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Berlin: Werner Schwartz (Geb. 1918)

Was er nicht alles war: Komtur, Lehrling, Meister, Vertrauter der Vollendung

Von David Ensikat

Er kam aus gutem Haus, aber das nutzte ihm nicht viel. Der Vater Professor, die Mutter Pastorentochter – selbstverständlich wäre so einer an die Universität gegangen, hätte studiert, wäre womöglich wie der Vater Wissenschaftler geworden. Aber als er sein Abitur gemacht hatte, schickten sich die Deutschen an, die Welt zu erobern. Für Werner Schwartz bedeutete das: ein Jahr Reichsarbeitsdienst, sechs Jahre Krieg, vier Jahre Gefangenschaft.

Er war 31, als er heimkehrte, und konnte sich glücklich schätzen, das alles überlebt zu haben. Da es galt, weiter zu überleben, blieb für ehrgeizige Pläne, ein wissenschaftliches Studium etwa, keine Zeit. Er musste etwas werden, und zwar schnell. Schnell konnte man in jenen Jahren Lehrer werden, Berufsschullehrer. Er begann damit sofort und lernte, während er lehrte, nebenbei, was er zu lehren hatte. Er legte seine Staatsprüfungen ab, bildete sich fort, um Berufsschüler in Verpackungswesen, Aluminium- und Holzverarbeitung zu unterweisen, wurde Gewerbeoberlehrer und Oberstudiendirektor, leitete acht Jahre lang die Allgemeine Berufsschule Neukölln. Eine Beamtenlaufbahn, die nach 31 Jahren in die Pensionierung „aus Altersgründen“ mündete. Merkwürdig, Werner Schwartz war doch erst 62.

Selbstverständlich konnte er einiges vorweisen, nicht zuletzt die 400 Rebstöcke im Garten der Britzer Berufsschule: der nördlichste Weinanbau mit Erzeugerabfüllung in Deutschland. Werner Schwartz hatte in den frühen Siebzigern die Tradition der Weinfahrten begründet, der interessierte Teil seines Lehrerkollegiums besuchte mitteleuropäische Anbaugebiete, besichtigte tagsüber Museen und Weingüter und genoss am Abend die Erzeugnisse der Region. Das Alibi war einleuchtend: „Wein ist Kulturgut!“ In einer besonders angeregten Runde in der Pfalz entstand die Idee von der „Komturei Berlin“, einer Untergliederung der „Weinbruderschaft der Pfalz“. Pfälzer spendeten die Weinstöcke, Berliner Berufsschüler pflanzten sie ein, Werner Schwartz war der Komtur, der Weinbauernvorsitzende von Rixdorf gewissermaßen. Das blieb er selbstverständlich nach seiner Pensionierung – aber das konnte doch nicht alles sein!

Ein Lehrer seiner ehemaligen Schule war Mitglied einer Freimaurerloge, im Jahr 1983 kamen die beiden darauf zu sprechen. Werner Schwartz war sehr interessiert: ein Männerbund, der sich edlen Motiven verschrieben hat, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, in dem es gesellig und gebildet zuging, versehen mit geheimen Riten und dem Gefühl wohliger Exklusivität.

Ein Jahr lang besuchte er die geselligen Abende der „Johannisloge Ring der Ewigkeit“, erwies sich als „Mann von gutem Rufe“ – Voraussetzung für die Aufnahme in den Bund – und wurde mit dem Initiationsritual zum Freimaurer-„Lehrling“. Er war jetzt 66 Jahre alt.

Und durfte endlich auch in den „Tempel“ des Freimaurerhauses an der Heerstraße, einen großen ausgeschmückten Raum, in dem die sogenannten „Arbeiten“ stattfinden, kontemplative Rituale nach 200 Jahre alten Regeln, über welche die Mitglieder der Öffentlichkeit keine Auskunft geben dürfen.

Werner Schwartz war einer der eifrigsten „Lehrlinge“, die die Johannisloge je hatte, mit der Geschichte der Freimaurerei hatte er endlich ein Gebiet gefunden, auf welchem er forschen konnte. Diese quasi wissenschaftliche Beschäftigung war es, so sagte er, die ihm gefehlt habe in seinen Beamtenjahren. Jetzt hatte er viel Zeit dafür. Als erstes schrieb er ein kleines Buch über Friedrich den Großen. Auf dessen Geheiß war vor 271 Jahren die „Große National-Mutterloge Zu den drei Weltkugeln“ gegründet worden, eine Art Dachverband, dem auch die Johannisloge angehört; Eilige kürzen ihn mit „GNML 3WK“ ab.

Nach zwei Jahren erlangte Werner Schwartz den Rang des „Meisters“, er führte die Protokolle, wurde von den offenbar recht titelliebenden Brüdern zum „Großarchivar“ ernannt, erklomm die höchsten freimaurerischen „Erkenntnisstufen“, um schließlich noch den hübschen Titel des „Vertrauten der Vollendung“ tragen zu dürfen.

Bei den Treffen der Loge, zu denen auch Frauen zugelassen sind, war seine Frau Erika dabei – nur die Tempelrituale sind allein den Männern vorbehalten. Von den „Brüdern“ wurde sie „Schwester“ genannt. Werner Schwartz kannte sie, seit die beiden im Buddelkasten gespielt hatten. Als sie im Jahr 1996 starb, war das für ihn ein schwerer Schlag. Den er mit unermüdlicher Forscherarbeit auszugleichen suchte. Jeden Mittwoch fuhr er ins Lichterfelder Staatsarchiv, um dort die Akten der Freimaurer auszuwerten. Der „Versuch einer Standortbestimmung“ über die Geschichte der „Mutterloge“ im 20. Jahrhundert, drei Bände, 1452 Seiten, war das Ergebnis.

Im Alter von 96 Jahren ist Werner Schwartz nun gestorben. Dutzende Brüder und Schwestern kamen zu seiner Beerdigung, lauter Mitglieder, sei es der Freimaurer oder der Weinbruderschaft.

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