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Paradestrecke. Das Tempelhofer Feld war jahrzehntelang fest in der Hand des Militärs (hier im Jahr 1913).

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Tempelhofer Feld: Ein Feld mit vielen Herren

Die Freifläche von Tempelhof war noch viel größer, als sie 1351 erstmals urkundlich erwähnt wurde. Sie war Paradeplatz, Leidensort und oftmals militärisches Gelände. Hier feierte die Luftfahrt ihre größten Triumphe – und auch die Freiheit. Eine Chronik.

Übers Tempelhofer Feld pfeift der Wind, die Gäule der Pferdebahn Tempelhof stört das nicht, geruhsam trotten sie dahin. Auch die Soldaten des Ballon-Detachements, das im Jahr zuvor am westlichen Rand des riesigen Geländes stationiert worden ist, sorgen sich nicht um die beiden Fesselballons, die an ihrem Halterungswagen festgemacht sind: Er ist gut verankert und schwer beladen, das sollte genügen. Tut es aber nicht: Eine Böe reißt den Wagen los, der Fahrt aufnimmt, immer schneller wird und auf die Pferdebahn losrast. Es rummst, kracht, splittert – dann liegt die Bahn auf der Seite, purzeln die Passagiere durcheinander, zum Glück ohne sich groß zu verletzen. Ballons und Wagen aber treiben weiter, eine frühe Form des Kite Skating, noch unbemannt. Erst in der Hasenheide endet die Fahrt.

Auch dieser kuriose Unfall von 1895 gehört zu den Mythen und Legenden, die das Tempelhofer Feld so zahlreich umwabern. Eine wohl einmalige, gleichwohl fürs Areal typische Begebenheit, überschneiden sich hier doch die zwei Hauptstränge seiner Historie: der militärische und der luftfahrttechnische. Dem kriegerischen und bekanntlich älteren verdanken wir die erste schriftliche Erwähnung des Tempelhofer Feldes, als Ort eines Heerlagers von Markgraf Ludwig I., in dem ein Zwist mit Berlin-Cölln am 22. Juli 1351 per Federstrich beendet wurde: „to velde in dem Dorpe to Tempelhove“.

Es gab viele spontane, ungeordnete Umwidmnungen

Ähnlich spontane, noch ungeordnete Umwidmungen des an sich agrarisch genutzten Feldes gab es in den folgenden Jahrhunderten hin und wieder, so 1631, als Schwedenkönig Gustav Adolf seine Regimenter dort Aufstellung nehmen ließ, um den Bündnisverhandlungen mit Kurfürst Georg Wilhelm Nachdruck zu verleihen – mit Erfolg. Eine kontinuierliche militärische Tradition erhielt das Feld, das damals im Westen noch weit über den heutigen Tempelhofer Damm hinwegreichte und auch den nordwestlich angrenzenden Tempelhofer Berg umfasste, erst 1722, als Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, es als Truppenübungs- und Paradeplatz entdeckte. Seither wurde dort regelmäßig das Marschieren geübt, Krieg gespielt und hohen Gästen – so 1728 August dem Starken von Sachsen – die schimmernde Wehr vorgeführt.

Fugfeld mit Geschichte. Der Flughafen Tempelhof im Jahr 2003.
Fugfeld mit Geschichte. Der Flughafen Tempelhof im Jahr 2003.

© picture-alliance/ dpa

2000 Taler Entschädigung gab es pro Jahr für die Bauern, die dennoch ständig maulten, bis es dem Staat zu bunt wurde und er das Tempelhofer Feld 1826/27 fürs Militär kurzerhand kaufte. Der Tempelhofer Berg, der 1813 mit Laufgräben und Geschützständen vorsorglich zur Festung ausgebaut worden war, um einem Angriff der napoleonischen Truppen begegnen zu können, hatte mittlerweile sein Nationaldenkmal und hieß nun Kreuzberg, fiel fürs Erlernen des Kriegerhandwerks also aus. Auch das verbliebene Areal musste im Laufe der Jahrzehnte manchen Schwund hinnehmen, etwa durch den Bau von Galopprennbahnen, Bahnanlagen und ab 1908 durch Umwandlung der Fläche westlich des Tempelhofer Dammes zu einem Neubaugebiet. Auch nutzten die Berliner es mit Aufkommen der Fußballbegeisterung gern als Ort des Kickens, auf provisorisch markierten Spielfeldern oder auch in dem 1936 abgerissenen Preußen-Stadion. Aber der Kernbereich des späteren Flughafengeländes wurde doch bis 1918 militärisch genutzt, mit der angeblich auf den Soldatenkönig zurückgehenden „Paradepappel“ als Mittelpunkt, an dem die jeweiligen Heerführer, allen voran Wilhem II., den Vorbeizug ihrer Heerscharen inspizierten. Erst dem Bau des heutigen Flughafens wich der Baum.

Auf dem Tempelhofer Feld spielte sich die Vorgeschichte der Luftfahrt ab

Dessen Vorgeschichte begann 1883 mit dem Schweizer Maler Arnold Böcklin, der auch ein Faible fürs Fliegen hatte, aber untaugliche Gleitflugmaschinen baute. Eine wollte er auf dem Tempelhofer Feld ausprobieren, der Wind zerstörte sie.

