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Berlin: Wilder Westen

Eine Ausstellung zeigt Fotos aus einer verschwundenen Welt: dem Kreuzberg der 70er und 80er Jahre.

Von David Ensikat

Es gibt nicht viele Bilder in dieser Ausstellung, die zeigen, dass es sich bei Kreuzberg um West-Berlin handelte, um einen Teil der westlichen Wohlstands-Hemisphäre. Das plakativste unter ihnen gehört streng genommen gar nicht hierher, denn es entstand neun Tage nach dem Mauerfall. Aber mit dem Mauerfall und also mit dem Ende des alten abgeschotteten Kreuzbergs endet eigentlich die Bildauswahl. Hier, auf diesem Ausnahmebild, welches dem Betrachter zuruft: Kreuzberg ist Westen! – sind ein paar Ost-Berliner zu sehen. Vor ihnen: ein großer Haufen Bananen, ein Obststand am Schlesischen Tor, aufgenommen am 18. November 1989.

Wie könnte man besser das Ende dieser erstaunlichen Enklave illustrieren: Die Ostler kommen. Das Geschäft beginnt. Dass Kreuzberg, jedenfalls auf den meisten der ausgestellten Fotos, aussieht wie Ost-Berlin, liegt nicht nur daran, dass es nur Schwarz-Weiß-Aufnahmen sind. Der Stadtteil mag, jedenfalls in den Achtzigern schon so etwas wie ein „Szenebezirk“ gewesen sein, aber die „Szene“ war noch sehr überschaubar. Der Rest war Alt-Berlin. Von der Gentrifizierung, die auf die Szene folgt, war noch nichts zu sehen, die Häuser waren grau, Kinder spielten auf den Straßen, es gab jede Menge freien Parkraum. Und die Mauer stand da; auf vielen Bildern sehen wir sie. Reisefreiheit hin oder her, Kreuzberg war definitiv ummauerter als etwa Prenzlauer Berg.

„Stillstand und Bewegung. Menschen in Kreuzberg. Fotografien aus den 70ern und 80ern“, so heißt die Fotoausstellung. Gezeigt an einem Ort, an dem der Wandel zum schicken In-Bezirk sehr deutlich zu sehen ist, in der Marheineke-Halle. Die Galerie befindet sich im ersten Stock: Wer nicht auf die Bilder guckt, schaut herunter auf Feinkoststände, an denen es so was Profanes wie Bananen gar nicht gibt.

Natürlich gibt es die Bilder von den 1.-Mai-Krawallen, Steinewerfer, brennende Autos, die ganze Folklore eben. Interessanter sind die Alltagsaufnahmen, Kinder, die über ein Autowrack springen, eine dicke Frau in Unterwäsche, die nach einem Platzregen am Fraenkelufer Fahrrad fährt, Asphaltierungsarbeiten in der Oranienstraße, die Bewohner des Hauses Sorauer Straße 13. Eine verschwundene Welt, die auf diesen überaus schönen Fotos gar nicht schön aussieht.

Die Welt in einem aufgeräumten Zustand zeigen – man könnte das als eine Grundqualifikation guter Fotografie bezeichnen. Die meisten dieser Bilder tun das sehr gekonnt, und geben dennoch gar nicht vor, es handele sich bei ihrem Sujet um etwas Ordentliches, Aufgeräumtes. Es ist etwas sehr fernes.

„Stillstand und Bewegung“, The Browse Gallery in der Marheinekehalle, Marheineke-Platz 15, Kreuzberg, noch bis zum 1. Dezember, Mo-Fr 8-20 Uhr, Sa 8-18 Uhr.

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