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Die Wirkung von Musik auf Pferde war der Ausgangspunkt für die Theater-Idee.

© Promo

Tierisches Theater in Berlin: Pferdetanz zu elektronischer Musik

In Tegel gibt es ab Sonnabend Pferdetheater. Das liegt irgendwo zwischen Performance, Happening und Kunst – mit hypnotischen Momenten. Ein Besuch in der Reithalle.

Dass Zuschauer einer Theaterperformance hinter zwei Reihen Tau vor eventuellen Übersprungshandlungen der Darsteller in Sicherheit gebracht werden, ist im Kulturbusiness so selten wie die Befürchtung, einer aus der Truppe könnte beim Applaus vorübergehend die Nerven verlieren. Aber bei der Performance-Probe geht dann alles ganz gesittet zu, von irgendwelchen Verspanntheiten keine Spur, vielmehr herrscht eine fast schon gespenstische Gelassenheit.

„Wir proben den zweiten Teil“, blökt Leon Vermeulen via Sprechanlage in die abendlich-schummrige Halle, die Soundanlage ist nicht richtig eingestellt, sie quietscht und dröhnt und wäre geeignet, auch psychisch robustere Naturen als Pferde zu erschrecken – und die betrifft letztlich die Order. Was hier jetzt geprobt wird, nennt sich nämlich Pferdetheater.

Auch für ein Publikum jenseits der Reiterszene

In der großen Halle des Ländlichen Reitvereins Tegel kurz hinter der Stadtautobahnabfahrt Waidmannsluster Damm wurde eine riesige Leinwand aufgestellt, direkt hinter den Eingang. Geht man um sie herum, sieht man in der Mitte der Reithalle ein paar Stühle testweise aufgestellt. Da soll ab dem 10. September 2016 an drei Samstagen hintereinander das Publikum Platz nehmen. Pferde und Reiter haben die Außenbahn und den Platz vor der Leinwand für die Aufführung von „Nocturne II – Losing your Vitamin C“ für sich.

Leon Vermeulen, gebürtiger Belgier, studierter Kriminologe und dreisprachig als Pferdetrainer unterwegs, ist der hauptsächliche Ideengeber des Pferdetheaters. Er erfand es vor 16 Jahren auf Usedom und entwickelte dort so weit, dass es im Veranstaltungskalender der Insel als Attraktion einen festen Platz hatte.

Seit zwei Jahren ist Vermeulen nun auch Reitlehrer beim LRV Tegel und darüber hinaus ungebrochen begeistert von der Idee, mit Pferden mehr zustande zu kriegen als ordnungsgemäß gerittene Kringel. Irgendetwas, das ein Publikum auch jenseits der Reiterszene anspricht: Kulturinteressierte, Freunde von Performance, Happening und Kunst. Reitende Zuschauer nämlich, so die Erfahrung, neigten ein wenig dazu, an der Performance gestrenge Dressurkritik zu üben, statt sich Eindrücken und Emotionen hinzugeben.

Hypnotische Momente

Bei der Probe sind fünf Reiterinnen mit ganz unterschiedlichen Pferden da, spanische Schimmel, braune Warmblüter, die sie alle gut im Griff haben, so dass keines sich Sperenzien erlaubt. Es geht als Scherenschnitt hin und her vor der Leinwand , auf der unterschiedliche Videosequenzen laufen. Es gibt Piaffen im Takt marschierender Soldaten. Hinterhandwendungen à la Autoscooter zu flimmernden Bildern mit Motiven aus dem modernen Großstadtwahnsinn, und all das in halber Dunkelheit, in der Laternen Lichtinseln schaffen und gespenstische Schattenwürfe, und über all dem die elektronisch- scheppernde Musik, die alles Schnauben und Stampfen aufsaugt und übertönt, was mitunter regelrecht hypnotische Momente erzeugt.

Dann gibt es auch wieder Verwirrungen im Setting, Pferde müssen einander schnell noch ausweichen, hier steht das eine nicht richtig, da kommt das andere schon hinter der Leinwand hervor, als noch gar nicht sein Einsatz ist, und bei der Probe sind es nur fünf, in der Aufführung sollen es 15 Pferde sein. Da sei ja noch ordentlich zu üben, quäkt Vermeulens Stimme nach dem ersten Durchgang aus dem Lautsprecher. Und dann kommt der zweite.

Die Musik beeinflusst die Pferde

Vor Probenbeginn, als es draußen noch heller war, standen die Pferde, die jetzt feurig und entschlossen durch die Choreographie strampeln, in ihren Putzplätzen und ließen zu klassischer Musik vom Band Augenlider und Unterlippen hängen. Ein Bild von nahezu ansteckender Schläfrigkeit. Die Wirkung von Musik auf Pferde war auch die Initialzündung zu Vermeulens Pferdetheateridee. Er habe beim Training mit Ausbildungspferden oft Musik laufen lassen, erzählt er, was mehr und mehr Zuschauer angelockt habe, was wiederum ihn mehr und mehr angespornt habe, denen auch etwas zu bieten. „Die Leute haben so gut reagiert“, sagt er, und da sei ihm klar geworden, dass sich aus der Kombination Pferd, Musik, Theater etwas machen lasse. „Zwei bis drei Jahre später“ sei das erste Stück fertig gewesen.

Die Reiterinnen, auf die Vermeulen für die „Nocturne“-Aufführung zurückgreift, kommen zwar auch vereinzelt aus dem Tegeler Reitverein und sind mit Schulpferden dabei, aber die meisten sind mit eigenem Tier in der Dressurreiterei bis in die höheren Klassen unterwegs. Für sie sei die Arbeit mit Vermeulen eine tolle Abwechslung im Training und Gelegenheit, ihr Pferd noch mal anders kennen zu lernen, sagen sie. Und so gehören einige von ihnen schon seit Usedomer Zeiten zum Pferdetheater-Ensemble. Marlen Schulz etwa, quasi die reitende Regieassistentin, deren Pferd dasjenige ist, dem große Probleme mit dem Applaus nachgesagt werden. Dass beim Pferdetheater so viele Leute zusammengefunden hätten, denen dasselbe Spaß macht, findet sie cool – und ist zuversichtlich, dass ihr Pferd eines Tages lernen wird, plötzlich aufbrandendes Klatschen als Belohnung zu würdigen. Und vielleicht wirft das Publikum ja auch ein paar Möhrchen.

Pferdetheater Berlin „Nocturne II“, 10.9., 17.9., 24.9.2016, 20 Uhr, LRV Tegel, Waidmannsluster Damm 10, Eintritt neun Euro, Kinder unter zwölf Jahren frei, Karten unter: pferdetheater-berlin.de

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