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Vor 70 Jahren im Südwesten: Tagesspiegel-Beiträge aus dem Jahr 1947.

© Illustration: Sabine Wilms

Tagesspiegel 1947: Vor 70 Jahren im Südwesten

Von Waschpulver bis Berliner Lebensfragen: Wie der Tagesspiegel 1947 bezirklich berichtete.

Von „unabhängigen Republiken“, aus denen das einstmals einheitliche Groß-Berlin nun bestand, sprachen die Berliner in der Nachkriegszeit. In seinem Buch „Vor dem Vorhang“ beschreibt der Historiker Wolfgang Schivelbusch „das geistige Berlin 1945–1948“ (auch Untertitel des Buchs) und geht dabei auf die Verlagerung der Schwerpunkte an die Stadtränder ein, die sich aus der Zerstörung der Innenstadt im Krieg und den Rand-Berliner Quartieren der Alliierten ergab. „Die im Grünen gelegenen Wohngebiete an der Peripherie hörten auf, reine Wohngebiete zu sein, und wurden zu eigenständigen Stadteinheiten“, schreibt Schivelbusch. Diese Jahre waren für den Berliner Südwesten prägend. Aus diesem Gedanken heraus haben wir unsere monatliche Steglitz-Zehlendorf-Seite im Tagesspiegel diesmal für eine Auswahl von Tagesspiegel-Texten aus dem Jahr 1947 genutzt – der Südwesten vor 70 Jahren.

Offiziere der Abteilung für Erziehung und religiöse Angelegenheiten bei der amerikanischen Militärregierung in Berlin hatten vor einiger Zeit die amerikanische und britische Bibelgesellschaft gebeten, Bibeln für Berlin zu spenden. Bis jetzt ist eine kleine Sendung aus London eingetroffen. Die Amerikanische Bibelgesellschaft hat eine größere Menge zugesagt. Die ersten Bibeln erhielten Theologiestudenten der Kirchlichen Hochschule in Zehlendorf, weitere wurden dem Büro von Bischof Dibelius zur Verteilung übergeben. Einzelne Pfarrer und Adventisten haben ebenfalls Bibeln aus der Spende bekommen. (Meldung vom 31. Januar 1947)

Am Donnerstagabend wurde vom Parkplatz der amerikanischen Militärregierung in der Kronprinzenallee in Dahlem eine schwarze, sechzehnzylindrige Cadillac-Limousine gestohlen. Der Wagen, der eine verchromte Stoßstange und eine verchromte Sirene am vorderen Kotflügel hat, trägt die Registriernummer 608 2616, die Lizenznummer S-02914. Der Wagen wurde zuletzt in der Kronprinzenallee gesehen und fuhr in Richtung britischer Sektor. Für Hinweise oder Angaben über den Täter wird eine hohe Belohnung gezahlt. Mitteilungen nimmt jede Polizeidienststelle entgegen; außerdem können die Telephonnummern 76 35 26 und 76 10 00 angerufen werden. (Meldung vom 9. März 1947)

Heute sollen – entsprechend dem Befehl, alle Anlagen für Kriegszwecke zu zerstören – fünf Bunker gesprengt werden. In Lichterfelde wird um 10 Uhr 30 der Bunker in der Brahmsstraße, und um 11 Uhr 30 in Lankwitz der Bunker an der Dessauer- und Ziethenstraße gesprengt. In Spandau findet um 10 Uhr die Sprengung des Bunkers an der Schulenburgbrücke statt, um 10 Uhr 30 wird der Bunker in der Grunewaldstraße und um 12 Uhr der Bunker Lindenufer zerstört. (Meldung vom 24. April 1947)

Gestern noch waren es Kinder, als Hitler sie dem grausamsten Handwerk der Erwachsenen überantwortete. Ein amerikanischer Soldat nimmt sie gefangen. – Heute, nun schon fast erwachsen, müssen sie den richtigen Weg der Entwicklung menschlichen Geistes erst kennenlernen. Amerikanische Soldaten helfen ihnen dabei. (Zwei Bildunterschriften vom 18. Mai 1947)

