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Perspektive. Das Foto entstand auf der Aussichtsplattform der St. Nikolai-Kirche.

© Björn Seeling

Tagesspiegel Umlandserie (3): Potsdam schwankt zwischen Rokoko und DDR-Moderne

Die Stadt im Wandel, das ruft Konflikte auf den Plan. Nicht alle freuen sich über den stetigen Zuzug und teure Rekonstruktionen.

So ist das mit dieser Stadt: Ihre Schönheit ist keine Frage der Perspektive. Ob man Potsdam vom „Belvedere“ im Norden betrachtet oder vom Flatow-Turm im Babelsberger Schlosspark oder von St. Nikolai – von überall sieht man, was den Charme der alten Stadt ausmacht. Da ist das Wasser der Havel, da ist das viele Grün, die alten Bäume in den Parks. Da sind die unterschiedlich hohen alten Häuser, die die Ansicht so abwechslungsreich machen. Man sieht eine reizvolle Stadt von einer Größe, die man gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad bewältigen kann.

Potsdam, so der erste Eindruck, kann sich selbst genug sein. Das täuscht. Denn die Stadt mit der Brücke nach Berlin lebt in und mit einem Spannungsverhältnis zu ihrer großen Schwester. In jeder Hinsicht: historisch, kulturell, ökonomisch. Potsdam und Berlin geben sich und nehmen sich: Arbeitskräfte, Besucher, Schüler, Studenten, Touristen, Kino- und Konzertgänger.

Potsdam lockt Familien aus Berlin

Was zu ähnlichen Entwicklungen führt. Etwa einem kräftigen Zuzug. Rund 155 000 Einwohner hatte Potsdam im Jahr 2010; im vergangenen Jahr waren es 171 600. Potsdam boomt. Aus Berlin, sagt Rathaus-Sprecher Stefan Schulz, kämen genauso viele Neu-Potsdamer wie aus Brandenburg. Es ist wie überall im Umland der Metropole und in ihr: es wird enger. Was man sieht, wenn man in Potsdam unterwegs ist. Brachen werden zugebaut, Lücken verschwinden. „Wohnen am Wasser“ steht besonders gern auf den Bauschildern. Tausend Wohnungen müssten jedes Jahr neu entstehen, damit die Stadt die Zuzügler unterbringen könne, sagt Schulz.

Bislang waren rund ein Viertel der Neubauten der Statistik zufolge Einfamilienhäuser, viele davon Bauvorhaben von Berliner Familien, die in Potsdam noch finden, was in Berlin nicht mehr so leicht zu bekommen ist: Ein Grundstück für ein Haus mit Garten, Kita-Plätze und Schulen, die im Ruf stehen zu funktionieren; dazu Parks in der Nähe, vielleicht sogar ein See oder die Havel. Und die Fahrt zur Arbeit in Berlin dauert dank S- und Regionalbahn und der noch immer belastbaren Straßen auch nicht länger als die Touren, die Berliner absolvieren. Potsdam zieht Bürgerliche an, die den Eindruck haben, dass ihre Interessen in der großen Stadt nebenan nicht immer mehrheitsfähig sind.

„Hauptstadt der Jammer-Ossis“

So war das nicht immer. In den Jahren nach dem Mauerfall erwarb sich Potsdam den Ruf der „Hauptstadt der Jammer-Ossis“ – graugesichtige ehemalige SED- Funktionäre, die in ihren Plattenbauwohnungen den Zeiten der DDR-Bezirkshauptstadt und der Beschäftigung in der SED-Bezirksleitung nachtrauerten. Denn auch das ist Potsdam, jedenfalls südlich der Havel: eine Stadt der Hochhäuser, wie man sie auch in Berlin-Hellersdorf sieht, der Betonplatten, der Siedlungen für die Leute, die sich den sanierten Altbau in der Brandenburger oder Berliner Vorstadt nicht leisten können.

Der Konflikt zwischen dem alten und dem modernen Potsdam zeigte sich über viele Jahren in der Stadtpolitik und da besonders am Gewicht der Linkspartei – auch wenn es nie dazu reichte, dass sie den Oberbürgermeister stellte. Reste dieses Konflikts gibt es noch – in der Stadtentwicklungspolitik, beim Streit um den Fortbestand des architektonischen Nachlasses der DDR.

Potsdams Mitte wird richtig teuer

Heute sind es weniger die Frontmänner der Linken, die für die aus Betonteilen gebaute Fachhochschule streiten, für den benachbarten „Staudenhof“ mit seinen sehr preiswerten Wohnungen, für das frühere „Rechenzentrum“ mit seinem an den Arbeiter- und Bauernstaat gemahnenden Mosaik – es ist ein Bündnis junger linker Stadtbewohner, die in Berlin mit dem Kampfbegriff „Gentrifizierung stoppen“ antreten würden. Sie wollen die „Potsdamer Mitte neu denken“. Die neue Mitte der Stadt ist nach Meinung dieser Kritiker auf einem fatalen Weg in ein Art neo-preußisches Disneyland: historisch rekonstruiert, auf touristische Bedürfnisse und Interessen hin gestaltet, bewohnbar nur für Leute mit richtig viel Geld.

