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Seit Jahren engagiert. Kazim Baba, seit den 80ern in Deutschland, setzt sich in Berlin für die Kurden ein. Deren Zentrum nahe dem Kottbusser Tor ist in der Gemeinde bekannt.

© Doris Spiekermann-Klaas

Streit um Immunität der HDP-Abgeordneten: Erdogan beunruhigt die Kurden in Berlin

Die Lage in der Türkei beschäftigt auch die Kurden in Berlin, 80.000 von ihnen leben in der Stadt. In Kreuzberg reden sie über die Gefahren in Ankara, und in Wedding eröffnen sie ein Büro.

Wenn an diesem Freitag in Ankara tatsächlich beschlossen werden sollte, die Immunität von 138 türkischen Abgeordneten aufzuheben, ist das nicht nur für Kazim Baba ein schlechter Tag. „Aber ich hoffe, er bekommt die nötigen Stimmen nicht“, sagt Baba. „Er will die Alleinherrschaft.“ Er, das ist Recep Tayyip Erdogan, der türkische Präsident – inzwischen erklärter Feind vieler Journalisten, Oppositioneller und Kurden.

Am Mittwoch vor der Abstimmung sitzt Kazim Baba am Kottbusser Tor in Kreuzberg. Er ist Vorsitzender des Kurdischen Zentrums, das 1984 gegründet wurde und in der Dresdner Straße seinen Vereinssitz hat. Regelmäßig treffen sich dort bis zu 60 Berliner Kurden, aber auch regierungskritische Türken. „Wir diskutieren viel“, sagt Baba, „und beobachten die Lage ständig.“

Baba hofft, dass sich CHP dem Druck Erdogans verweigert

Baba hofft für Freitag also, dass sich ausreichend viele Abgeordnete der rechtssozialdemokratischen CHP dem Druck von Erdogans konservativ-islamischer AKP widersetzen. Dann könnte es sein, dass die Ja-Stimmen zum Aufheben der Immunität nicht reichen. Zwar will Erdogan auch AKP-Abgeordnete und CHP-Vertreter verfolgen lassen, vor allem aber geht es um die linke, prokurdische HDP.

Erdogan bekämpfe die kurdische Bewegung auf allen Ebenen, sagt Baba, der Angriff auf die Immunität ziele klar auf die HDP. Deren Fraktion stünde, sollte sich Erdogan durchsetzen, fast komplett unter Ermittlungsdruck: HDP-Abgeordnete sollen der als terroristisch verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei geholfen haben. Beliebt sind auch Vorwürfe wie Volksaufwiegelung und Beleidigung.

Türkische Nationalisten in Berlin? „Noch schlimmer wird es wohl nicht.“

Baba, 70 Jahre alt, lebt seit 1980 in Berlin. Er stammt aus Varto. Die Stadt gilt als Hochburg militanter Kurden, seit Jahren gibt es Kämpfe mit türkischen Soldaten. Wie viele Intellektuelle floh Baba mit Frau und Kind vor Ankaras damaliger Militärregierung. Baba war Lehrer und hat auch noch in Berlin als Sozialpädagoge gearbeitet.

Rund 80.000 Kurden sollen in Berlin leben. So genau weiß das niemand, denn die meisten von ihnen sind ohne Zusatzbezeichnung als türkische Staatsangehörige in die deutsche Hauptstadt gekommen. Außerdem flohen irakische, iranische und zuletzt tausende syrische Kurden nach Berlin.

Was passiert, wenn sich Erdogan am Freitag durchsetzt – fürchten die Berliner Kurden dann die Machtgebärden türkischer Nationalisten? „Noch schlimmer wird es wohl nicht werden“, sagt Baba. „Es ist ja schon viel passiert.“ Immer wieder prügelten sich rechte Türken mit linken Kurden. In Berlin wurden Flugblattverteiler der HDP angegriffen, dass Wahlbüro der Kurdenpartei in Kreuzberg wurde angezündet. Im Herbst hatten sich türkische Faschisten, die sogenannten Grauen Wölfe, bewaffnet am Kottbusser Tor versammelt.

Syriens Kurdenregion Rojava eröffnet Vertretung in Berlin-Wedding

Die Kurden, Schätzungen zufolge sind es 30 Millionen Menschen, gelten als das größte Volk ohne Staat. Nicht nur in der Türkei liefern sie sich blutige Kämpfe. Auch in Syrien, Irak und Iran unterdrückten die dort regierenden Regime die Kurden auf ihren Gebieten. Seit es die Zentralregierungen in Syrien und Irak nicht mehr gibt, werden die Kurden dort von marodierenden Islamisten massakriert. Dennoch haben kurdische Verbände in Syrien und Irak eigene Autonomiegebiete erkämpft. Die konservative KDP/PDK regiert in Nord-Irak, die sozialistische PYD in Nord-Syrien. Die Autonomiezone in Syrien wird Rojava – übersetzt: Westkurdistan – genannt.

Die Regionalregierung aus Rojava hat erst kürzlich ein eigenes Büro in Berlin eröffnet. Die Vertretung befindet sich in der Residenzstraße in Wedding. Zur Eröffnung sagten Repräsentanten der Autonomiezone, man wolle deutlich machen, dass in Rojava neben Kurden auch Araber, Turkmenen, Assyrer und Armenier zusammenlebten. Und dass Deutschland helfen solle, das türkische Embargo gegen diese autonome Föderation aufzuheben. Erdogan will ein unabhängiges Rojava verhindern. Seine Soldaten sperrten die Grenze zu Nord-Syrien. Lange hieß es zudem, Erdogan unterstütze die antikurdischen Islamisten.

Eine offizielle diplomatische Vertretung ist das Weddinger Büro nicht – die Bundesregierung erkennt bislang nur den syrischen Zentralstaat an. Beobachter gehen aber davon aus, dass mindestens im Nord-Irak ein eigener Kurdenstaat entsteht. Mit Blick auf die Abstimmung in Ankara ist das für die Berliner Kurden allerdings nur ein schwacher Trost.

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