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Benannt nach Flugpionier "Otto Lilienthal": der Airport Tegel.

© Sophia Kembowski/dpa

Volksentscheid zum Berliner Flughafen: Michael Müller droht in Tegel ein Fiasko

In der Flughafen-Debatte geht es nicht nur um die Stadtentwicklung, sondern auch ums politische Kräftemessen. Die Parteien kämpfen um jede Stimme.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

„Erst hatten wir kein Glück und dann kam noch Pech dazu.“ Der alte Fußballer-Spruch gilt bisher auch für die Bemühungen des Senats, einen Monat vor dem Volksentscheid zur Offenhaltung Tegels die eigenen Argumente unters Volk zu bringen. So wurde die Idee, allen Berlinern einen Brief zu schicken, aus organisatorischen Gründen wieder aufgegeben.

Nachdem der Billigflieger Ryanair in die Kampagne „Pro Tegel“ einstieg, fühlte sich der Senat zwar im Recht, ebenfalls kommunikativ aufzurüsten. Doch die Ausschreibung des Druckauftrags einschließlich des Postversands (Kosten: 180 000 Euro) hätten zu lange gedauert.

Also bleibt der Brief, dessen Inhalt zwischen SPD, Linken und Grünen schon abgestimmt war, in der Schublade. Trotzdem will Senatssprecherin Claudia Sünder dem Eindruck entgegentreten, dass der Senat nichts auf die Reihe kriegt. „Wir prüfen andere angemessene Aktionen, beispielsweise Zeitungsanzeigen, Hörfunk-Spots oder Plakate.“ 

Der Regierende Bürgermeister wäre der Sündenbock

Nach anfänglichem Zögern will der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) offenbar doch noch in die Vorwärtsverteidigung gehen. Er macht sich nämlich keine Illusionen darüber, wer nach dem Volksentscheid am 24. September der Sündenbock sein wird, falls die Abstimmung für den Senat verloren geht. Er selbst wird den Kopf hinhalten müssen.

Immerhin weiß Müller die eigene Koalition in Sachen Tegel hinter sich. Angesichts des holprigen Regierens in Berlin ist das nicht selbstverständlich. Die Hauptlast der Regierungskampagne stemmen die Landesverbände von SPD, Linken und Grünen. Aber auch die Fraktionen werden allmählich lebendig, denn das Ende der Sommerpause naht.

Die SPD-Fraktion bereitet eine Anzeigenkampagne und eigene Flyer vor, Linke und Grüne setzen auf die Macht der sozialen Medien, auf Videoclips und originelle Aktionen in der Stadt. Vielleicht gibt es auch noch eine gemeinsame Sitzung der drei Koalitionsfraktionen in Tegel.

Ärger um kommerzielles Interesse Ryanairs

„Die letzten zwei Wochen vor der Abstimmung sind entscheidend, dann geben wir alle noch mal Gas“, sagt die Grünen-Fraktionschefin Antje Kapek. Sie glaubt, dass die Stimmung in der Bevölkerung noch kippen könnte – zugunsten der Schließung des City-Airports. Und der Vize-Chef der SPD-Fraktion, Jörg Stroedter, sieht eine wachsende Zahl von Bürgern, die über das rein kommerzielle Engagement von Ryanair für die Offenhaltung Tegels verärgert seien. „Da will sich eine Airline einen Flughafen kaufen.“

Der Gegenspieler des Senats im Kampf um Tegel ist der FDP-Generalsekretär und Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Sebastian Czaja. Der 34-jährige Projektentwickler in einer Firma für Tief- und Rohrleitungsbau hat sich inzwischen den Titel „Tegelretter“ zugelegt. Zwar gab es vor ihm schon andere, die einen Weiterbetrieb des Airports anregten, etwa den früheren Chef des Flughafens BER, Hartmut Mehdorn. Aber es war die Berliner FDP, die Ende 2015 begann, unter dem Slogan „Berlin braucht Tegel“ Unterschriften zu sammeln.

Drei Monate später war das erste Ziel erreicht: Ein Volksbegehren konnte starten und die Liberalen setzten sich mit Czaja an die Spitze einer rustikalen Kampagne für die Offenhaltung Tegels. Das war auch ein schönes Thema für den FDP-Wahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl im September 2016. Nach fünfjähriger Abstinenz zogen die Liberalen wieder ins Landesparlament ein.

