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Peter Griebel sorgt dafür, dass es den Gästen von Frank Zander schmeckt. Eine logistische Meisterleistung.

© Mike Wolff

Weihnachtsfeier für Obdachlose: Frank Zander und sein Spitzenkoch

650 Kilo Rotkraut, 7000 Klöße, 3000 Gänsekeulen - und viele hungrige Menschen. Die Fäden zieht an diesem Abend Peter Griebel, Küchendirektor des Estrel.

Das größte Fest des Jahres findet diesmal fünf Tage vor Weihnachten statt: An diesem Dienstag werden im Hotel Estrel in Neukölln wieder die Augen von Menschen leuchten, die sonst wenig zu lachen haben. Beim mehrstündigen Showprogramm wird zum ersten Mal auch Geiger David Garrett auftreten, bevor als Finale Gastgeber Frank Zander den Laden rockt.

Und der Gänsebraten soll so hervorragend sein wie immer. Dafür steht Peter Griebel, Küchendirektor von Deutschlands größtem Hotel. „Einen Zauberer“ hat ihn Marcus Zander einmal genannt. Der muss es wissen: Als Sohn des Künstlers mit dem großen Herz managt er dessen Plattenfirma Zett Records, deren Hauptbeschäftigung seit Spätsommer die Vorbereitung des Obdachlosenfests ist.

Kochen für die Queen? Logistische Kinkerlitzchen!

Das diesjährige ist das 23. insgesamt und das 20. im Estrel, dessen Ressourcen Eigentümer Ekkehard Streletzki kostenfrei zur Verfügung stellt. Es ist der schönste Tag des Jahres für viele Gäste; vielleicht der einzige schöne für manche. Für Peter Griebel ist es „ein streng organisierter Aufmarsch“. An diesem Tag muss er seine Strenge aber ein wenig zügeln, um die freiwilligen Helfer nicht zu verschrecken. Jene Leute, „die ich Köche nenne. Die wollen doch hinterher nicht sagen, dass sie Küchenhelfer waren, sondern: ’Ich war Koch bei Frank Zander.’“

Ein Abend als Oberkellner. Frank Zanders Weihnachtsessen für Obdachlose findet 2017 zum 23. Mal statt.
Ein Abend als Oberkellner. Frank Zanders Weihnachtsessen für Obdachlose findet 2017 zum 23. Mal statt.

© Jens Kalaene/dpa

Peter Griebel, 57, guckt vergnügt durch seine Brille überm Wilhelm-Zwo-Schnauzbart. Das rollende „R“ verrät seine fränkische Herkunft. Bevor er 1995 ins damals neue Estrel kam, hat er in Fünfsternehotels in Deutschland und Übersee gekocht; auch schon für die Queen, Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl.

Logistisch waren das allerdings keine großen Nummern im Vergleich zum Obdachlosenfest: Wie bekommt man Gänsekeulen mit Klößen und Rotkohl samt Soße ofenfrisch und unfallfrei zu 3000 ernsthaft hungrigen Menschen, die teils seit dem Morgen auf dieses Mahl warten?

[Eine Familie aus Berlin-Kladow lädt 35 Obdachlose zu einem Weihnachtessen an der Havel ein. Sogar ein Luxushotel macht mir. Lesen Sie die Geschichte hier im Spandau-Newsletter vom Tagesspiegel. Den gibt es in voller Länge und kostenlos unter leute.tagesspiegel.de]

Griebel erklärt den Ablauf, der am Freitag mit der Lieferung der Gänsekeulen begann und am Dienstagabend mit dem Essen für die teils prominenten Helfer endet. Das Fleisch bestelle er immer schon im Juli, erzählt Griebel. Er muss früh dran sein, zumal er möglichst große Keulen will von Tieren, denen Zertifikate ein halbwegs erträgliches Leben bescheinigen.

Hightech-Dampfgeräte mit Gänsegarprogramm

Griebel zeigt die mannshohen Öfen in einer der 17 Hotelküchen. 120 Keulen passen in jeden Ofen – Hightech-Dampfgeräte mit Gänsegarprogramm, teuer wie Kleinwagen. Das Estrel hat inzwischen genug, dass sie mit zwei statt früher drei Chargen hinkommen.

