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Segen bringen - Segen sein. Sternenträgerin Amelie.

© Kitty Kleist Heinrich

Unterwegs mit Sternsingern in Berlin: Von großer Freude erfüllt

Sternsinger sind vor allem im katholisch geprägten Süddeutschland unterwegs – mittlerweile aber immer öfter auch in Berlin. Zum Beispiel in Frohnau.

Orientalisches Tohuwabohu im Haus der katholischen Gemeinde St. Hildegard in Frohnau: Tobias (12) verwandelt sich am Samstagnachmittag gerade in König Balthasar, zieht ein ockergelbes fließendes Gewand über den Kopf, setzt sich die goldene Krone auf und schlingt einen Schal mit Gepardenmuster um den Hals. Elisabeth (14) im blauen Poncho über dem karminroten Kleid hat sich soeben als Caspar aus Afrika das Gesicht braun geschminkt und einen Weihrauchschwenker gegriffen. Sternenträgerin Amelie (13) hält schon den achtzackigen Wegweiser hoch. Drumherum wuseln zehn weitere Kinder und Jugendliche zwischen Kleiderständern und Requisiten hin und her, da ruft ein Mann in die Runde: „Es fehlen noch Weihrauchkörner. Welches Kamel hat die im Auto vergessen?“ Kamel? So heißen bei den Sternsingern erwachsene Helfer, die sie zu ihren Einsatzorten begleiten.

Am 5. Januar singen die Kinder bei Kanzlerin Merkel

Es ist die Zeit der zwölf Weihnachtstage vom 25. Dezember bis zum 6. Januar, dem Dreikönigstag. Die Heiligen Drei Könige oder Weisen aus dem Morgenland, wie sie bei den Protestanten heißen, sind wieder unterwegs. Die Sammeltour gehört eher zum Brauchtum katholischer Regionen in Süddeutschland, verbreitet sich aber zunehmend auch im preußisch-evangelisch geprägten Berlin.

Etliche der rund 100 katholischen Gemeinden Berlins, aber inzwischen auch protestantische Gemeinden, beteiligen sich an der Aktion. In Charlottenburg beispielsweise die Katholiken von St. Ludwig. Deren Sternsinger werden am 6. Januar im Rathaus des Bezirks mit Plätzchen und Kakao begrüßt. Als Dankeschön schreiben sie den traditionellen Segensspruch über die Rathaustür. Und einige Sternsinger der Frohnauer St. Hildegard-Gemeinde gelangen am 5. Januar sogar ins Regierungsviertel: Sie werden von Kanzlerin Angela Merkel empfangen und für sie singen. Das hat Tradition. Alljährlich veranstalten die 27 katholischen Bistümer in Deutschland ein Preisausschreiben für ihre Sternsinger. Die 27 Gewinnergruppen reisen ins Bundeskanzleramt.

Von Kostümen oder Verkleiden spricht hier niemand

Requisiten griffbereit, alle Gewänder sitzen? Mehrere Quartetts, jeweils drei Könige plus Sternenträger, sind jetzt am Sonnabend bei St.Hildegard abmarschbereit. Von Kostümen oder Verkleiden spricht hier niemand, sie halten es mit dem Propheten Jesaja, der einst von „festlichen Gewändern des Heils“ sprach, die Fröhlichkeit ausdrücken. Im vergangenen Jahr rief eine Frau: „Ihr seid ja toll verkleidet!“ Da antworteten die Sternsinger: „Sie tragen Armani und wir Jesaja.“

Melchior schreibt den Segensspruch über die Haustüre: Christus Mansionem Benedicat, Herr segne dieses Haus.
Melchior schreibt den Segensspruch über die Haustüre: Christus Mansionem Benedicat, Herr segne dieses Haus.

© Kitty Kleist Heinrich

Nun aber los. Sie steigen in die Autos ihrer „Kamele“. An den Heckscheiben sind zum Spaß „CD“-Zeichen mit drei Kronen und Stern angeklebt. Corps diplomatique? „Also, wir sind ja so etwas wie Botschafter“, sagt der 14-jährige Philipp und rückt als Melchior seine Krone nochmal zurecht. „Wir bringen Menschen zusammen, sind Botschafter der Freude.

2016 sammeln sie für Kinderhilfsprojekte in Bolivien

Bis zu 300 Familien, alleinstehende Menschen, Seniorenheime, Kitas, Krankenstationen oder Geschäfte besuchen die Frohnauer Sternensinger jeweils zum Jahresbeginn. Sie ziehen nicht von Haus zu Haus, sondern klingeln bei Menschen, die sich ihren Besuch gewünscht und bestellt haben. Dazu gehören längst nicht nur Katholiken. An etlichen Tagen sind sie jeweils von 14 bis 20 Uhr unterwegs. Anfang 2015 sammelten sie knapp 28 000 Euro für Kinder auf den Philippinen. „Ein toller Einsatz während der Weihnachtsferien“, sagt Silke Telschow-Malz vom Betreuerteam. „Aber die Sternsinger gewinnen auch viel, kehren begeistert zurück, wenn sie erlebt haben, wie viel Glück sie im Auftrag des Sterns schenken können.“

Ordnung muss sein - auch im Morgenland.
Ordnung muss sein - auch im Morgenland.