Das Jüdische Theater „Baderech“, eine aus Laien des UNRRA-Lagers Berlin- Schlachtensee gebildete Spielgruppe, trat nach seiner bisherigen Revuearbeit zum ersten Male mit einem umfangreichen, abendfüllenden Bühnenwerk auf, und zwar mit der dramatischen Bilderreihe „Die Verfolgten“ nach Victor Hugos Roman „Les miserables“. Wie der gesamte technische und bildliche Bühnenapparat war auch das Werk selbst das Ergebnis der kulturellen Notgemeinschaft. Einer der Mitwirkenden hatte vor Jahren auf einer russischen Bühne in Hugos „Elenden“ gespielt. Er gab aus dem Gedächtnis den jiddischen Text, der von dem als Gastregisseur gewonnenen Peter Elsholtz nach der deutschen Ausgabe des Romans ergänzt und für das Theater , „Baderech“ zugeschnitten wurde. So kam eine fesselnde, wirkungsvolle Dramatisierung zustande, die auch den stark beeindruckte, der des Jiddischen nicht mächtig ist. Die Angehörigen des UNRRA-Lagers mußte sie gleichsam persönlich ansprechen. War es denn nicht ihr Schicksal, das vor ihnen noch einmal ablief; war das „racheter le passé“, diese alles bewegende Idee des Victor Hugo, nicht ihre Hoffnung; war dieser Glaube an eine schönere Zukunft nicht ihr Glaube? (Feuilleton vom 30. Mai 1947)

Er hat das Blickfeld der deutschen Kunst geweitet und die Fenster der deutschen Ateliers weit nach Westen geöffnet, so daß stärkende, neu belebende Luft in die engen Gehäuse der deutschen Malerei drang. (Feuilleton über Max Liebermann zu dessen 100. Geburtstag am 20. Juli 1947)

Früher konzentrierte sich das geschäftliche Leben Berlins auf dem Stadtkern, wo der Puls der Wirtschaft schlug und sich Laden an Laden, Warenhaus an Warenhaus und Firma an Firma reihte. Heute ist von der City nicht allzuviel mehr übrig, keineswegs so viel, daß sich hier das ganze wirtschaftliche Leben einer Großstadt abspielen könnte. So haben sich als Folge dieser Tatsache mehrere Geschäftszentren gebildet, je nach Umfang und Lage von verschiedener Bedeutung. Steglitz ist einer von diesen wirtschaftlichen Mittelpunkten geworden. Obwohl dieser Bezirk an neunter Stelle der „Trümmerliste“" steht, blieben ihm doch die großen Geschäftsstraßen fast vollkommen erhalten. Da Steglitz fast ausnahmslos von reinen Wohnbezirken umgeben ist, spielt sich das Geschäftsleben eines bedeutenden Teils des amerikanischen Sektors hier ab. Durch diese Situation werden an die Steglitzer Wirtschaft Ansprüche gestellt, denen sie noch nicht gewachsen ist. Um zu helfen, das wirtschaftliche Leben dieses Bezirks in dem nötigen Umfang in Gang zu bringen, ist von Bezirksrat Stücklen der „Wirtschaftsaufbau Steglitz e. V.“ gegründet worden. Der Zweck dieses Vereins ist, alle Steglitzer Wirtschaftskreise eng zusammenzuschließen, um wirksamer die durch den Krieg entstandenen Schäden beheben zu können. Besonders soll die Privatinitiative angeregt und gefördert werden, die der Verein für unbedingt notwendig zu einer wirtschaftlichen Gesundung hält. Industrie, Handel und Handwerk auch in ihren wirtschaftlichen Beziehungen zum Ausland zu fördern, gehört zu seinen Zielen. Um die Verwirklichung der Aufgaben zu erleichtern, wird diese Vereinigung in Kürze ein repräsentatives Haus einrichten, ein „Haus der Wirtschaft“, das der Sammelpunkt aller Kräfte sein soll, die an dem Bestrebungen des Vereins teilnehmen wollen. Auch in kultureller und sozialer Hinsicht ist dem Haus eine Rolle zugedacht. Vorträge von in- und ausländischen Wirtschaftsfachleuten, Gesellschaften, die auch engere Beziehungen zur Besetzungsmacht herstellen sollen, Empfänge und geselliges Beisammensein des Vereins sollen die Klubräume ermöglichen. Es sind noch viele Schritte zu tun, bis das Hauptziel des Vereins verwirklicht sein wird: Steglitz zur Handelsmetropole des südwestlichen Berlins zu machen. (Bericht vom 9. August 1947)

