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Einheitsbier. Früher waren die Braumeister der Stadt als Experten in aller Welt gefragt. Heute wird Berlin dominiert von jenen Getränken, die Steinhausen "Fernsehbiere" nennt, uniform im Geschmack.

© dpa

Welttag des Bieres: Reise durch die Berliner Brautradition

Bier ist ein emotionales Thema, sagt der Harald Steinhausen. Und der muss es ja wissen: Er organisiert Touren durch die Biergeschichte der Stadt. Den Großbrauereien zum Trotz wird in Berlin inzwischen vor allem selbst gebraut.

Einige behaupten schon, Bier sei der neue Wein. Das mag ein wenig übertrieben sein, aber die Zeichen mehren sich. Denn der Überdruss am standardisierten Industrie-Bier hat längst viele Fans zum tätigen Protest getrieben. Und der besteht meist darin, sich nach ausländischem Vorbild das Lieblingsgetränk selbst zu brauen. Berlin, die traditionelle Bierstadt, ist zum Schauplatz einer kleinen Gründerwelle geworden: Mehrere neue Klein- und Kleinst-Brauereien wie Schoppe, Heidenpeter und die Brauerei am Rollberg demonstrieren, wie gut Bier schmecken kann – eine Steilvorlage für den heutigen Tag des Biers.

Einer, der sich in diesem Thema auskennt, ist Harald Steinhausen. Mit der Akribie des gelernten Politikwissenschaftlers hat sich der 48-Jährige, der aus der Eifel stammt, in 20 Jahren in die Berliner Biergeschichte eingearbeitet, gibt einschlägige Stadtführungen und darf nun als uneingeschränkte Autorität auf diesem Gebiet gelten. Überschäumend! „Bier ist ein emotionales Thema“, sagt Steinhausen zur Begründung für seinen Enthusiasmus, „das hat viel mit Feiern zu tun und mit regionaler Identität“.

In flinkem Tempo gibt er einen Überblick über den Mühlenberg, der später zum Prenzlauer Berg wurde – und zum Zentrum von Brauereien und Biergärten. Hier wurden Namen groß, die zum Teil heute noch nachklingen, Pfeffer auf dem Pfefferberg, Bötzow, Königstadt, Groterjan. Der Pratergarten in der Kastanienallee entstand, der heute älteste Biergarten der Stadt – 19 Brauereien insgesamt löschten den Durst der Berliner in dieser Gegend. Und die Braumeister der Stadt waren als Experten in aller Welt gefragt, trugen ihr Handwerk bis nach Japan. Heute wird die Bierstadt Berlin dagegen dominiert von jenen Getränken, die Steinhausen „Fernsehbiere“ nennt, uniform im Geschmack und Aroma, gebraut gewissermaßen am Fließband der Großkonzerne.

Eine Weile schien es, als könne die Welle der Gasthausbrauereien ein Gegengewicht bilden, doch die sind ganz überwiegend wieder abmontiert, Randnotiz der Biergeschichte, in der jetzt mit den aus der Ferne herüberdringenden Mikrobrauereien ein neues Kapitel aufgeschlagen wird.

Aber Moment mal: Harald Steinhausen weiß natürlich genau, dass zwar nicht in Berlin, aber doch in anderen Gegenden Deutschlands noch traditionsreiche, unabhängige, mittelständische Betriebe existieren. Dort ist eine junge Generation von Brauern angetreten, die ihr Selbstverständnis und ihren Ehrgeiz von den erfolgreichen Winzern beziehen. Sie bilden Bier-Sommeliers aus, beteiligen sich an Wettbewerben und suchen internationalen Austausch.

Steinhausen hat ihnen eine Idee gewidmet, die demnächst die touristischen Zentren Berlins erobern soll: die „Braumeister Selektion“, ausgesucht von der Spezialistin Sylvia Kopp. Ein Sixpack in blau-roter Retro- Pappe, aber was für eins: Sechs deutsche Biere bester Qualität, stellvertretend für jeweils einen Stil: Alpirsbacher Pils, Schönramer Saphir-Bock, Riegele Keller-Bier, „Brocardus“ von Karmeliten, Meckatzer Weiß-Gold, Störtebecker Schwarzbier – bis auf Riegele allesamt untergärig.

Denn, so analysiert Steinhausen: Die untergärigen Biere hatten einst, aus Bayern kommend, die alten obergärigen Biere in Berlin verdrängt. „Die obergärigen machen müde und träge“, sagt er, „aber die untergärigen wach und kampflustig.“ Die Folge: Revolutionäres Gedankengut breitete sich aus, die bürgerliche Gesellschaft begehrte gegen die Monarchie auf.

Aufbegehren wird die „Braumeister Selektion“ nicht mehr befördern. Aber sie kann nach Ansicht von Steinhausen und seinen Mitstreitern im Verein „Braumeister“ zu einem charaktervollen, typisch deutschen Souvenir werden und die Idee vom guten deutschen Bier wieder in die Welt tragen. Die Vorbereitungen laufen. Bislang ist der Sechser nur per Internet zu haben, unter www.braumeister-selektion.de. Dort kann man auch Kontakt zu Steinhausen aufnehmen und Bier-Stadtführungen anfragen.

Kleine Berliner Bierkunde: Die kleinen Brauereien kommen

Von mehr als hundert Brauereien, die im 19. Jahrhundert in Berlin gegründet wurden, ist nur eine große übrig geblieben: Die Berliner-Kindl-Schultheiss- Brauerei in Alt-Hohenschönhausen, wo heute Berliner Kindl, Berliner Pilsner und Schultheiss gebraut werden. Und selbst diese letzte Berliner Großbrauerei ist inzwischen nicht mehr eigenständig: Seit 2004 gehört sie zur Radeberger-Gruppe, die auch Traditionsmarken wie das Charlottenburger Engelhardt und das Köpenicker Bürgerbräu übernommen hat.

Wer keine Lust auf Einheitsbier hat, kann seinen Durst in einem der gut 15 kleinen Brauhäuser stillen, die ausschließlich für den Eigenbedarf produzieren und über ganz Berlin verteilt sind. Darunter die Brauhäuser in Mitte, Spandau, Bohnsdorf oder am Südstern, den Mikrobrauereien Hops & Barley in Friedrichshain oder Brewbaker in Moabit. Laut der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe des Amtes für Statistik Berlin-Brandenburg gibt ein Berliner Haushalt im Durchschnitt 7,60 Euro pro Monat für Bier aus, der monatliche Bierkonsum beträgt pro Haushalt 6,8 Liter. Angesichts der zahllosen, allabendlich gut gefüllten Berliner Kneipen scheinen diese Zahlen recht niedrig. Vielleicht liegt’s daran, dass die Angaben auf einer Selbsteinschätzung der Haushalte beruhen.

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