben. Ebenso galt das für die Zeit, als West-Berlin durch die Mauer vom Umland abgeschnitten war. Aber heute müsste doch jedem klar sein, dass solche flächenfressenden Areale einfach unsportlich sind – gegenüber jedem, der dringend eine Wohnung sucht.
Statt sich die verhältnismäßig selten genutzten – und oft durch Vereinsmeierei der Allgemeinheit vorenthaltenen – Flächen anzugucken, richten sich die Blicke des Senats beim Wohnungsbau eher in Richtung Stadtrand. Dort entstehen schlimmstenfalls Satellitenstädte wie unter Honecker, aus denen sich schlimmstenfalls tagtäglich Karawanen von Bewohnern auf den Weg in die Innenstadt und zurück machen müssen. Das wäre, bei aller Liebe zum Sport, doch einfach irre.

Platz ist woanders - außerhalb der Innenstadt

Klüger wäre es, für ihn dort Platz zu schaffen, wo ausreichend Fläche vorhanden ist – außerhalb der Innenstadt. Dafür kann man in der City Häuser bauen, und Infrastruktur muss nicht erst aufwendig angelegt werden. Nebenvorteil: In weniger dicht besiedelten Gebieten müssen sich weniger Menschen zwangsweise von der lautstarken Begeisterung anstecken lassen, die das Hobby-Kicken im Käfig zum Lärmproblem macht. Wer jetzt argumentiert, besonders für die lieben Kleinen wäre Sport jwd unzumutbar, der sei an den Aufwand erinnert, mit dem Eltern ihren Nachwuchs auf genehme Schulen lotsen.

Zugegeben: In der City gibt es vergleichsweise wenige Sportflächen. Der Senat sieht besonders Friedrichshain-Kreuzberg und Mitte unterversorgt. Die Ausstattung mit „ungedeckten Sportanlagen“ – so heißen Freiluftstätten für Leibesübungen im Verwaltungsdeutsch – liegt dort zu 51 beziehungsweise 33 Prozent unter dem „Orientierungswert“ für Berlin. Diesen hat der Senat wiederum bei genau 1,47 Quadratmeter je Einwohner festgelegt, wobei die Deutsche Olympische Gesellschaft sogar 2,5 Quadratmeter empfiehlt. Allerdings scheinen diese Werte aus der Luft gegriffen, denn praxistaugliche Berechnungen für den Bedarf an Sportflächen gibt es bislang nicht, wie der Senat selbst eingesteht.

Wenn Statistik das Problem nicht löst, dann hilft vielleicht Statik: Warum überdacht man nicht die zahllosen Supermarkt-Flachbauten mit einem Deck, auf dem dann der Kunstrasen grünt? Und wenn das Berlin zu hoch ist (oder zu teuer): Auch der eine oder Parkplatz ergäbe einen tollen Bolzplatz.

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