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Für seine Leidenschaft braucht Rob Gutowski einen langen Atem. Hier schultert er sein Alphorn am Schlesischen Busch in Treptow.

©  Doris Spiekermann-Klaas

Wahl in den USA: Mit einem Alphorn in Treptow gegen Donald Trump

Rob Gutowski kam als US-Soldat nach Berlin. Blasinstrumente sind ihm wichtiger als Politik. Doch die drohende Präsidentschaft Donald Trumps brachte ihn zum Protest auf die Straße.

Bevor Rob Gutowski in Berlin zum zweiten Mal die Mauer fallen sieht, hebt er seine Posaune. Gutowski holt tief Luft und stimmt an: „Born in the USA“. Hinter ihm türmen sich Pappkartons, darauf ein Bild von Donald Trump. Der Präsidentschaftskandidat der Republikaner tourt mit dem Versprechen durch die USA, an der Grenze zu Mexiko eine Mauer zu bauen.

Die Gruppe liberaler Amerikaner, die am Brandenburger Tor protestiert, will das verhindern. Gutowski, 52 Jahre, Glatze, Adlernase, breites Kreuz, kam 1987 in die Stadt, da stand Berlins Mauer noch. Er kam sogar, weil die Mauer stand, als US-Soldat. Aber wäre sie nicht gefallen, er wäre heute wohl nicht hier. Sein ganzes Leben wäre anders verlaufen.

„Registriert euch alle!“, ruft Gutowski, der sonst mit sanfter Stimme spricht. Nur wer sich bei den US-Behörden registriert, kann vor dem 8. November per Brief den Präsidenten wählen. Und nur wer abstimmt, kann Trump verhindern.

Eigentlich spricht Gutowski lieber mit Freunden über Politik

In Berlin leben mindestens 16.000 US-Amerikaner, in Deutschland mehr als 110.000. Sie können Wahlen entscheiden. George W. Bush gewann im Jahr 2000 in Florida mit einem Vorsprung von 537 Stimmen. Vor Auszählung der Stimmen der Exil-Floridianer lag Al Gore vorn. Bush wurde Präsident.

Vor dem Brandenburger Tor stoßen die Protestierer die Pappmauer um. Gutowski spielt einen Posaunentusch. Die Aktion ist seit Langem seine erste politische Veranstaltung. Über Politik spricht er lieber mit Freunden. Trotzdem hat er nicht gezögert, als ihn die professionellen Kampagnenmacher von „Avaaz“ anriefen.

Sie wollen den US-Wahlkampf in die Berliner Straßen tragen: „Don’t forget to vote!“ Das sagt Gutowski auch. Außerdem kann er Trump nicht ausstehen. Dessen großes Versprechen ist die Mauer. Angeblich ein Schutzwall, gegen Flüchtlinge, gegen Latinos. „Abgesehen davon hat er keine Ideen“, sagt Gutowski. Er selbst hat erlebt, was eine Mauer bedeutet. Und er entstammt einer Flüchtlingsfamilie. Sein leiblicher Vater kommt aus Irak, seine Mutter aus Mödling bei Wien, die Eltern seines Stiefvaters stammen aus Polen.

Vor vier Jahren trafen sich Fans der Demokraten im Kino Babylon zur Party.
Vor vier Jahren trafen sich Fans der Demokraten im Kino Babylon zur Party.

© picture alliance / dpa

"Trump ist kein Demokrat"

Trump hält er für antisozial, unzivilisiert, egozentrisch. „Dass er das Ergebnis nicht anerkennen will, wenn er verliert, ist kriminell. Er ist kein Demokrat.“ Gutowski mag auch Hillary Clinton nicht wirklich, aber er hat sie trotzdem gewählt, wie er schon immer die Demokraten unterstützt hat. Er überlegt, der Partei endlich beizutreten. „Ich sollte vielleicht ein bisschen aktiver werden.“ Er könnte dann schon bei den Vorwahlen abstimmen. Diesmal hätte er den Linksaußenkandidaten Bernie Sanders unterstützen können.

Trumps Auftritte, Clintons Skandale – sie bewegen Rob Gutowski 7000 Kilometer entfernt im beschaulichen Alt-Treptow. Politik beschäftigte ihn aber schon früher. Gutowski wächst im Südosten der USA auf. Die Mutter spielt Klavier und bringt den vier Kindern die Musik nahe. Gutwoski verbringt viel Zeit in Übungsräumen.

Aber nach der Schule zieht es ihn weg. „Wie Kennedy gesagt hat: Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, frage, was du für dein Land tun kannst – und für die ganze Welt.“

Der Vater eines Freundes, erzählt er, habe im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis gekämpft. Gutowski entscheidet sich, der Welt mit der Waffe zu dienen. Er studiert Biologie, geht dann auf die Militärakademie. Schließlich soll er sich für einen Einsatzort entscheiden. Er schreibt: Südkorea, Panama oder Deutschland.

In Ost-Berlin findet Gutowski zum Jazz

Am 23. April 1987, da ist er gerade 22 Jahre alt, kommt Gutowskis auf dem Flughafen Tegel an. Als Infanterieoffizier soll er jetzt West-Berlin verteidigen: Training für den Häuserkampf. Über Deutschland weiß er da nicht viel: Weltkriege, „Kaiser und Adolf“, wie er sagt. Als Soldat besucht er Ost-Berlin, günstig getauschte Ostmark in der Tasche, geht schick essen im Hotel „Stadt Berlin“, vier Sterne, das heutige „Park Inn“.

