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Open Air Gallery auf der Oberbaumbrücke in Friedrichshain-Kreuzberg.

© picture alliance / dpa

Wahlkreisserie zur Bundestagswahl: Grün-rot-rote Stimmung in Friedrichshain-Kreuzberg

Die politische Richtung ist eindeutig im alternativen Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg – doch ist Ströbeles Erbe bei seiner Nachfolgerin in sicheren Händen?

Berlin ist bunt, der Wahlkreis 83 ist bunter. Nirgendwo zeigen sich Wandel und Widerstand in der Hauptstadt treffender: das Leben zwischen Ost und West, zwischen Hipsterszene, Yoga-Müttern und Drogenkiez, zwischen Hausbesetzern und Investoren, zwischen Alteingesessenen, Neuberlinern, Feierwütigen und Touristen.

Eine Mischung, alternativ und hip zugleich, die eine magische Anziehungskraft auszustrahlen scheint. Wer nach Berlin zieht, will nach Friedrichshain-Kreuzberg, wer aus dem Schwabenland kommt, vielleicht sogar nach Prenzlauer Berg Ost – die drei Stadtteile, die dieser Wahlkreis umfasst.

Diejenigen, die schon länger hier leben, fürchten dagegen die Ballermannisierung, Disneyfizierung oder Gentrifzierung des Bezirks. Keine Woche vergeht ohne Streit um Kneipenlärm im Simon-Dach-Kiez, Anwohnerproteste gegen die Verdrängung kleiner Kiezinstitutionen oder linke Krawalle selbsternannter Gerechtigkeitsfanatiker in der Rigaer Straße. Über kurz oder lang bleiben diese Kontraste wohl auch die Streitpunkte, die den sich wandelnden Wahlkreis weiter beschäftigen werden.

Welches Duell wird spannend?

Die Ströbele-Nachfolgerin Canan Bayram gilt im Wahlkreis als Favoritin: Prognosen zufolge soll die Grünen-Kandidatin das Direktmandat und damit den gesicherten Einzug in den nur wenige Kilometer entfernen Bundestag gewinnen. Entschieden wird das allerdings erst in zwei Wochen. Bis dahin bleibt die Kandidatin mit Herz für linksaußen nicht nur bei der Konkurrenz, sondern auch parteiintern nicht unumstritten: Zuletzt hatte Berlins Ex-Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann Bayram als „nicht wählbar“ bezeichnet. Bayram selbst hatte zuvor ihren Wählern nahegelegt, ihr die Erststimme auch dann zu geben, „wenn Sie einer anderen Partei nahestehen und diese wählen“.

Fest steht kurz vor der Bundestagswahl eigentlich nur eins: Der Wahlkreis 83 tickt mehrheitlich grün-rot-rot. Ganze 75 Prozent der Wähler gaben 2013 den Grünen, Linken oder SPD ihre Erststimme, im Rennen um das Direktmandat wären damit neben Canan Bayram noch Pascal Meiser von den Linken und Cansel Kiziltepe von der SPD.

Die drei Herausforderer haben vor allem damit zu kämpfen, dass sie sich in ihren politischen Perspektiven nur wenig unterscheiden und den Eindruck erwecken, sie könnten sofort eine Koalition eingehen, die den ewigen Frieden in die Rigaer Straße trägt und der Gentrifizierung einen Milieuschutz-Riegel vorschiebt. Alle für alle, alle gegen den Mietenwahnsinn. Timur Husein hält derweil einsam und allein die CDU-Fahne hoch. Sein direkter Einzug in den Bundestag gilt als ausgeschlossen.

Hat man hier überhaupt eine Wahl?

Jein. Natürlich hat man immer die Wahl. De facto wurde Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost in den 2000ern allerdings zur grünen Bastion. Seitdem der Parteilinke Hans-Christian Ströbele 2002 in einem fulminanten Wahlkampf das bis heute bundesweit einzige grüne Direktmandat eroberte, verteidigte er es Jahr für Jahr.

Die Ankündigung des Urgesteins, in diesem Jahr nicht mehr antreten zu wollen, sorgte bei den Grünen wohl gerade deshalb zunächst für Verzweiflung, bei den politischen Gegnern erstmals wieder für Hoffnung. War es vielleicht gar kein Grünen-Hype, sondern einfach nur der Ströbele-Effekt, der über Jahre hinweg Bestand hatte? Achtung, Floskel: Es bleibt abzuwarten. Die Entscheidung fällt nach einigen weiteren Wahlwerbepausen am 24. September.

Was ist das Skurrilste am Wahlkampf?

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Und zu lachen hatte man in diesem Wahlkreis viel, hat er sich doch auch zu einer Hochburg der Komödianten entwickelt. Fares Al-Hassan von der Bergpartei stellt sich gegen die politischen Dummweltschützer und fordert die Gleichsetzung von Mensch, Tier und Pflanze.

Der parteilose Nichtwähler Gregor Felde-Bajer setzt sich für eine Hipsterobergrenze ein und hat es sich zum Ziel gesetzt, eine Mauer nach Prenzlauer Berg West zu bauen. Und Serdar Somuncu, Spitzenkandidat der „Partei“, interessiert sich nach eigenen Angaben nicht für den Bezirk und will einfach nur „Kançler“ werden. Bleibt bei all dem Spaß nur noch zu begreifen, dass eine Wahl durchaus was Ernstes ist.

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