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Säuglinge auf der Kinderstation des Krankenhauses St. Elisabeth - St. Barbara in Halle (Saale).

© picture alliance / dpa

Überfüllte Kreißsäle in Berlin: Ihr Kinderlein, kommet – aber wo?

Es werden wieder mehr Babys geboren. Das bringt Freude, aber auch Probleme: Berlins Kreißsäle sind immer öfter überfüllt. Zu manchen Zeiten gibt es zu wenig Betten und Hebammen.

Von Sandra Dassler

"Babyboom überfordert Krankenhäuser“, „Kreißsäle wegen Überfüllung gesperrt“, „Rettungswagen mussten andere Kliniken anfahren“ – solche Meldungen der vergangenen Tage möchte Professor Wolfgang Henrich zumindest etwas relativieren. „Von einem Babyboom zu sprechen, ist vielleicht doch etwas übertrieben“, sagte der Direktor der Kliniken für Geburtsmedizin der Charité dem Tagesspiegel: „Und dass Rettungswagen auf andere Kliniken ausweichen, wenn in einer Klinik alle Betten belegt sind, kommt auch in anderen medizinischen Disziplinen vor. Aber es werden keine akuten Notfälle oder Schwangere, die kurz vor der Geburt stehen, abgewiesen. Und meines Wissens ist bislang weder eine Mutter noch ein Kind wegen überfüllter Geburtsräume zu Schaden gekommen.“

Wolfgang Henrich weiß, dass schwangere Frauen sehr sensibel sind, wenn es um die Bedingungen der Geburt geht. Er ist sich aber auch sicher, dass sich angesichts des hohen Standards der Geburtsmedizin in Deutschland und ganz besonders in Berlin keine Schwangere Sorgen machen muss, wenn sie in eine andere als die gewünschte Klinik kommt.

„Bei Risikoschwangerschaften, insbesondere bei Frühgeburten mit der Notwendigkeit der Anwesenheit eines Neonatologen ist das natürlich etwas anderes“, sagt er: „Aber alle anderen werden überall in der Hauptstadt gut versorgt.“

Berlin wächst generell

In der Charité erblickten im vergangenen Jahr 5441 Babys das Licht der Welt. 2015 waren es 5161, im Jahr zuvor 5110. Insgesamt soll es in den 18 Geburtskliniken des Landes Berlin den Angaben eines Babynahrungsherstellers zufolge im vergangenen Jahr 41.728 Niederkünfte gegeben haben, 2015 waren es 37.368. Die Ursachen für den Zuwachs um etwa zehn Prozent liegen nach Ansicht von Ärzten und Gesundheitspolitikern vor allem darin, dass Berlin generell wächst – sowohl durch Zuzug aus anderen Teilen der Bundesrepublik als auch aus dem Ausland.

Auch deutschlandweit kommen mehr Babys zur Welt – allerdings längst nicht genug, um die Entwicklung in Richtung einer überalternden Gesellschaft zu stoppen, sagt Wolfgang Henrich. „Derzeit werden jährlich etwa 800 000 Kinder in Deutschland geboren. Für eine stabile demographische Entwicklung müssten es aber 2,1 Millionen Kinder sein. Davon sind wir noch weit entfernt und deshalb kann vom Babyboom aus meiner Sicht auch keine Rede sein.“

Dennoch müsse man auf den Zuwachs reagieren, sagt Henrich: „Da geht es aber nicht allein um die Zahl der Betten, wie manche fordern, sondern um die personelle Betreuung der Gebärenden durch Ärzte, Hebammen, Schwestern.“ Tatsächlich klagen manche junge Mütter nicht über fehlenden Platz in einer Klinik, sondern darüber, dass sie während der Geburt nicht durchgehend betreut wurden, erzählt eine Berliner Hebamme: „Die angestellten Hebammen in den Kliniken mit den bekannten Sparzwängen haben immer mehr zu tun. Sie schaffen es manchmal nur noch, die Frauen während der Endphase der Geburt zu betreuen, aber nicht während der manchmal doch recht langen Zeit, bis es so weit ist.“

Wegen hohen Andrangs 12 Tage gesperrt

Das beklagt auch Berlins Ärztekammer-Präsident Günther Jonitz. Selbst der moderate Geburtenanstieg um einige tausende Babys im Jahr führe zu Problemen, weil der Personalbestand nicht größer werde, sagt er: „Immer öfter höre ich, dass eine Hebamme gleichzeitig zwei Entbindungen betreuen muss, das kann nicht gewollt sein.“ Durchaus politisch gewollt sei hingegen die Reduzierung des Klinikpersonals – und die Entlohnung der angestellten Hebammen sei gelinde gesagt „nicht anständig“. Da muss es ein Umdenken geben, fordert Jonitz, für das sich die Leiter der Geburtshilfe-Einrichtungen in Berlin stark machen sollten.