Ein Freund führt ihn in die Kneipen, in der die Jazz-Szene der Stadt verkehrt. Fasziniert hört Gutowski zu. Er, aus den Südstaaten, dort, wo diese Musik zu Hause ist, findet ausgerechnet in Ost-Berlin zum Jazz.

Ein paar Tage nach der Anti-Trump-Aktion am Brandenburger Tor sitzt Rob Gutowski in seiner Altbauwohnung in Treptow. Er tippt auf eine Berlin-Karte. Dort standen die US-Truppen, Osdorfer Straße, Lichterfelde, an der Mauer. Einmal gingen drüben plötzlich die Lichter an. Alarm. Ein Fluchtversuch.

„Ich bin mit dem Armeeauto auf und ab gerast und habe mit Platzpatronen gefeuert, um sie abzulenken. Ich weiß nicht, ob es geklappt hat.“ Gab es deswegen Ärger? „Nein, warum? Weil ich ostdeutschen Grenzern den hier gezeigt habe?“, fragt Gutowski und hebt den Mittelfinger.

Nach dem Mauerfall ändert sich die Welt

Die in Deutschland lebenden US-Amerikaner dürfen per Brief wählen. (Hier Unterlagen aus dem Jahr 2008)
Die in Deutschland lebenden US-Amerikaner dürfen per Brief wählen. (Hier Unterlagen aus dem Jahr 2008)

© picture-alliance/ dpa

Und dann, von einem Tag auf den anderen, fällt die Mauer. Gutowski hätte den Moment fast verpasst. Er habe abends das Fernsehgerät angeschaltet, um Deutsch zu lernen, erinnert er sich. Mit einem Mal ist da diese Nachricht: Die Grenzen sind offen. „Ich habe das Wörterbuch geholt. Grenze – o.k., boundary. Aber ich habe nicht verstanden, dass es um die Mauer geht.“ Zusammen mit einem Freund geht er in ein Café. „Irgendwann kam ich mit dem Nachtbus am Breitscheidplatz an – überall war Stau. Erst da habe ich verstanden, was passiert war.“

Innerhalb von wenigen Monaten verändert sich die Welt. Irgendetwas in diesen Tagen verändert auch Rob Gutowski. Er überlegt, die Armee zu verlassen. „Ich wollte meinem Land dienen. Aber ich wollte nicht für immer in dieser Maschine hängen.“

Am 23. April 1990, drei Jahre nach seinem ersten Tag in Berlin, tritt er aus der Armee aus. „Wenn Krieg ist, verlässt niemand die Armee“, sagt Gutowski. Doch jetzt ist Frieden, er darf gehen. Wenige Monate später bricht der Golfkrieg aus. Es ist dieses schmale Fenster, in dem der Soldat Rob Gutowski zum Zivilisten werden kann.

"Berlin war gut zu mir"

Als Zivilist braucht er einen Job. Er will Musik machen, hangelt sich von Auftrag zu Auftrag. Irgendwann aber läuft es. Heute arbeitet Gutowski als Posaunenlehrer, spielt in einem Alphorn-Orchester, war mit dem Reggae-Musiker Gentleman auf Tour, nimmt Platten auf. „Ich lebe den amerikanischen Traum in Berlin“, sagt er. „Berlin war gut zu mir.“

In der Küche in Alt-Treptow steht Erdnussbutter neben Bio-Tropenblütenhonig. Im Wohnzimmer ein Klavier, zwei Rennmäuse für die Tochter. Gutowskis Frau ist Deutsche, aus Ost-Berlin, sie ist nur ein paar Straßen entfernt aufgewachsen, direkt an der Mauer. „Wäre die Mauer nicht gefallen, könnten wir nicht zusammensein. Verrückt, oder?“

Hier, im Privaten, im eigenen Umfeld, findet er, „muss man den Frieden verbreiten“. Wenn das so ist, warum nimmt er nicht die deutsche Staatsbürgerschaft an? Er könnte in Deutschland wählen. Trump, die USA, auch Hillary könnten ihm egal sein. Er zögert. Dann sagt er: „Dafür bin ich zu sehr Patriot. Das sitzt zu tief. Ich habe gedient.“

Locker bleiben. Clinton und Trump als Wackelfiguren, entdeckt in Washington.
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© dpa

Gutowski vertraut dem System der USA

Seine Heimat lässt ihn nicht los, nach all den Jahren. Trump hält er für jemanden, der sich nicht unter Kontrolle habe. „Ich hätte ihn nicht als Oberbefehlshaber gewollt“, sagt Gutowski. Er vertraut dem System in Amerika, seinen „Checks and Balances“, der Vernunft des Militärs. Vielleicht ist es, bei aller Sorge über Trump, die Ruhe eines Mannes, der erlebte, wie sich der Kalte Krieg entspannte. Trotzdem sagt er, vorbei sei es erst, wenn Trump, der in Umfragen hinten liegt, wirklich verloren hat – und es dann auch friedlich bleibe.

Das Ende der dritten TV-Debatte zwischen Trump und Clinton hat er sich angesehen. Ob er auch die Wahl am 8. November die ganze Nacht verfolgen wird, wie es viele Exil-Amerikaner tun, weiß er noch nicht. Wahrscheinlich wird er am Morgen nach der Wahl früh aufstehen und nachlesen, wie es ausging. Dann wird er sich eine Stulle schmieren, seine Posaune nehmen und mit dem Fahrrad zum Unterricht fahren. Durch Berlin, in dem keine Mauer mehr steht.

Jonas Schaible

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