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Bereit zum Ablegen. Inga Humpe und Tommi Eckart haben gerade ihr neues 2Raumwohnung-Album „Tag und Nacht“ veröffentlicht.

© Doris Spiekermann-Klaas

Stadtspaziergang mit Inga Humpe: Wir trafen uns an einem Ufer

Was die Sängerin Inga Humpe an Berlin liebt? Die ständige Veränderung, die immer neuen Einflüsse. Ein Streifzug durch Mitte, entlang der Spree.

Von Andreas Austilat

Jetzt bloß keine Erkältung kriegen. Denn Inga Humpe ist auf Releasetour für das neue Album „Nacht und Tag“. Es ist das achte für sie und Tommi Eckart, bekannt als Elektropop-Duo 2Raumwohnung. Die Sorge ist berechtigt, ausgerechnet heute sind keine „36 Grad“, so der Titel ihres bisher erfolgreichsten Albums, und wir treffen uns auch in keinem Garten, wie es im Debüt des Duos vor 17 Jahren hieß. Stattdessen pfeift es überraschend kühl durch die Tucholskystraße, dort, wo sie auf das Wasser trifft.

„Ich mag die Spree“, sagt sie, „ich mag Flüsse“. Weshalb sie auch kurz überlegt hat, ob wir uns nicht an der Panke treffen wollen, im immer noch unterschätzten Wedding. Aber da kennt sie sich nicht so gut aus, nicht so gut wie in ihrem Mitte-Kiez. Hier wohnt sie, hier hat sie in der Nähe vom Rosenthaler Platz auch ihr Studio. Die Spree steht für das, was sie schon immer in Berlin gesehen hat. Ein Fluss in der Mitte der Stadt, der sich nie um Ost und West gekümmert hat. Gibt es eine bessere Metapher für Berlin, für das Leben hier, wie es fließt? Und dabei klingt Inga Humpe, als ob das „Hotel Sunshine“ aus einem ihrer neuen Songs irgendwo jederzeit dahinten am Spreeufer auftauchen könnte.

"Darf ich dir die Beine massieren?" - "Gute Idee."

Vor dem Bode-Museum ziehen die Touristenschiffe vorbei, stauen sich an der Ebertbrücke. Inga Humpe posiert vor einem Graffiti an einer Hauswand, setzt sich auf den Boden, die Füße von sich gestreckt, Schmollmund, eine Hand unter dem Kinn. „Unpretty“ steht auf ihrer überdimensionierten Basecap, unter der sich das blonde Haar hervorlockt. Unpretty, das ist charmant untertrieben.

Wann immer man etwas über die inzwischen 61-Jährige liest, dann, dass ihre Erscheinung so mädchenhaft ist wie eh und je, irgendwie alterslos. Ein Bauarbeiter bleibt stehen. „Darf ich dir die Beine massieren?“, fragt er. Darauf sie: „Das ist eine sehr gute Idee.“ Der Arbeiter stutzt. Die bringt nichts so schnell in Verlegenheit.

Palast der Republik statt "dieses olle Schloss"

Und sie steht schon wieder, unter den Arkaden, die die Platanen am Uferweg in Richtung Friedrichstraße bilden. „Ich glaub, eine Wohnung hier wäre nicht schlecht“, sagt sie und zeigt auf den Plattenbau. Sie mag die Platte, die sich bis zum Grill Royal zieht, diese Nachbarschaft aus chic und einfach, Gegensätze, die offensichtlich nicht zusammenpassen, trotzdem nebeneinander existieren.

„Ich bin ein Fan der Platte“ sagt sie, jeder Bau, der noch steht, sei ein Triumph über teure Investorenpläne. Es sei sowieso schon zu viel abgerissen worden. Der Palast der Republik etwa, der von hier aus gesehen hinter der Museumsinsel stand, da wird sie richtig ärgerlich. Mag ja sein, dass es bauliche Gründe gab, auch wenn sie denen nicht recht traut. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte der Palast erhalten werden müssen, „statt dieses olle Schloss da zu rekonstruieren“. Das Regime sei schrecklich gewesen, aber deshalb müsse doch nicht die Architektur einer Epoche ausradiert werden.