Auch Union ist für die Offenhaltung

Anschließend wurden 204.263 Unterschriften eingesammelt, das reichte locker für einen Volksentscheid zur Offenhaltung Tegels, über den in einem Monat gemeinsam mit der Bundestagswahl abgestimmt wird. Obwohl die Kampagne mühsam angelaufen war. Erst in den letzten vier Wochen fanden sich genügend Unterstützer. Die AfD, die sich in die Kampagne geschickt eingeklinkt hatte, half kräftig mit. Die Christdemokraten schwenkten erst nach längerem Zögern und einer Mitgliederbefragung um. Seit Anfang Juli ist die Union auch für die Offenhaltung Tegels.

Die Fronten sind seitdem klar: Opposition gegen Regierung. Aber die Federführung der Kampagne, die den Senat massiv unter Druck setzt, lassen sich die Freien Demokraten um ihren Spitzenmann Czaja nicht mehr nehmen. Sie hoffen, auf der Welle einer Volksbewegung für den traditionsreichen City-Airport im Westen Berlins mit einem komfortablen Ergebnis in den Bundestag zu surfen.

Mehrheit wird wohl mit Ja stimmen

Und alle Umfragen sagen bisher voraus, dass der Volksentscheid erfolgreich sein wird. Eine Mehrheit, aber mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten muss mit Ja stimmen. Das wären rund 623.000 Berliner. In Berlin wurde das gesetzliche Quorum bisher nur zwei Mal erreicht – bei den Volksabstimmungen zu den Privatisierungsverträgen der Wasserbetriebe und zur kompletten Erhaltung des Tempelhofer Feldes.

Die amtlichen Informationen zum Volksentscheid, die den Wähler die Argumente beider Seiten nahebringt, sind verschickt. Es geht um Jobs und Lärmschutz, um Kosten und Kapazitäten, aber auch um die Zukunft des Flughafengeländes im Norden Berlins als neuer Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort.

Der SPD-Politiker Stroedter findet es schade, dass nicht noch eine zweite Frage auf dem Abstimmungszettel steht: „Soll das ehemalige Flughafengelände Tegel zu einer Urban Tech Republic entwickelt werden?“ Senatsintern gab es solche Überlegungen, aber es wurde davon Abstand genommen. Denn beim Volksentscheid zu Tempelhof hatte der damals rot-schwarze Senat mit einer doppelten Fragestellung, die eher verwirrte, keine guten Erfahrungen gemacht.

Tegel-Fans sind gut organisiert

Die Tegel-Fans sind guter Dinge. Sie hatten von Anfang an eine klare Agenda und sie sind gut organisiert. Drei Vereine arbeiten, politisch gesteuert von der FDP-Spitze, Hand in Hand. Zwischenzeitlich unterstützte auch der Autovermieter Sixt die Unterschriftensammlung mit einem Zehn-Euro-Bonus für Kunden und musste dafür ein Bußgeld in Höhe von 30.000 Euro zahlen. Seit Kurzem sitzt Ryanair mit ihm Boot, bezahlt hundert großflächige Pro-Tegel-Plakate. „Es wird weitere Partner aus der Wirtschaft geben, die sich auf andere Weise engagieren“, kündigte Czaja an.

Auch Gegenseite hat sich warmgelaufen

Aber auch die Gegenseite hat sich, vor allem in den vom Fluglärm besonders betroffenen Regionen in Pankow, Reinickendorf und Spandau, inzwischen warmgelaufen. Rund 15 Organisationen unterstützen Rot-Rot-Grün, darunter der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), der Berliner Mieterverein und der BUND, aber auch der Verein Wander-Paddler-Havel, dem offensichtlich stille Wasser lieber sind.

Keine rechtliche Bindung für Senat

Gekämpft wird teilweise mit harten Bandagen. So haben die Plakate der Tegel-Fans besonders in Pankow keine lange Lebensdauer. Doch was passiert, wenn der Volksentscheid erfolgreich sein sollte? Das bindet den Senat zwar nicht rechtlich, setzt ihn aber politisch stark unter Druck.

Der FDP-Mann Czaja hat bereits nachgelegt. Sollte Rot-Rot-Grün einem Votum zur Offenhaltung Tegels nicht folgen, so kündigte er an, werde es ein Volksbegehren für Neuwahlen in Berlin geben. Die CDU reagierte wohlwollend auf diese Ankündigung. Die AfD ist dagegen, denn mit einem so schönen Wahlergebnis wie 2016 könnte sie bei einer vorgezogenen Neuwahl des Abgeordnetenhauses nicht mehr rechnen.

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