Das Statistische Amt hat die vorläufigen Ergebnisse der Zählung vom 29. Oktober 1946 bekanntgegeben. Danach haben achtzehn der zwanzig Berliner Bezirke mit je über hunderttausend Einwohnern Großstadtcharakter; zwei Bezirke mit weniger als hunderttausend Bewohnern sind so groß wie Mittelstädte. Neukölln ist mit 272 838 Einwohnern der größte Bezirk, Zehlendorf mit 77 046 Einwohnern der kleinste. Die Einwohnerzahlen der übrigen Bezirke: Prenzlauer Berg 250 954, Wedding 235 438, Charlottenburg 208 969, Kreuzberg 205 373, Friedrichshain 193 457, Reinickendorf 193 376, Schöneberg 173 977, Spandau 159 728, Lichtenberg 157 218, Pankow 144 684, Steglitz 139 752, Wilmersdorf 127 094, Mitte 124 465, Köpenick 113 355, Tempelhof 111 372, Tiergarten 110 120, Treptow 107 332 und Weißensee 82 745. (Meldung vom 11. September 1947)

Wanted 20 English–German stenographer-typists for Chief of Counsel OMGUS in Nürnberg. Persons politically clean should apply at Berlin-Zehlendorf, 140 Kronprinzenallee, Room 217. (Anzeige vom 14. September 1947)

„Er hat sich nie bei der SS wohlgefühlt und ist ihr nur auf Betreiben seiner Mutter beigetreten.“ Mit diesen und ähnlichen Zeugenaussagen versuchte der Verteidiger des dreiunddreißigjährigen Georg Bunge mildernde Umstände für seinen Mandanten zu erwirken, der sich vor dem Mittleren Amerikanischen Militärgericht wegen Fragebogenfälschung zu verantworten hätte. Im vorigen Jahre wurde dem Inhaber einer Drogerie in Steglitz diese wegen seiner Parteizugehörigkeit entzogen und auf Anordnung der Militärregierung dem Angeklagten als Treuhänder übergeben. Seine erste Tätigkeit war, die politische Zuverlässigkeit des Personals zu überprüfen. Eines Tages stellte sich jedoch heraus, daß Bunge bei seiner Bewerbung um die Treuhänderschaft auf dem Fragebogen der Militärregierung unterlassen hatte anzugeben, daß er seit 1935 Angehöriger der SS und Gestapobeamter gewesen war. Er verschwieg auch eine Strafe von dreieinhalb Jahren Gefängnis, zu der er 1942 verurteilt wurde, weil er im betrunkenen Zustande in Krakau einen Deutschen niedergeschossen hatte. Der Vertreter der Anklage bezeichnete die Bewerbung und Fragebogenfälschung des Angeklagten als ein besonders treffendes Beispiel für die Nichtachtung des Gesetzes, wie sie für die Haltung von Nationalsozialisten symptomatisch sei. Das Gericht verurteilte den Angeklagten zu zwei Jahren Gefängnis. (Bericht vom 20. September 1947)

