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Türkisch lernen? Özcan Mutlu (Grüne) findet das gut. Indoktrination müsse aber verhindert werden.

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Türkischer Konsulatsunterricht in Berlin: „Kinder müssen vor Propaganda geschützt werden“

Der grüne Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu fordert, den Konsulatsunterricht für türkischstämmige Schüler durch ein staatliches Angebot zu ersetzen.

Vor vierzig Jahren wurde für die damaligen „Gastarbeiterkinder“ Unterricht durch Konsulatslehrer eingeführt, damit sie ihre Muttersprache und die Gepflogenheiten in ihrer Heimat nicht vergessen sollten. Ist das noch zeitgemäß?

In dieser Form ist das nicht mehr zeitgemäß – vor allem nicht angesichts der Entwicklung in der Türkei. Allerdings ist muttersprachlicher Unterricht wichtig für die Sprachbildung. Darum sollte der Konsulatsunterricht ersetzt werden durch Türkisch-Angebote von hiesigen Lehrerinnen und Lehrern.

Es gibt aber nicht genug Personal dafür.

Wenn es nicht ausreicht, muss man es eben ausbilden. Die Türkei schafft es zurzeit, mit 50 Lehrern an 150 Schulen in Berlin den Nachmittagsunterricht anzubieten. Man braucht also gar nicht so viele zusätzliche Kräfte.

Für die Bundesländer ist das Angebot der Konsulate aber bequem: Sie zahlen wenig bis gar nichts und müssen sich nicht kümmern.

Es ist ein Irrglaube, dass sich so Geld sparen lässt: Die späteren Reparaturkosten werden höher sein. Wenn die Kinder indoktriniert werden, ist es umso schwieriger, diese Menschen in unsere Gesellschaft zu integrieren. Die Gefahr der Einflussnahme ist gegeben, daher dürfen und können wir nicht zulassen, dass integrationshemmende politische Propaganda in unseren Schulen betrieben wird, von niemanden.

Aber es gibt Verträge mit der Türkei. Es wird nicht möglich sein, diesen Unterricht auf die Schnelle zu verhindern, ohne dadurch einen außenpolitischen Eklat zu riskieren.

Solange man den Unterricht nicht verhindern kann, muss man Alternativen bieten oder gegensteuern. Dazu gehört, dass man eben im übrigen Unterricht bestimmte Themen objektiv behandelt wie zum Beispiel den Umgang mit Minderheiten in der Türkei, etwa den Kurden.

Was können die Schulen noch tun?

Sie können Kontakt zu den Konsulatslehrern suchen, um sie im Team zu integrieren, sie stärker in den übrigen Unterricht einzubeziehen und die Angebote sogar zu verzahnen. Manche Schulen machen damit schon gute Erfahrungen. Wenn das nicht gewollt ist, ist höchste Vorsicht geboten. Dann sollte die Schule über die Botschaft versuchen, eine andere Lehrkraft zu bekommen.

Das hat in der Vergangenheit mitunter funktioniert. Die Kinder und Familien müssen vor Einflussnahme und Propaganda geschützt werden: Manche Eltern sind ahnungslos und wissen gar nicht, was in dem Unterricht passiert. Eine mögliche Spaltung der türkischen Gesellschaft in Berlin durch einen einseitigen Konsularunterricht kann nicht in unserem Interesse sein.

Aber dann besteht das Risiko, dass der muttersprachliche Unterricht komplett wegbricht.

Die Schulen können doch selbst Angebote organisieren, etwa mit Hilfe des Bonusprogramms: Einen Lehramtsstudenten für 90 Minuten pro Woche zu bezahlen, ist nicht unerschwinglich. Das wäre zumindest eine Möglichkeit für den Übergang, bis mehr ausgebildete Türkischlehrerinnen und -lehrer die deutschen Universitäten verlassen.

Was wären aus Ihrer Sicht weitere Schritte?

Rot-Rot-Grün hat sich in Berlin gerade auf mehr muttersprachliche Angebote geeinigt. Das ist eine sehr gute Grundlage. Jetzt muss entschieden werden, welche Sprachen als erste, zweite oder dritte Fremdsprache oder als AG angeboten werden können. Die ausgebildeten muttersprachlichen Pädagoginnen und Pädagogen werden es auch viel leichter haben, mit den Familien in Kontakt zu treten, wenn es Probleme mit den Schülern gibt. Sie können Brückenbauer sein.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist bei vielen Deutsch-Türken beliebt. Die Menschen identifizieren sich mit ihm und der Türkei – und das noch in der dritten Generation nach Beginn der Zuwanderung. Wie kommt das?

Dafür gibt es vielfältige Gründe. Insbesondere spielen Ausgrenzungserfahrungen dabei eine Rolle. Das Gefühl, dass ihre Kultur, Religion und Sprache nicht willkommen sind, macht sie empfänglich für Propaganda aus der ehemaligen Heimat. Wir müssen endlich die neue Heimat werden. Der jüngste CDU-Parteitagsbeschluss gegen den Doppelpass geht da genau in die falsche Richtung.

Wir müssen auch Interkulturalität stärker leben, insbesondere in den Bildungseinrichtungen.

Unsere Schulen müssen sich öffnen für interkulturelle Bildung, für mehr muttersprachlichen Unterricht und wir brauchen mehrsprachige Pädagogen in den Schulen.

Özcan Mutlu, 48, ist bildungspolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion. Er möchte im Frühjahr 2017 erneut für Platz zwei der grünen Landesliste kandidieren.

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