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Blick über die Stadt. Gesorgt wird hier für die Bürger, sagt Bürgermeister Jürgen Henze.

© Stefan Jacobs

Tagesspiegel-Umlandserie (2): Die Mehr-Generationen-Stadt

Neuenhagen an der S 5 hat seine Einwohnerzahl seit DDR-Zeiten auf inzwischen 18.000 verdoppelt. Viel Platz im Grünen gibt es dort noch.

Umspannwerk, Autobahn, Trainierbahn, aber kein Fluss oder See – vom Stadtplan her sah Neuenhagen nicht nach einem Ausflugsziel der Extraklasse aus. Aber wenn man Bürgermeister Jürgen Henze (parteilos) nach den Vorzügen seines Ortes fragt, kann er eine halbe Stunde am Stück reden. Er tut es in seinem Amtszimmer im Rathaus von 1926, in dessen unterer Hälfte verwaltet und geheiratet wird, während die obere einst als Wasserturm diente. Jetzt gruppieren sich um den Tank ein Turmfalkenpaar, Mobilfunkantennen und eine Aussichtsbalustrade. Von der aus sieht man westwärts am Horizont Marzahn und im Süden die Müggelberge, während die übrige Bildfläche vom Wechsel aus luftig stehenden, schicken Einfamilienhäusern sowie Gärten und Bäumen dominiert wird. Um die Autobahn sind auch Äcker und Gewerbehallen erkennbar, dahinter Richtung Strausberg verschwindet alles im grünen Bereich.

Nach Strausberg fährt auch die S-Bahn, entlang deren Strecke der administrative „Mittelbereich“ Neuenhagen sich aufreiht. Zwischen Berlin und dem Hauptort liegt Dahlwitz-Hoppegarten, dahinter folgen Fredersdorf-Vogelsdorf und Petershagen-Eggersdorf. Alles keine Berühmtheiten, wenn man von der Galopprennbahn absieht.

Das rund 90 Jahre alte Rathaus mit dem integrierten Wasserturm ist das prominenteste Gebäude von Neuenhagen.
Das rund 90 Jahre alte Rathaus mit dem integrierten Wasserturm ist das prominenteste Gebäude von Neuenhagen.

© Stefan Jacobs

Aber Henze sieht mehr in seinem Ort: Das Bürgerhaus mit gut 270 Veranstaltungen im Jahr, die größte Bibliothek des Landkreises MOL, die neue deutsch-polnische Kita, 70 Vereine, das Seniorenhaus, die mittlerweile mehr als 16.000 Straßenbäume, die trotz zunehmenden Andrangs noch immer mindestens 600 Quadratmeter großen Baugrundstücke, die dank gezielter Abwehrstrategie deutlich gesunkenen Einbruchszahlen und die vielen inhabergeführten Geschäfte, die die Gemeinde qua Einzelhandelssatzung vor Kannibalen schützt.

"Wir sind keine Schlafstadt"

Mit 9000 Einwohnern sei Neuenhagen das größte Dorf der DDR gewesen. Auf eine Nachwendedelle folgte stetes, aber im Vergleich zu anderen Randberliner Orten gemächliches Wachstum auf jetzt 18.000 Einwohner. Die Bevölkerungsprognose sagt allen Gemeinden entlang der S 5 weiteren leichten Zuwachs voraus – auch darin ähneln sie sich. Und darin, dass die Leute morgens anderswo hin zur Arbeit fahren? Die Zahl von 23.000 Auspendlern bei 62.000 Einwohnern legt es nahe, aber Henze versichert: „Wir sind keine Schlafstadt.“

Die ist die Gegend ist gut gepflegt – von der Infrastruktur bis zu den Trabis.
Die ist die Gegend ist gut gepflegt – von der Infrastruktur bis zu den Trabis.