© Kitty Kleist-Heinrich

Alljährlich gibt das Kindermissionswerk bundesweit vor, für welche Hilfsprojekte gesammelt wird. 2016 sollen Initiativen für Kinder in Bolivien unterstützt werden. Motto: „Segen bringen – Segen sein. Respekt für Dich, für mich, für andere – in Bolivien und weltweit.“ Das passt gut zu den Aktionen der Frohnauer Sternsinger im nahen Flüchtlingsheim am Eichborndamm. Dort bastelten sie mit Kindern von Asylsuchenden, egal, welcher Religion sie angehörten, goldene Kronen aus Pappe. Die setzten sich alle auf, tanzten und spielten. „So waren wir allesamt auf Augenhöhe“, erzählt Elisabeth.

Die weiße Kreide erschreckt die Dämonen

Nun aber klingeln sie an einem Reihenhaus bei einer Familie. Sternenträgerin Amelie geht vorneweg in die Diele, dahinter schwenkt Caspar den angezündeten Weihrauch, Balthasar hält das Sammelkästchen für Spenden, Melchior schaut sich neugierig um. Dann singen sie in der guten Stube. „Die Sternsinger ziehen durchs Land, sie fassen sich alle an der Hand. “ Erzählen vom Hilfsprojekt „Palliri“ für Straßenkinder in La Paz, tragen Gedichte vor. Schließlich greift Melchior zur Kreide, schreibt auf den oberen Türrahmen: 20*C+M+B*16. CMB kann für Caspar, Melchior, Balthasar stehen, wird aber eher als der lateinische Spruch gedeutet: „Christus Mansionem Benedicat“ – Christus segne dieses Haus. Und warum ist die Kreide weiß? Weil für Dämonen nach altem Volksglauben alles Weiße nicht sichtbar ist. So erschrecken sie umso heftiger vor dem Segen, da sie die Gefahr zu spät erkennen.

Auch Obdachlose im U-Bahnhof haben sie besucht

Bevor die Sternsinger losziehen, nehmen sie an Vorbereitungstreffen teil. „Sie sollen ja wissen, was sie tun“, sagt Adelgund Lissy (71), seit 33 Jahren ehrenamtlich für die Aktion tätig. Sie beschäftigen sich mit den Lebensbedingungen in armen Ländern, lernen die religiöse Symbolik um die drei Könige kennen (s. Kasten). Und es geht bei alledem nicht allein ums Spendensammeln. „Wir haben auch Obdachlosen im U-Bahnhof Essen gebracht und das Segenszeichen auf die Mauer geschrieben“, erzählt ein Mädchen. Und sie besuchten ein verstorbenes Ehepaar auf dem Friedhof, bei dem sie in früheren Jahren zu Besuch waren. Auf dessen Grabstein steht ein Spruch des Evangelisten Matthäus: „Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt.“

"Die Macht muss niederknien!"
Sternsinger sind seit dem frühen Mittelalter vor allem in den Ländern Mittel- und Nordeuropas unterwegs. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts werden die Aktionen in Deutschland zentral gesteuert, so dass jeweils alle Kinder gemeinsam für bestimmte Entwicklungshilfeprojekte sammeln. Die Sternsinger-Touren starten alljährlich mit einem Aussendungsgottesdienst und enden mit Andachten, bei denen die Kinder und Jugendlichen von ihren menschlichen Begegnungen erzählen.

Symbolik & Legenden
Wer waren die drei Weisen aus dem Morgenland? Auf jeden Fall keine Könige, dazu wurden sie erst in Legenden im frühen Mittelalter erhoben. Sie waren vermutlich Astronomen, also Sterndeuter aus der Gegend des heutigen Irak. „Sie folgten dem Stern von Bethlehem zum Jesuskind und waren auf dieser Reise mit ungewissem Ausgang Suchende nach dem wirklich Wichtigen und dem Sinn des Lebens“, heißt es in einer Erklärung der Frohnauer St. Hildegard Gemeinde. Dass sie als gekröntes Trio auftauchen, hängt unter anderem mit der bei vielen Völkern heiligen Zahl Drei zusammen.

Das Trio symbolisiert drei Lebensalter und Erdteile

Außerdem stellt das Trio die drei Lebensalter dar. Der Afrikaner Caspar ist der Jüngere, Balthasar steht in den besten Jahren, Melchior ist ein greiser König. Wenn er sich an der Krippe beugt, zeigt das: „Die Macht muss niederknien.“ Und: „Wer Großes sucht, findet es im Kleinen.“ Und schließlich symbolisieren die Könige die drei damals bekannten Erdteile Afrika, Asien und Europa. Deshalb bräunt sich meist ein Kind als Caspar das Gesicht. „Afrika wird als ebenbürtiger Kontinent bildlich dargestellt, es ist also gerade das Gegenteil von Rassismus“, greifen Vertreter der Frohnauer Gemeinde die „Black Facing“-Debatte auf.

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