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Ein Foto für den Geschichtsunterricht: Eines der bekanntesten Maueropfer, Peter Fechter, wird nach seinem missglückten Fluchtversuch und einer Ewigkeit, die er in seinem Blut lag, von einem Grenztrupp aus dem Todesstreifen geholt. Zu diesem Zeitpunkt lebte er noch. Links: Hauptmann Schäfer und Oberfeldwebel Wurzel (unten); rechts: Volkspolizeiobermeister Mularczyk, darunter Gefreiter Lindenlaub.

© Wolfgang Bera/dpa

Tod an der Berliner Mauer: Peter Fechter im Sterben – ein Foto und seine Geschichte

Vor 50 Jahren wurde Peter Fechter beim Versuch erschossen, über die Mauer zu entkommen. Die Aufnahme mit den DDR-Grenzern, die den Sterbenden fortschleppen, ging um die Welt. Doch Fechter war nicht das einzige Maueropfer, das angeschossen ohne rechtzeitige Hilfe verblutete.

Schüsse peitschen, Pressefotograf Wolfgang Bera zuckt zusammen, dann rennt er zu einem Ruinengrundstück an der Zimmerstraße in Mitte und sieht, wie eine alte Frau auf der Ostseite von ihrem Fenster im vierten Stock aus auf den Todesstreifen zeigt.

Bera zieht sich an der Westseite der Mauer, die aus Ziegeln besteht, zum Stacheldrahtkranz hinauf und erkennt einen jungen Mann in einer Blutlache am Boden. Er lässt sich wieder hinab, ruft die US-Soldaten am nahen Checkpoint Charlie um Hilfe an, doch sie zucken die Schultern. „Nicht unser Bier.“ Nun vergeht eine schier endlose Zeit, bis DDR-Grenzer nach 50 Minuten den Schwerverletzten fortschleppen. Wolfgang Bera beobachtet das von seiner Stehleiter aus durchs Teleobjektiv – und drückt ab.

So entstand heute vor 50 Jahren, am 17. August 1962, ein Foto, das wie ein Fanal die Brutalität des DDR-Regimes zeigt. Einer der vier Grenzer, die den Sterbenden auf ihre Seite bringen, schaut mit verzerrtem Gesicht zur Westseite. Im US-Sektor rufen mittlerweile hunderte Berliner: „Mörder! Mörder!“

Das Bild ging um die Welt – und es wird auch am heutigen 50. Todestag Peter Fechters an der Gedenkstätte Berliner Mauer in Wedding zu sehen sein. In der Kapelle der Versöhnung wird ab 12 Uhr eine Andacht für ihn gehalten, danach legen 80 Schüler Rosen ab und diskutieren mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit über den „Wert der Freiheit“.

Gleichfalls am Gedenktag will Mittes Bürgermeister Christian Hanke (SPD) die Position des Bezirks zur Forderung erläutern, die Zimmerstraße in Peter-Fechter-Straße umzubenennen. Wie berichtet, setzt sich dafür eine Bürgerinitiative ein. Vorab gab Hanke keine Stellungnahme ab, aus SPD-Kreisen verlautete aber, dass ein Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von 2002 einer Umbenennung im Wege stehen könne. Danach sollen neue Namen vorrangig Frauen ehren, da diese auf Straßenschildern in der Minderheit seien.

Zu spät. Erst 50 Minuten, nachdem Fechter angeschossen worden war, schleppten DDR-Grenzer den Schwerverletzten fort.
Zu spät. Erst 50 Minuten, nachdem Fechter angeschossen worden war, schleppten DDR-Grenzer den Schwerverletzten fort.

© dpa

„So helft mir doch! So helft mir doch“ flehte der angeschossene junge Mann, der mit seinem Freund Helmut Kulbeik über die ein Jahr zuvor errichtete Mauer entkommen wollte. Als die beiden um 14.11 Uhr aus einem Versteck heraus losliefen, fielen 34 Schüsse. Eine Kugel traf Fechter in den Unterleib, Kulbeik gelang die Flucht. Als die vier Grenzer den bewusstlosen Flüchtling schließlich aufhoben, waren die zwei Todesschützen nicht dabei. Sie wurden von ihren Vorgesetzten später belobigt – und 1997 zu Bewährungsstrafen verurteilt. Zu sehen sind auf Wolfgang Beras Foto der zuständige Hauptmann Heinz Schäfer, Chef der Grenzstelle Rummelsburg, sowie Oberfeldwebel Horst Wurzel, Volkspolizeiobermeister Heinrich Mularczyk und der Gefreite Klaus Lindenlaub am Schluss des Trupps.

Über die Schicksale des rangniederen Trios ist wenig bekannt. Nur Heinz Schäfer trat 2001 an die Öffentlichkeit und versuchte den Vorwurf, man habe Fechter Hilfe verweigert, zu relativieren. Nach seiner Darstellung war eher Desorganisation für die Verzögerung ausschlaggebend. Er habe erst zur Zimmerstraße fahren müssen. So lange mussten die Wachen offenbar warten, ohne seinen Befehl hätten sie den Grenzstreifen nicht betreten dürfen.

Die Namen der Grenzer, die Fechter forttragen, nennt das Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (Lisum) in einem Aufsatz zu dem erschütternden Bild. Das Institut erstellt pädagogische Materialien. Es schildert am Beispiel der Aufnahme die „Macht eindrucksvoller Bilder“, so Christoph Hamann, Lisum-Referent für Geschichte und Gesellschaftswissenschaft. Es gebe noch etliche andere Maueropfer, die gleichfalls angeschossen ohne jede Hilfe verbluteten, sagt er. So der Fluchthelfer Dieter Wohlfahrt, der in Staaken am 9. Dezember 1961 zu Tode kam. Er sei weniger im Bewusstsein der Menschen. „Es fehlen die erschütternden Bilder“, sagt Hamann.

Fechters Sterben wurde auch von Ost- Berliner Seite aus fotografiert. DDR-Journalist Dieter Breitenborn war dabei. Seine Bilder wurden konfisziert. Sie kamen nach der Wende an die Öffentlichkeit.

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