Tatsächlich ist rund um die Fachhochschule von den Brachen der 90er so wenig übrig wie von den billigen Studentencafés. Der missglückte Ersatzbau für das Hans-Otto-Theater wurde abgerissen. Günther Jauch, Wahlpotsdamer und Stadtmäzen, spendierte das sogenannte Fortuna-Portal, und damit begann die historische Rekonstruktion des früheren Potsdamer Stadtschlosses, in das der brandenburgische Landtag einzog.

Nahezu komplett zeigt sich das wiederaufgebaute Stadtschloss in Potsdam im Licht der Morgensonne.
Nahezu komplett zeigt sich das wiederaufgebaute Stadtschloss in Potsdam im Licht der Morgensonne.

© Ralf Hirschberger/dpa

Palais Barberini übertraf die Erwartungen

Inzwischen zeigt der SAP-Gründer, Wahlpotsdamer und Stadtmäzen Hasso Plattner im ebenfalls rekonstruierten Palais Barberini seine Gemäldesammlung – und im Rathaus sieht man glücklich auf die Besucherschlangen, die nun die neue Potsdamer Mitte erobern und nachher vielleicht noch zum Essen, Trinken, Schlendern und Shoppen bleiben. Das Museum öffnete im Januar – inzwischen hatte es laut Stadtsprecher Schulz 320 000 Besucher. Am Wochenende hat eine neue Ausstellung eröffnet: „Von Hopper bis Rothko“ über US-Kunst.

Abriss der DDR-Moderne

Die Leute von „Potsdamer Mitte neu denken“ fordern weiter „kein öffentliches Geld für Abrisse“, etwa der Fachhochschule. Doch die Stadt hat ihre – von der Stadtverordnetenversammlung beschlossenen – Entwicklungspläne. Und dazu gehören private Stadthäuser in ebenjener Mitte.

Die Modernisierung über die DDR-Moderne hinweg ist sozusagen beschlossene Sache. Gerade ist ein neues Schwimmbad auf dem Brauhausberg in Betrieb gegangen – Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) ist für einen kleinen Werbefilm extra vom Drei-Meter-Brett gesprungen, „mit einem Köpper!“, sagt Rathaussprecher Schulz. Stadtentwicklung als Mehrwert für alle, bis auf die erwähnten Kritiker – in Potsdam funktioniert sie, auch wenn sich die neue Mitte um das Landtagschloss herum ziemlich synthetisch anfühlt.

Der Vorteil für die Stadt: Die Einnahmen fließen, der Haushalt soll im kommenden Jahr ausgeglichen sein, es ist Geld da für Kitas und Schulbauten – und für noch mehr Entwicklung, in Richtung Norden. Um den Hasso-Plattner-Campus am Jungfernsee entsteht ein weiteres (teures) Wohngebiet, angebunden durch eine neue Straßenbahn. Und dann ist da noch das Großbauprojekt Krampnitz, das weitläufige ehemalige Kasernenareal mit einer Menge alter Gebäude. Dort sollten mal Einfamilienhäuser für 3500 Neu-Potsdamer gebaut werden – inzwischen ist von 6000 Bewohnern und Mehrfamilienhäusern die Rede.

In Sachen Verkehr besteht noch Redebedarf

Womit man beim einzigen großen Problem der Stadt angekommen ist, dem Verkehr. Potsdam ist eine Stadt im Stau. Die Politik setzt auf sanften Zwang zum öffentlichen Nahverkehr. Am Thema Verkehr zeigt sich aber auch der große politische Abstand zwischen Potsdam und Berlin. Dass man über die Verbindung des Potsdamer Nordens mit Berlin mal reden müsse, empfindet man im Rathaus nicht so. Der Spandauer Bürgermeister Helmut Kleebank sieht das anders. Er will demnächst mal mit dem Kollegen in Potsdam darüber sprechen, wie man die Staustelle an der Landesgrenze (sprich am Ritterfelddamm) langfristig entschärfen kann.

Berlin wächst über sich hinaus – und mit dem Umland zusammen. In unserer Serie stellen wir acht Orte und Regionen vor, die von der wachsenden Metropole profitieren. Welche Chancen eröffnen sich, und welche Herausforderungen stellen sich? Wer bietet mehr: neue Wohnungen, Kitas und Schulen, Lebensqualität, kurze Wege nach Berlin. Unsere Reise führt einmal rund um die Hauptstadt. Nächste Folge: Bernau bei Berlin.

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