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Fest vertäut am Havelufer. An Bord der "Feen-Grotte" wird nicht mehr gefeiert.

© Jens Mühling

Unterwegs in Berlins Ortsteilen: Wo in Grotten Feen tanzen

96 Ortsteile hat die Stadt. Unser Kolumnist bereist sie alle – von A wie Adlershof bis Z wie Zehlendorf. Mühling kommt rum, Nr. 44: Konradshöhe.

Konradshöhe gehört zu den Ortsteilen, in denen man nicht zufällig auf der Durchfahrt landet. Hinter Konradshöhe kommt nämlich nichts mehr, der winzige Ortsteil hinter dem Tegeler Forst liegt in einer Sackgasse, die im Westen von der Havel und im Südosten vom Tegeler See begrenzt wird. Nur eine einzige Buslinie führt durch den Wald nach Konradshöhe und auf demselben Weg wieder heraus. Außerhalb der Stoßzeiten verkehrt der 222er nur dreimal pro Stunde. 222 mal drei ergibt 666, was vermutlich kein Zufall ist. Konradshöhe: das Biest unter den Berliner Ortsteilen.

Am Havelufer lag ein Restaurantschiff namens „Feen-Grotte“ vertäut. Es war geschlossen. Ich sprach einen sehr betagten Herrn an, der in einer sehr roten Outdoor-Jacke seinen Schäferhund ausführte. Als ich nach dem seltsamen Schiffsnamen fragte, ging ein Lächeln durch sein müdes Gesicht. „Lange Geschichte“, sagte er. Das Schiff habe den Namen eines legendären Tanzlokals übernommen, das in Konradshöhe bis in die Nachkriegszeit existiert hatte. In den Glanzzeiten der Feen-Grotte seien dort die schillerndsten Varietékünstler aufgetreten. Der Mann murmelte ein paar Namen – „aber die sagen Ihnen natürlich nichts mehr“. Aus ganz Berlin seien die Menschen damals zum Tanzen nach Konradshöhe geströmt. „Aber warum Grotte?“, fragte ich. Weil das Lokal einer Tropfsteinhöhle nachempfunden gewesen sei, antwortete der Mann. „Und warum Feen?“ Wieder lächelte er. „Weil da die schönsten Feen tanzten.“

Früher kamen Tausende - zum Tanzen

Früher, fuhr der Mann wehmütig fort, habe es in Konradshöhe jede Menge Ausflugslokale gegeben, der Ortsteil sei an den Wochenenden kaum zur Ruhe gekommen. Als in den 50er Jahren die Straßenbahnlinie eingestellt wurde, mit der er selbst als junger Mann noch zum AEG-Praktikum im nahen Borsigwalde gefahren sei, sei der Publikumsverkehr versiegt. „Keine Ahnung, wo die Leute heute zum Tanzen hinfahren.“

Es war nicht das erste Mal, dass ich bei meinen Touren durch die abgelegeneren Ortsteile von untergegangenen Ausflugslokalen hörte, in denen sich einst Tausende von Berlinern verlustiert hatten. Seltsam, dass diese Welt so sang- und klanglos verschwunden ist, dass heute kein Mensch mehr auf die Idee kommt, zum Tanzen nach Konradshöhe oder Grünau oder Buch zu fahren. Man könnte eine ganze Chronik über diese verschwundenen Amüsierstätten der Berliner Randbezirke schreiben, in der es vor Tropfsteinhöhlen, Varietékünstlern und tanzenden Feen nur so wimmeln würde.

Der richtige Tee für jeden - "Gloob mir, ick spür det"

Im heutigen Konradshöhe gibt es nicht viele Lokale. Die wenigen, die ich am Havelufer entdeckte, waren geschlossen. Erst spät stolperte ich in der Habichtstraße, nahe der alten Villa, in der einst der Cowboy-Artist Billy Jenkins lebte, über einen Stehimbiss namens „Susi’s Hexenhaus“. Allein schon wegen Susi, der wahrscheinlich charismatischsten Imbissköchin Berlins, lohnt sich ein Ausflug nach Konradshöhe. Neben Eintöpfen braut Susi in ihrem Hexenhaus unerhört gute Kräuter- und Früchtetees zusammen, deren Inhalt ihr Geheimnis bleibt. „Ick schau, wat für’n Typ du bist, denn weeß ick, wat für’n Tee du brauchst“, sagte Susi. „Gloob mir, ick spür det.“

Ein Ortsteil, der solche Hexen hat, braucht keine Feen.

Fläche: 2,2 km² (Platz 89 von 96)
Einwohner: 5999 (Platz 87 von 96)
Durchschnittsalter: 49,0 (ganz Berlin: 42,7)
Lokalpromis: Billy Jenkins (Artist), Kim Fisher (Entertainerin)
Gefühlte Mitte: Falkenplatz
Alle Folgen: tagesspiegel.de/96malberlin

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