Erfolgreicher war später das Militär mit seinen Aufklärungsballons, auch die Wissenschaft, organisiert im Deutschen Verein zur Förderung der Luftfahrt, zog nach, ließ 1893 vor kaiserlichem Publikum seinen Ballon „Humboldt“ steigen, der zwei Monate später aber explodierte, noch ohne Todesopfer. Anders endete am 12. Juni 1897 der Absturz des lenkbaren Luftschiffs, das der Dresdner Konstrukteur Hermann Wölfert entworfen hatte: Er und sein Mechaniker starben dabei.

West-Berliner Jungen, die auf einem Trümmerberg stehen, begrüßen winkend ein US-amerikanisches Transportflugzeug, das während der Luftbrücke Versorgungsgüter nach West-Berlin bringt (Archivbild von 1948).
West-Berliner Jungen, die auf einem Trümmerberg stehen, begrüßen winkend ein US-amerikanisches Transportflugzeug, das während der Luftbrücke Versorgungsgüter nach West-Berlin bringt (Archivbild von 1948).

© picture-alliance / dpa

Den Triumphzug der Fliegerei bremsten solche Unglücksfälle allenfalls kurz, und eine ihrer Ruhmesstätten wurde das Tempelhofer Feld. 1909 lockten gleich drei fliegerische Sensationen Berliner zu Hunderttausenden an: Am 29. August lenkte Graf Zeppelin sein Luftschiff LZ 6 übers Feld, fünf Tage später zog dort Orville Wright seine Runden und stellte nebenbei einen Höhenrekord auf: 172 Meter. Und einige Wochen später gelang dem Franzosen Hubert Latham in seinem Aeroplan der erste Überlandflug in Deutschland – von Tempelhof nach Johannisthal.

Mit der Eröffnung des Flugplatzes Johannisthal 1909 war Tempelhofs Rolle in der Luftfahrtgeschichte erst mal vorbei, die als Paradeplatz mit der Niederlage im Ersten Weltkrieg auch. Zwei Jahre später kam das Areal mit der Bildung von Groß-Berlin unter städtischen Einfluss. Es gab Pläne für ein Messegelände, Leonhard Adler, Stadtbaurat für Verkehr, setzte aber auf einen stadtnahen Flughafen. Das Militär, noch immer im Besitz des späteren Flughafengeländes, zeigte sich verkaufsbereit, und so ging am 8. Oktober 1923 mit der Verbindung Berlin–Königsberg der winzige, noch provisorische Flughafen Berlin in Betrieb. Am selben Tag wurde der Ausbau zum Zentralflughafen Berlin-Tempelhof beschlossen. Fünf Jahre später war er fertig – und zu klein. Der zivile Luftverkehr befand sich im stürmischen Aufwind, in Deutschland beflügelt durch den Zusammenschluss von Aero Lloyd und Junkers 1926 zur Lufthansa, mit Tempelhof als Heimathafen. Ohnehin war die Fliegerei damals Volksvergnügen Nr. 1. Hunderttausende zog es zu Flugtagen nach Tempelhof, um Akrobaten der Lüfte wie Ernst Udet zu bestaunen.

Die frühen Nachkriegsjahre wurden die strahlendsten im Mythos Tempelhof

Der 30. Januar 1933 beendete nicht die aeronautischen Volksfeste, sie nahmen aber deutlich militärischen Charakter an. Und am 1. Mai hatte die Gleichschaltungsmaschinerie der Nazis das Tempelhofer Feld übernommen. Anderthalb Millionen Menschen sollen zu der Massenkundgebung am Tag der Arbeit auf dem Feld zusammengekommen sein. Schon bald gab es Pläne für einen neuen Flughafen, den Ernst Sagebiel ab 1935 entwarf. Zur Fertigstellung der Anlage reichte die Zeit bis Kriegsausbruch nicht mehr aus. Danach wurden Flughafengebäude teilweise zur Produktionsstätte von Kampfflugzeugen, und das Areal, das in den ersten Jahren nach Hitlers Machtübernahme mit der Einrichtung eines Gestapo-Gefängnisses und eines Konzentrationslagers im Columbia-Haus schon zu einer Stätte des NS-Terrors geworden war, wurde zum Leidensort für Zwangsarbeiter.

Die frühen Nachkriegsjahre wurden die strahlendsten im Mythos Tempelhof, trotz aller Not durch die sowjetische Blockade. Tempelhof war nicht der einzige West-Berliner Flughafen während der Luftbrücke 1948/49, aber der erste und wichtigste – und damit derjenige, der sich als Symbolort der Freiheit ins kollektive Bewusstsein der Stadt eingegraben hat. Die Jahrzehnte danach mit mal rein militärischer Nutzung durch die Amerikaner, mal auch ziviler, geraten allmählich in Vergessenheit, werden in der Erinnerung überlagert von der Freude über die unverhofft der Stadt zugewachsene Freizeit- und Parkfläche. Und es ist dabei schon fast eine kleine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet Kite Skating, das in der ungeplanten militärischen Ur-Version zu den Anfängen des Tempelhofer Feldes die Berliner erheiterte, als Volksvergnügen nun dort eine so große Rolle spielt.

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