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Philipp vor seinem Bus

© Mike Wolff

"Vanlife"-Bewegung in Berlin: Mit dem Kleinbus durch die Welt

Busse boomen – auch unter Berlinern. Warum das Reisen auf kleinem Raum immer mehr Anhänger findet.

Es ist ein verregneter Sommertag in Berlin. An der Haltestelle Frankfurter Allee in Friedrichshain warten die Menschen mit herabgezogenen Mundwinkeln, andere hetzen durch den Regen zur nächsten Bahn, fluchen über den überfluteten Bürgersteig. Gegen so viel Tristesse hat Philipp ein simples Mittel: den LED-Schriftzug an der Frontscheibe seines grüngestrichenen Mercedes-Transporters. „Today Is A Good Day“ leuchtet das Fundstück von einem spanischen Strand nun im grauen Einerlei.

„Da fährst du dann vorbei, machst das Schild an und die Leute lächeln und strecken den Daumen hoch“, erzählt Philipp. Ob er 35 oder 36 Jahre alt ist, weiß er nicht so genau, sein Alter und sein Nachname sind für ihn wie Wochentage oder die Jahreszeiten – „nicht mehr wichtig“. Zur Verabredung im Innenhof des Kosmonaut-Clubs nahe dem Ostkreuz kommt er aus seinem Gartenhäuschen in Britz. So sehr Aussteiger und Weltenbummler ist der gebürtige Marzahner dann doch nicht, als dass er gar keine feste Anlaufstelle mehr bräuchte.

"Vanlife"-Bewegung

Man nennt ihn den „Düdo“-Guru, kurz für Düsseldorf, der Bauort des Mercedes-Transporters Baureihe 407. Entsprechend gefragt ist er in der wachsenden Szene der Kleinbus-Reisenden, unter dem Begriff „Vanlife“ entwickelt sich die Bewegung auch in Berlin. Gut für ihn, denn in den drei Monaten im Jahr, die er von früh bis spät arbeitet, anstatt zu reisen, möbelt er hauptsächlich alte Bullis und Busse auf. 

„Die Preise sind exorbitant gestiegen“, sagt er und erzählt von Kunden, die bis zu 7000 Euro in einen Kleinbus stecken, der dann noch einmal für 3000 Euro renoviert werden muss. Für dieses Geld könnte er einen ganzen Winter lang im Bus leben, durch Spanien, Italien oder Marokko reisen, „dabei gut essen und viel sehen“.

Einen Schlüsselmoment, in dem er alles hinschmiss, gab es bei Philipp nicht. Vielmehr eine Verdichtung von Erkenntnissen, sagt er. In Marzahn aufgewachsen, ging er nach dem Abitur zur Marine, legte insgesamt 25.000 Seemeilen zurück, bekämpfte Piraten vor Somalia und verdiente gutes Geld.

Hierarchien und Abläufe wurden zu strik

Von dem finanzierte er sich ein Studium, als er merkte, dass ihm die Hierarchien und Abläufe zu strikt wurden. Als Fitnessstudiobesitzer und Triathlet in Berlin arbeitete er bis zu 13 Stunden am Tag und kündigte irgendwann seine Wohnung, weil er ohnehin nur noch zum Schlafen nach Hause kam. Eines Tages kam eine neue Kundin zu ihm ins Studio, Christie, Amerikanerin, eine unternehmungslustige und unabhängige Frau. Heute sind sie verheiratet. 

Erst zeigte er ihr Berlin, dann Deutschland, dann Europa. „Irgendwann waren wir mehr unterwegs als hier“, erzählt Philipp. „Nach zehn Wochen in Südfrankreich haben wir gemerkt: Du musst den deutschen Winter nicht ertragen.“ Christie, Philipp und sein Hund Atlas verbringen seit vier Jahren die Winter im Süden, mit zwei Mopeds auf dem Bus-Anhänger, fahren meist die Küsten entlang und gehen klettern und surfen — Hauptsache aktiv, Hauptsache herumkommen.

