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Die Polizei konnte den angeblichen Entführungsversuch nicht bestätigen.

© dpa

Urbane Legenden: Schulleiter warnte Eltern vor Entführung

Eigentlich wollte der Schulleiter einer Steglitzer Schule nur das Richtige tun, als er der Elternvertretung einen Brief schrieb und sie vor Kindesentführungen warnte. Die Nachricht verbreitete sich schnell – ist aber nicht mehr als eine Legende.

Von Sandra Dassler

Ein kleines Mädchen wird entführt, indem es durch ein anderes kleines Mädchen „angespielt und weggelockt“ wird – und das alles am helllichten Tag in einem Einkaufscenter in Steglitz. Klingt wie ein „Tatort“, ist aber der Inhalt eines Briefes, den Elternvertreter in Steglitz-Zehlendorf am Montag von der Schulleitung erhielten und der inzwischen auch in anderen Grundschulen kursiert. „Ich möchte Sie bitten, mit Ihren Kindern in angemessener Weise über diesen Vorfall zu sprechen“, stand in dem Schreiben – und war wohl gut gemeint, zumal laut Schulleitung zuvor schon entsprechende Gerüchte kursierten.

Laut Brief der Schule, die dem Tagesspiegel bekannt ist, hätten sich zwei Ehepaare mit ihren Kindern im Forum Steglitz am Spielbereich aufgehalten. Während die Kinder spielten, unterhielten sich die Eltern, bis dem einen Vater auffiel, dass seine Tochter verschwunden war, heißt es in dem Brief: „Nach kurzem Suchen sah er seine Tochter, wie sie mit zwei Männern und einer Frau mit einem Kind die Rolltreppe hochfuhr. Er handelte besonnen, folgte den Leuten und griff sich seine Tochter. Die Personen seien in dem Moment in alle vier Himmelsrichtungen davongelaufen. Nach einer Anzeige bei der Polizei wurde dem Ehepaar mitgeteilt, dass die Gruppe bereits bekannt ist, und dass man nach diesen Personen fahndet. Dabei setzen diese Leute ein Mädchen als Lockvogel ein . . .“.

Besonders die letzten Sätze haben es in sich, sagt Polizeisprecher Stefan Redlich: „Sie suggerieren, dass es eine polizeibekannte Bande gibt, die mit einem Kind als Lockvogel agiert und nach der gefahndet wird – all’ das ist aber nicht der Fall.“ Was lediglich stimme, sei, dass ein Vater am 11. Februar einen Vorfall im Forum Steglitz angezeigt habe. Die Polizei nehme das sehr ernst und habe die vom kooperativen Einkaufscenter bereitgestellten Videos ausgewertet. Darauf sei zu sehen, dass die dreijährige Tochter mit einem anderen Mädchen, das etwa vier Jahre alt sei, spielte. Als die Eltern der Vierjährigen aufbrachen, trottete auch die Dreijährige mit – Hand in Hand mit der neuen Freundin. Laut Polizei ist auf den Videos nicht zu erkennen, ob die Eltern der Vierjährigen überhaupt bemerkten, dass das andere Kind ihnen ebenfalls folgte. Bislang gebe es keine Hinweise darauf, dass es sich um eine Straftat handelt; es wird aber erst mal weiter ermittelt.

Die Geschichte ist nun in der Welt. Wer sie an die Grundschule geschickt hat, ist unklar. Die Schulleitung beruft sich auf eine andere Schule, angeblich soll es dort einen Vater namens Martin Munke geben, doch nach Tagesspiegel-Recherchen stimmt auch das nicht.

Es handelt sich wohl um eine der sogenannten urbanen Legenden – Geschichten, die stets der Schwester der Tante des Bruders eines Bekannten passieren und die dann am Ende schon mal bei der Polizei landen. Die Geschichten beginnen bei der durch eine Yucca-Palme nach Hause geschleppten Vogelspinne und enden bei in einem Möbelhaus entführten Kindern, die in letzter Sekunde und bereits rasiert auf einer Toilette gefunden werden – kurz bevor sie zur Organentnahme abtransportiert werden.

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