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In Reih’ und Glied. Ältere Männer, denen man ansieht, dass sie das Marschieren gelernt haben, legen am 9. Mai 2013 einen Kranz nieder am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park.

© imago stock&people

Wegen Aufmarsch vorm Sowjetischen Ehrenmal: Verfahren gegen Träger von NVA-Uniformen eingestellt

In Uniformen der Nationalen Volksarmee gedenken Männer der „Befreiung vom Hitler-Faschismus“. Dafür kommen sie nun vor Gericht. Ein Ortstermin.

Herr Fischer ist ein bisschen früh dran. Egal, wenn dieser Gorbatschow mit einer Sache recht hatte, dann mit der Einsicht, dass es das Leben nicht gut meint mit denen, die zu spät kommen. Rechtzeitiges Erscheinen sichert am Dienstag allemal einen guten Platz im Amtsgericht Tiergarten. Hans Fischer war mal Mathematik-Professor, „aber nur bis 1990, auch die Wissenschaftler wurden nicht in die Bundesrepublik aufgenommen, mal abgesehen von der Bundeskanzlerin, die war ja Physikerin, offenbar eine sehr gute“.

An diesem Morgen will Herr Fischer nicht über Mathematik reden, sondern über Uniformen. Er hat früher selbst eine getragen als Fregattenkapitän der Volksmarine, aber das liegt schon ein Weilchen zurück, „ich bin Jahrgang 1936“. Er ist auch nicht als Angeklagter gekommen, sondern im Zeichen der Solidarität. Fünf Männer vom „Traditionsverband der Nationalen Volksarmee“ haben sich in Saal 101 zu verantworten für einen Aufmarsch, der vor zweieinhalb Jahren allerlei Aufregung provozierte. Am 9. Mai 2013 stolzierten um die 50 Männer in NVA-Uniformen zum Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park. Zum Jahrestag „der Befreiung vom Hitler-Faschismus“, wie es die Angeklagten über ihre Anwälte ausrichten lassen, nebst der Irritation darüber, dass in der Anklageschrift reichlich unsensibel von der „Kapitulation der Wehrmacht“ die Rede sei.

"Diese Armee hat nie einen Krieg geführt"

Gekommen sind zwei Kamerateams, fünf Fotografen und 13 Zuschauer, unter ihnen Hans Fischer, der im Kameralicht darauf hinweist, „dass diese Armee nie einen Krieg geführt hat“. Danach aber fragt niemand. Es geht auch nicht um die Uniformen an sich, die sind ebenso wenig verboten wie die NVA. Nach deutschem Recht ist es aber untersagt, bei Demonstrationen gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen. Theoretisch hätte die Justiz auch eingreifen müssen, wenn die Herrschaften in den Kostümen der Trachtenkapelle Markt Hartmannsdorf aufmarschiert wären. Praktisch sind die graugrünen NVA-Röcke interessanter.

Die Angeklagten sitzen in militärischer Formation hintereinander. Ganz vorn einer im karierten Pullover, dann zwei in dunklen Anzügen, der vierte trägt ein militärgrünes Jackett, der fünfte hat sich krankheitsbedingt entschuldigen lassen. Keiner will sich zur Sache äußern. Großen Redebedarf haben die Männer sonst auch nicht. Jedenfalls nicht gegenüber denen, die nicht zu ihnen gehören.

Die halbe Welt ist Feindgebiet

Zur Kontaktaufnahme hat der Verein eine Mobiltelefonnummer und eine E-Mail-Adresse ins Internet gestellt. Wer es auf diese Weise versucht, erhält nach einiger Zeit einen Rückruf. Ja bitte, was man denn wolle?

Bisschen reden wolle man, etwas erfahren über das Wiesoweshalbwarum des Verbands, über seinen Sinn und Zweck und den Mummenschanz im Treptower Park, speziell aber über das Manöver, an dem einige Vereinsmitglieder in diesem Sommer teilgenommen hatten. Wieso genau es nötig war, an vier Tagen im Juli gemeinsam mit einstigen Waffenbrüdern aus Polen, Tschechien und Russland eine Luftlandeoperation zu üben, einen Artillerieschlag, einen Sturmangriff? Eine Einschätzung aus Expertensicht über den gegenwärtigen Zustand der Bundeswehr wäre ebenfalls schön.

Man müsse das erst im Vereinspräsidium besprechen, ist die Antwort. Man melde sich. Man meldet sich dann nicht, und alle weiteren Kontaktversuche landen im Nichts.

Die halbe Welt ist Feindgebiet, und das eigene Land ist es ganz besonders. Der Traditionsverband scheint sich eingerichtet zu haben in dieser Rolle – und im Grunde ist es eine alte. Der Feind ist überall. Zu den Feinden gehörten einst auch die eigenen Wehrdienstleistenden, also nahezu jeder männliche, junge DDR-Bürger. Etliche von ihnen landeten wegen Minimalvergehen im Militärgefängnis Schwedt, und wer von dort zurückkehrte, war oft ein anderer Mensch. Wer den Wehrdienst überstanden hatte, war es oft auch. Romane und Kinofilme haben dieses Erbe der NVA bewahrt.

Vom Aufmarsch am 9. Mai 2013 gibt es bei Youtube ein achteinhalb Minuten langes Video, es wird zur Beweisaufnahme in Saal 101 gezeigt. Zu sehen sind ältere Männer, denen man durchaus ansieht, dass sie das Marschieren einmal gelernt haben. Die Männer sind mit Säbeln und Kalaschnikow-Attrappen bewaffnet, die Zuschauer mit Regenschirmen und Handykameras. An der Spitze des Zuges werden Fahne und Gebinde getragen, weiter hinten trommelt ein Trommler auf eine rot-weiß lackierte Blechtrommel, die so aussieht wie die von Oskar Matzerath in der Verfilmung des Grass-Romans.

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"Nur ein Freispruch zweiter Klasse"

Nach Inaugenscheinnahme des Beweismittels wirkt der Richter noch ratloser als zuvor und bittet die Anwälte zu einer internen Besprechung. Im Vorraum erzählt Professor Doktor Hans Fischer, er habe dem Traditionsverband mal als Vorsitzender gedient, sei aber ausgeschlossen worden, „der Grund tut nichts zur Sache“. Er hat daraufhin ein Konkurrenzunternehmen gegründet, den „Verband zur Pflege der Traditionen der Nationalen Volksarmee“. Auch das erinnert an einen Kinofilm, an „Das Leben des Brian“ und den Kampf der Judäischen Volksfront gegen die Volksfront von Judäa.

Nach einer halben Stunde verkündet der Richter erst das Ende der Pause und dann die Einstellung des Verfahrens, „wegen Geringfügigkeit“. Er würde gern noch ausführen, warum „weder eine Strafe noch ein Freispruch angemessen war“, aber das hält einer der Verteidiger für keine gute Idee. „Bei allem Respekt, Herr Vorsitzender“, eine inhaltliche Bewertung sei nicht im Sinne der gerade getroffenen Auskunft. Also gehen alle nach Hause, die ehemaligen Militärs verabschieden sich mit kräftigen Handschlägen von ihren Anwälten, nur Hans Fischer wirkt ein bisschen enttäuscht: „Ein eingestelltes Verfahren ist doch nur ein Freispruch zweiter Klasse.“

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