In der überfüllten Aula der Zinnowwaldschule in Zehlendorf sprach gestern die stellvertretende Oberbürgermeisterin, Frau Louise Schroeder, über „Berliner Lebensfragen“. Berlin sei eingeschlossen von der russischen Zone und ständig der Gefahr ausgesetzt, vollends „abgehängt“ zu werden. „Wir Sozialisten wollen uns weder nach Ost noch nach West orientieren, sondern unser Leben fristen“, rief die Rednerin unter starkem Beifall aus. Was von dem neuen Industrie plan zu halten sei, könne dahingestellt bleiben, doch werde man ihm nie zustimmen, wenn er die Abschließung Berlins mit sich bringe. (Bericht vom 3. Oktober 1947)

Die Berliner Tennissaison wird am kommenden Wochenende mit einem Programm abgeschlossen, das kaum zu übertreffen ist. Gottfried von Cramm hat auf den Plätzen in Zehlendorf, Roonstraße, am Sonnabend Beuthner und am Sonntag Göpfert zum Gegner. Am ersten Tage spielt von Cramm mit Denker das Doppel gegen Beuthner–Göpfert und am Sonntag mit Beuthner gegen Göpfert–Denker. Wer Gottfried von Cramm ist, erübrigt sich zu erwähnen. Aber er kann durch sein großes Können und durch seine Art allen Sportlern nicht oft genug als Vorbild hingestellt werden. Schon mit sechzehn Jahren ist er durch die unübertreffliche Schule Roman Najuchs gegangen. Da er die besten Eigenschaften mitbrachte, mußte er ein guter Spieler werden. Der jetzt achtunddreißigjährige Hildesheimer erschien zum erstenmal 1929 in der deutschen Rangliste; 1931 hatte er die Spitze im deutschen Tennis erreicht, und schon ein Jahr später ist von Cramm als Achter in der Weltrangliste zu finden. 1934 drang er hier bis zum dritten Platz hinter die Wimbledon-Sieger Perry und Crawford vor, ein Erfolg, dessen sich kein anderer deutscher Spieler rühmen kann. G. von Cramm wurde dann von Budge überflügelt; der große Amerikaner machte dem Deutschen Wimbledon-Sieg und Führung in der Weltrangliste streitig, auch schlug er ihn im Endspiel der Amerika-Meisterschaft in Forrest Hills. Seit 1932 ist von Cramm vielfacher deutscher Meister geworden. 1933 errang er mit Hilde Krähwinkel die Wimbledon-Meisterschaft im Gemischten Doppel. Mit Daniel Prenn bildete er die stärkste Davispokal-Mannschaft Deutschlands seit Otto Froitzheim. Der famose Sportler ist älter geworden, er hat aber immer wieder bewiesen, daß ihm auch weiterhin der erste Ranglistenplatz gebührt. Bei der großen Form, die man besonders in den letzten Wochen bei Beuthner feststellen konnte, wird von Cramm der Sieg nicht leicht fallen. Die Doppelspiele sind das Beste, was wir vom deutschen Tennis erwarten können. Die Kämpfe beginnen am Sonnabend um 14 und am Sonntag um 10 Uhr. (Sportvorschau vom 9. Oktober 1947)

Es wird verteilt: Amerikanischer Sektor: Ein Stück Körperseife auf Abschnitt 12, ein Paket Waschpulver oder Zusatzwaschmittel auf Abschnitt 12/II der Seifenkarte bis zum 5. Dezember. (Meldung vom 22. November 1947)

RIAS: 18.00 Sweet Music mit dem Orchester David Rose / 19.30 Bruckner-Chöre / 19.45 Berlin im RIAS / 20.15 Opernkonzert / 21.15 Schlager der Woche / 22.15 Hochschulfunk: Ein Gespräch mit Professor Dr. R. Havemann über das Projekt der Forscherhochschule in Dahlem / 23.00 Erik Reger spricht aus London. („Aus dem heutigen Radioprogramm“ vom 12. Dezember 1947)

Auswahl und Einleitung: Markus Hesselmann. Tweets aus der Nachkriegszeit mit Zitaten und Beiträgen des Tagesspiegel-Gründers Erik Reger und anderer Tagesspiegel-Autoren aus jener Zeit finden Sie hier.

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