Karre statt Koffer. Philipp hat keinen festen Wohnsitz – die meiste Zeit des Jahres verbringt er mit Frau und Hund auf Reisen in seinem alten Mercedes-Bus.
Karre statt Koffer. Philipp hat keinen festen Wohnsitz – die meiste Zeit des Jahres verbringt er mit Frau und Hund auf Reisen in seinem alten Mercedes-Bus.

© Mike Wolff

Dabei steht für Philipp nicht das Reisen im Vordergrund, sondern der Lebensstil: Möglichst nachhaltig sein und so wenig Geld wie möglich will er verbrauchen, denn von einem System, in dem man sich über Arbeit, Leistung und „Zeug“ definiert, will er sich so weit wie möglich entfernen. Eine Meldeadresse hat er nicht, auch keinen Personalausweis. Dass er bei den kommenden Bundestagswahlen nicht abstimmen kann, nimmt er bedauernd in Kauf. Den Hauptanteil seiner Lebensmittel containert er und lebt als „Freeganer“, isst also Tierprodukte, wenn er sie in Supermarktcontainern findet, kauft aber selbst keine. Alles in seinem bulligen Mercedes ist auf dem Sperrmüll gefunden, selbst zusammengebastelt, ertauscht, geschenkt oder von lokalen Produzenten erstanden: Der kleine Ofen aus dem Jahr 1901, der Osmosefilter, mit dem der ausgebildete Ernährungsberater aus jeder Wasserpfütze Trinkwasser machen kann, „zehnmal sauberer als das Berliner Wasser aus dem Hahn“. Der Knochen auf der Ablage an der Frontscheibe ist ein Halswirbel von einem Kamel aus der marokkanischen Wüste. An den Wänden des zwölf Quadratmeter großen Vans finden sich Treibholz in Fischernetzen, marokkanische Bommelgirlanden, ein Arrangement aus Treibgut und einer Mokkakanne.

Es soll nicht allzu bequem sein

Wegen seiner Anti-Konsum-Haltung ist Philipp kein großer Freund von Vanlife-Anhängern, die es sich allzu bequem machen. Er teilt die mobile Reiseszene in drei Typen ein: Diejenigen, die so wie er im klassischen Bulli reisen; ein Trend, der ursprünglich aus der Surferszene kommt und der seit einigen Jahren immer größer wird. Dann die Wohnmobilfahrer, oft Rentner, die etwas mehr Komfort brauchen. Den dritten Typus nennt er die „4x4-Fraktion“: Umgebaute Allradfahrzeuge, die oft mit allen Schikanen ausgestattet sind. „Die haben ihre Firma verkauft und dann hinten ihre Eigentumswohnung auf dem Wagen“, sagt Philipp. „Da sage ich dann: Dein Schrank ist teurer als mein ganzes Auto.“

Manche dokumentieren ihre Kleinbusreisen in Blogs, haben mehrere Hunderttausend Follower in sozialen Netzwerken und machen damit Geld. So auch Christina Klein und Paul Nitzschke. Das Paar ließ sich von Philipp zu den technischen Aspekten beraten und ist gerade in Sibirien unterwegs. Ihre Bilder und Geschichten findet man auf ihrem Blog „Passport Diary“ und auf Instagram, wo man unter dem Hashtag Vanlife mehr als 1,8 Millionen Fotos findet.

Sich von Automarken, Outdoor-Ausrüstern und Tourismusagenturen sponsern lassen, „das kann ich nicht mit meinen Werten vereinbaren“, sagt Philipp. Außerdem würde das ja Arbeit bedeuten. Auf seinem Blog schreibt er werbefrei über die technischen Feinheiten der Van-Restaurierung, seine Reiseerfahrungen und Themen wie die verhasste Wegwerfgesellschaft und die Vanlife-Philosphie.

Bald werden neue Reiseberichte hinzukommen, denn diesen Herbst geht es erstmal die Donau hinab, das Ziel ist Griechenland. So ganz ohne Geld geht das allerdings auch für Philipp nicht. Deswegen baut er jetzt einen Transporter im Innenhof des Kosmonaut-Clubs zu einer Bar um. Endlich hat auch der Regen aufgehört. Vielleicht wird das ja wirklich ein guter Tag.

Philipps Blog: www.mb407.wordpress.com

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