© Stefan Jacobs

Zum einen gibt es fast 15.000 Arbeitsplätze im Gebiet, zum anderen herrscht praktisch Vollbeschäftigung, obwohl sie hier keine Promis haben wie Daimler oder Rolls Royce. „Zehn Kleine sind mir lieber als ein Großer“, sagt Henze und berichtet von den regelmäßigen Neubürgerbegrüßungen, was für Zuzügler zähle: Nach Infrastruktur samt Kitas, Schulen und Vereinen komme die Seniorenbetreuung. Neuenhagen lege besonderen Wert auf altengerechte Wohnungen jenseits trister Heime. Zumal auch die Bauherren der Nachwendezeit altern, aber nicht weg wollen. Manche machen Platz für Mieter, denen die Gemeinde ohnehin wenig anbieten kann. Oder, wenn ihnen ihre Gärten allzu groß werden, eröffnen sie Jüngeren die Chance auf Bauland: Die in den Berliner Siedlungsgebieten längst vollzogene Nachverdichtung durch Teilungen hat auch das östliche Umland erreicht, das trotzdem noch deutlich luftiger ist.

Ohne Auto ist es nicht leicht hier

Allerdings sei die Nachfrage längst größer als das Angebot und die Preise lägen inzwischen um 200 Euro pro Quadratmeter Bauland, sagt Henze. Mit zunehmender Entfernung von Berlin wird es billiger, und so absurd wie in Potsdam wird es schon mangels Wasserlagen nie werden. Wer Seen sucht, muss nach Eggersdorf oder gleich nach Strausberg. Oder südwärts Richtung Erkner, wo mit dem BER allerdings mehr Fluglärm droht. Den haben sie hier kaum zu fürchten.

Durchs offene Rathausfenster singt die Amsel davon, dass es sich in Neuenhagen gut leben lässt. Nur ab und zu rattert ein Auto auf der gepflasterten Straße vorbei. Gut einen Kilometer ist es vom Bahnhof hierher; andere Ortsteile liegen deutlich weiter entfernt, der Bus fährt nur im Stundentakt, die Bedingungen zum Radfahren sind lausig. „Jede Familie hat 2,1 Autos“, bestätigt Henze und berichtet vom Personalmangel beim Landesbetrieb Straßenwesen, der mit der Planung von Radwegen nicht nachkomme, sowie vom steten Ringen mit dem Landkreis als Finanzier des öffentlichen Nahverkehrs. Besserung sei in Sicht – und dringend nötig, auch wegen der Senioren, denen man ein ordentliches Busnetz schulde.

Das östliche Berliner Umland entlang der S 5 hat kaum Sehenswürdigkeiten, aber noch relativ viel Platz zum Wohnen im Grünen.
Das östliche Berliner Umland entlang der S 5 hat kaum Sehenswürdigkeiten, aber noch relativ viel Platz zum Wohnen im Grünen.

© Stefan Jacobs

Was finanzierbar ist und was eher nicht, ist bei 30 Millionen Euro Haushaltsvolumen noch ganz gut überschaubar – und auf den Internetseiten der Gemeinde erklärt. Hochbau, Tiefbau, Personal: Jeder kann sehen, welche Straßen demnächst saniert werden und wie viel für die Erzieherinnen der sieben kommunalen Kitas ausgegeben wird. Diese Überschaubarkeit lässt die Berliner Verhältnisse aus der Umlandperspektive so fremd wirken: „Ich kann nicht verstehen, dass in Berlin die Kinder in der Schule nicht auf Toilette gehen können und Äste ins Gebäude wachsen“, sagt Henze. Wer eine Schule oder Kita baue, wisse doch, dass auch der anschließende Betrieb Geld koste. Werterhaltung sei das Selbstverständlichste überhaupt.

Vielleicht kann sich ein Bürgermeister gar keine andere Denke leisten, der seinen Bürgern täglich über den Weg läuft. Oder ihnen zumindest im Auto begegnet.

Berlin wächst über sich hinaus – und mit dem Umland zusammen. In unserer Serie stellen wir acht Orte und Regionen vor, die von der wachsenden Metropole profitieren. Welche Chancen eröffnen sich, und welche Herausforderungen stellen sich? Wer bietet mehr: neue Wohnungen, Kitas und Schulen, Lebensqualität, kurze Wege nach Berlin. Unsere Reise führt einmal rund um die Hauptstadt. Nächste Folge: Potsdam.

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