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Straßenstriche gibt es in Berlin nicht nur an der Kurfürstenstraße, auch an der Straße des 17. Juni warten Frauen auf Freier.

© Tim Brakemeier/dpa

Straßenstrich Kurfürstenstraße in Berlin: Prostituierte stellen Fotos aus ihrem Alltag aus

Eine Ausstellung zeigt Bilder und Geschichten von Prostituierten aus der Kurfürstenstraße. In Schöneberg denkt man derweil darüber nach, den Straßenstrich auszuleuchten.

Wenn Politiker über Prostitution reden, dann geht es meist um Pflichten: Um die Meldepflicht, die Kondompflicht oder die Pflicht, sich regelmäßig gesundheitlich beraten zu lassen. Wenn Sex-Arbeiterinnen selbst über Prostitution sprechen, dann sprechen sie von Sorgen: Sorgen darüber, was andere von ihnen denken oder wie sie ihre Familie mit dem Geld unterstützen können. Von diesen Sorgen liest man in Artikeln und Politikpapieren nur wenig. „Es wird ständig über Sex-Arbeiterinnen geredet, aber nur selten mit ihnen“, sagt Monika Nürnberger, die den Frauentreff Olga in der Kurfürstenstraße leitet.

Worum es den Frauen geht, die in der Kurfürstenstraße, Berlins bekanntestem Straßenstrich, ihre Dienste anbieten, zeigt nun eine Ausstellung, die Nürnberger zusammen mit der Fotografin Kathrin Tschirner und den Frauen initiiert hat. Für das Projekt „Photovoice“ (dt: Fotostimme) haben die Prostituierten zehn Monate lange ihre Umgebung fotografiert und über ihre Sorgen und Sehnsüchte gesprochen.

Am heutigen Sonntag sind die Fotos noch einmal in der aff Galerie in Friedrichshain zu sehen. In Texten neben den Fotos beschreiben die Frauen, worüber sie sich täglich Gedanken machen. Eva beschreibt das Gefühl, wenn sie auf der Straße die Blicke von Kindern treffen: „Die ganze Situation ist mir peinlich.“ Tanja erzählt, dass sie niemals ohne ihre Kopfhörer auf den Strich gehen würde. Mit der Musik von Rammstein und Mozart schützt sie sich vor dem Gequatsche der anderen Frauen („Ich brauche Drogen, kannst du mir mal einen Euro leihen?“). Stella beschreibt wie sie jeden Morgen nach dem Aufstehen zu Gott betet. Sie betet, dass sie genug Geld verdienen wird, um etwas nach Hause zu ihrer Familie zu schicken. Und sie betet, dass sie Kunden hat, die ein Kondom benutzen wollen.

„Die Nahaufnahme aus diesem fremden Leben hat mich sehr berührt“, sagt eine Besucherin. Viele Frauen waren erst skeptisch, bei dem Fotoprojekt mitzumachen, sagt Nürnberger. „Was soll das bringen?“, hätten sie gefragt. Es würde sich doch niemand für ihre Bilder interessieren. „Ich kann das nicht“, hätten andere gesagt. Tschirner hat deshalb Foto-Workshops angeboten und sich regelmäßig mit den Frauen getroffen. Zusätzlich hat sie einmal in der Woche ehrenamtlich bei Olga gearbeitet. So entwickelte sich zwischen ihr und den Frauen ein Vertrauensverhältnis. Vierzehn von 20 Frauen haben das Projekt schließlich von Anfang bis zum Ende durchgezogen. Dass einige abspringen, sei ganz normal, sagt die Sozialarbeiterin. Am Ende seien die Frauen stolz auf ihre Bilder gewesen.

„Es hat uns überrascht, dass für viele Frauen Religion eine ganz große Rolle spielt“, sagt Nürnberger, die seit gut vier Jahren beim Frauentreff Olga arbeitet. Hier suchen die Frauen Schutz, können duschen, essen und Wäsche waschen. Viele Frauen schlafen auch in den Räumen -–aber nur während der Öffnungszeiten. „Wir sind keine Notschlafstelle“, sagt Nürnberger.

Der Frauentreff Olga spielt auch in den Geschichten einiger Frauen eine zentrale Rolle. Sonya zum Beispiel spielt im Olga immer „Mensch Ärger dich nicht…“ mit einer anderen Frau. „Das ist meine Methode mich zu erholen“, schreibt sie. Piroska erzählt, dass sie schon seit acht Jahren bei Olga schläft, immer tagsüber. Nachts muss sie Geld verdienen, eine eigene Wohnung hatte sie noch nie.

„Wohnungslosigkeit ist eines der größten Probleme“, erklärt Nürnberger. Manche Frauen leben und arbeiten schon seit fast zehn Jahren in Berlin und waren noch nie gemeldet. „Damit sind sie für die Behörden gar nicht existent“, sagt die Sozialarbeiterin. Problematisch sei das vor allem für die Gesundheit der Frauen: Chronische Krankheiten, die nicht behandelt werden, führen oft zu schlimmeren Folgeschäden.

Das neue Prostituiertenschutzgesetz, das eine Anmeldepflicht für Prostituierte und verpflichtende Gesundheitskontrollen vorsieht, sieht die Sozialarbeiterin trotzdem kritisch. „Es geht mehr um Regulierung und Kontrolle als um die Unterstützung der Frauen“, sagt Nürnberger. Lieber solle man freiwillige Angebote weiter fördern, die seien momentan nämlich unterfinanziert.

Regulieren und Kontrollieren will man die Frauen der Kurfürstenstraße auch auf lokaler Ebene. Oft geht es dabei aber weniger um den Schutz der Sex-Arbeiterinnen als um den Schutz vor den Sex-Arbeiterinnen. Der Ausbau eines Erotikkinos zum Großbordell hat das Bezirksamt Schöneberg-Tempelhof 2010 verhindert. Der Kiez sei schon belastet genug, hieß es damals.

Im Winter 2013 haben CDU-Politiker in Schöneberg zusätzlich über eine Sperrfrist für die Arbeit von Prostituierten zwischen 4 und 20 Uhr nachgedacht. Die anderen Parteien haben das Vorhaben nicht unterstützt. Nun hat der CDU Politiker Matthias Steuckardt einen Antrag für Flutlichter am Spielplatz Ecke Eisenacher Straße/Fuggerstraße gestellt, um die Geschäfte der Prostituierten und Kriminellen besser im Blick zu haben. „Wir fordern mehr Licht für mehr Sicherheit“, erklärt Steuckardt sein Vorhaben. Gerade in der Dunkelheit des Spielplatzes würden besonders viele Drogen konsumiert werden. In der Bezirksverordnetenversammlung im März wurde der Antrag einstimmig angenommen, nun werden Kosten und Machbarkeit der Scheinwerfer geprüft.

aff Galerie, Kochhannstr. 14, Friedrichshain, am heutigen Sonntag von 15 bis 18 Uhr. Bald soll die Ausstellung auch im Kiez gezeigt werden. Infos und Fotobuch gibt’s unter: www.drogennotdienst.org

Luisa Jacobs

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