Allerdings bestimmen heute nicht die Chefärzte die Gehälter sondern die Kaufmännischen Leiter, sagt Wolfgang Henrich. Die Charité zahle im übrigen eine außertarifliche Zulage an ihre Hebammen. Dass es von ihnen genrell zu wenig gibt, liegt seiner Ansicht nach nicht an der Bezahlung – eine Berufsanfängerin verdiene etwa 2330 Euro Brutto – sondern an der zu geringen Zahl von Ausbildungsplätzen.

Im zum kommunalen Krankenhauskonzern Vivantes gehörenden Klinikum in Friedrichshain mussten die Kreißsäle im Januar dieses Jahres wegen des hohen Andrangs an zwölf Tagen gesperrt werden, sagt Vivantes-Sprecherin Kristina Tschenett: „Wir haben dort einen zusätzlichen Behandlungsraum geschaffen, können aber nicht einfach Stationen erweitern, weil wir an den Berliner Krankenhaus-Plan gebunden sind.“ 2016 kamen in den Vivantes-Geburtskliniken insgesamt 12.602 Babys zur Welt, 503 mehr als im Jahr zuvor. In einigen Bezirken wie Neukölln oder Friedrichshain ist der Zuwachs besonders groß. „Wir sind tatsächlich oft stark ausgelastet“, sagt Kristina Tschenett: „Und auch wir verweisen Patienten, wenn unsere Kapazitäten erschöpft sind, an andere Kliniken. So ist es aber schon immer gewesen.“

„Wir freuen uns über mehr Kinder“

Das bestätigt ein Sprecher der Berliner Feuerwehr. „Wir fahren in solchen Fällen die werdenden Mütter in andere Kliniken, wobei manche Stunden lange Wartezeiten in Kauf nehmen, um in ihr Wunsch-Krankenhaus zu kommen.“ Dass es wegen der steigenden Geburtenzahlen schon mal gesundheitliche Probleme gab, sei ihm aber nicht bekannt, sagt der Sprecher.

Bei der zuständigen Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung sieht man den Geburtenanstieg gelassen und positiv. „Wir freuen uns über mehr Kinder“, sagt Sprecher Christoph Lang: „Und wir haben in Berlin genügend Kapazitäten, es kann nur nicht jeder in seiner Wunschklinik behandelt werden.“

Die Forderungen nach einer generellen Erhöhung der Bettenzahl in den Geburtskliniken weist er allerdings zurück, versichert aber, dass Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) die Entwicklung genau beobachten und wenn nötig die Krankenhaus-Planung entsprechend anpassen werde. „Unabhängig davon haben die Kliniken schon jetzt die Möglichkeit, in eigener Verantwortung Betten umzuwidmen, wenn ihnen das notwendig erscheint“, sagt Christoph Lang. Doch viele Klinikleitungen wissen nicht, von welchen Stationen sie Kapazitäten abzweigen sollten. Auch in anderen Bereichen stünden schon aus wirtschaftlichen Gründen kaum Betten leer, heißt es.

Nicht genug Beleghebammen

Da bleibt werdenden Müttern, die sicher sein möchten, wo sie ihr Kind zur Welt bringen, nur die Möglichkeit, sich um eine sogenannte Beleghebamme zu kümmern, die sie bereits vor und auch während der Geburt betreut und einen Vertrag mit einer bestimmten Klinik hat. „Nachdem ich bei meinem ersten Kind mit der Hebamme, die gerade Dienst hatte, überhaupt nicht klar kam, habe ich das beim zweiten Kind gemacht“, berichtet eine Mutter aus Prenzlauer Berg: „Ich kann das nur jedem empfehlen, es ist entspannter, wenn man sich schon kennt und weiß, dass die Chemie stimmt.“

Allerdings gibt es wohl längst nicht mehr genug Beleghebammen in Berlin. Vielleicht führt ja der derzeitige Geburtenzuwachs zu einer Verbesserung dieser Situation. Die nächste Hürde für die Babyboomer ist übrigens ebenfalls schon in Sicht: „Wir bekommen den Kitaplatz erst sechs Monate später als geplant“, erzählt die Mutter aus Prenzlauer Berg: „Es gibt derzeit einfach zu viele Anmeldungen.“

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