Knapp drei Stunden werden die übers Wochenende allmählich aufgetauten, am Montag marinierten Keulen gegart; die ersten etwas kürzer, weil sie ja anschließend heiß gehalten werden, bis es losgeht. Heiß, aber nicht zu feucht, damit sie knusprig bleiben. Aber auch nicht zu trocken, denn Fleisch totgaren kann jeder.

Parallel lässt Griebel den Rotkohl präparieren: 650 Kilo, die zwar fertig in Zehn-Kilo-Kisten angeliefert wurden, aber von Griebel und seinen 30 fest angestellten Köchen noch mit Apfel und Zwiebel aufgepeppt werden. „Rotkohl geht nur im Kessel“, sagt Griebel. „Im Topf würde der anbrennen.“ Es sei denn, man würde ihn ständig rühren, was ihn allerdings zermatschen würde und bei der im Estrel üblichen Topfgröße mit Menschenkraft ohnehin nicht machbar wäre.

Töpfe brauchen sie trotzdem jede Menge – für die Klöße. 7000 Stück, per Kelle aus der Masse geformt. Die wollen in 2000 Liter Wasser erhitzt sein. Ein Dutzend Badewannen! „Ja, aber Badewannen kriegen Sie nicht so heiß“, sagt Griebel.

Eckige oder wenigstens halbrunde Klöße wären besser

Fürs Obdachlosenfest wären eckige oder wenigstens halbrunde Klöße eigentlich besser geeignet, weil viele Servierkräfte zwar prominent, aber ungeübt sind. Rollende Zutaten erhöhen die Unfallgefahr. Dünne Soße ebenso, weshalb Griebel die 250 Liter an diesem Tag etwas dicker machen lässt als sonst. „Bei der Soße quäle ich die Jungs immer“, sagt Griebel: Zwiebeln und Äpfel vom Gänsebraten müssen rein, aber nicht das Fett.

Der Braten wird mit einer Mischung gewürzt, die sie hier „Gänseknuspri“ nennen und vor Jahren einfach mal für gut befunden haben. Dazu kommen Salz und Pfeffer, Beifuß und Orangenstücke.

Die weiß gefliesten Wände der Hotelküchen sind regelrecht tapeziert mit den Regieanweisungen für die Veranstaltungen der nächsten Tage. 500 Gäste auf einmal haben sie praktisch täglich zu verköstigen, Veranstaltungen mit mehr als 3000 sind selten. Ein Buffet wäre einfacher zu organisieren, sagt Griebel. Oder Schweinebraten. Oder … – eigentlich fast alles. Aber Frank Zander lädt nun mal zum Gänseessen.

Damit die Gans zum Esser kommt, werden an den Zugängen zum großen Festsaal sieben doppelreihige Ausgabelinien installiert: Heißer Teller – Keule – zwei Klöße – Rotkohl – Soße aus dem Trichter. Und ein Klecks Semmelbrösel in Butter auf jeden Kloß, „denn es soll ja nicht nach Massenabfertigung aussehen“.

Die Leute an den Ausgabestrecken werden vorab klar instruiert und mit Aufklebern versehen, um garantiert zur rechten Zeit am richtigen Ort zu sein: Eine Lücke in der Kette brächte alles ins Stocken.

Nach 20 Jahren Obdachlosenfests ist die Logistik ausgereift

Griebel schätzt Frank Zanders Gäste für ihre Pünktlichkeit. Nach 20 Jahren hält er die Logistik für ausgereift. Er weiß nun, dass beispielsweise mehr Abstellfläche gebraucht wird als sonst, weil das Servicepersonal – Menschen wie Michael Müller, Heinz Buschkowsky und Gregor Gysi – nicht gleichzeitig drei abgeräumte Teller unfallfrei halten und von einem vierten die Knochen schütten kann.

Was tut Peter Griebel, um sich von Tagen wie diesem zu erholen? Er kocht. Zu Hause, für Familie und Freunde, ohne Zeitdruck. Wenn nur die Garräume nicht immer so funzlig beleuchtet wären! „Es ist doch schöner als Fernsehen, in einen Ofen zu gucken!“

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