Keine Zeit zum Cruisen

Im Hintergrund zieht schon wieder ein Schiff vorbei, die Belvedere. Gern würde sie selbst über die Spree cruisen. Vor zwei Jahren hat sie sogar extra einen Bootsführerschein gemacht, um sich den Traum mal zu erfüllen. Nur fand sie nie Zeit dafür. Bleibt sie eben am Ufer. „Was mir auch an der Spree gefällt, dass es hier Leute gibt, die ihren Platz behaupten.“ Sie meint das Kater Holzig, inzwischen Kater Blau, Technoclub und Veranstaltungsort am Friedrichshainer Spreeufer. „Das haben die sich erkämpft, an einem hochbegehrten und teuren Plätzchen.“

Als sie und Tommi Eckart hier ankamen in Mitte, Ende der 90er Jahre, da sei ja noch alles in Schutt und Asche gewesen. Entsprechende Freiräume gab es. Seitdem hat sich viel verändert, das WMF, legendärer Mitte-Club, ist verschwunden, im Postfuhramt werden keine Ausstellungen mehr gezeigt, das Kunsthaus Tacheles gibt es nicht mehr.

"Ist das nicht toll, dass unsere Stadt so beliebt ist?"

„Na und“, sagt sie, „die Stadt verändert sich, das ist doch nichts Schlechtes.“ Sie kann nicht verstehen, wenn über die Touristen gejammert wird. „Ist das nicht toll, dass unsere Stadt so beliebt ist, dass du Englisch und Spanisch auf den Straßen hörst?“ Aber sie sei sowieso nicht der Typ, der sich schnell aufregt. Sie singt nicht nur mit mädchenhafter Stimme, sie spricht auch so. Und überhaupt, sie braucht ihre Energie für anderes.

Für Musik zum Beispiel, „Nacht und Tag“ erschien als Doppelalbum und jeden Titel gibt es in zwei Fassungen, der „Nacht“- und der „Tag“-Version. Die unterscheiden sich nicht im Text, aber in der Klangfarbe. Der Tag ist für sie zum Entspannen da, die Nacht ist energetischer, die ist zum Tanzen. „Ich bin der Beat, der niemals endet“, heiß es in einem Lied. Gilt das auch für sie? Inga Humpe lacht, sie macht nicht mehr so oft die Nächte durch. Aber vielleicht gilt der Titel ja auch im übertragenen Sinn für Berlin, ja, die Stadt ist ihr eine Inspirationsquelle.

Berlin - das war auch auch mal langweilig

Wegen der ungewöhnlichen Kälte schlägt sie vor, sich ins „Petit Bijou“ kurz vor dem Monbijoupark auf einen heißen Tee zurückzuziehen. „1993“ heißt ein anderes Lied im neuen Album. Man kann das als Hommage an einen House-Klassiker interpretieren, an „Schöneberg“ von Marmion. Schöneberg, der Winterfeldtplatz, das war 1976 ihr erster Kiez in Berlin. Es war die legendäre Zeit, als Bowie im Dschungel auftauchte.

Später zog sie nach Kreuzberg, SO 36 genauer gesagt, wie der alte Zustellbezirk zwischen Kottbusser und Schlesischem Tor hieß. Doch in der zweiten Hälfte der 80er Jahre hatte sie den Eindruck, dass sich die Kunst- und Musikszene verbraucht hatten. Es war langweilig geworden, „so langweilig, dass sich die Transen im Metropol die Handtaschen um die Ohren schlugen, damit mal was los ist“. Sie ging nach London. Eine Stadt, die ihr damals schon zu teuer war.

Der nächste coole Bezirk? Humpe hat einen Tipp

1989 dann die Überraschung, die Mauer fiel und Inga Humpe ergatterte am 10. November einen Flug zurück nach Berlin. Denn da wollte sie dabei sein. Wenn die Leute jetzt also klagen, Mitte habe sich verbraucht, mag sie sich dem Gejammer nicht anschließen. Das sei ja das Schöne in Berlin, jeder Kiez hat hier mal seine große Zeit, dann ist wieder ein anderer dran. Und einen heißen Tipp hat sie auch, nachdem Neukölln gerade durchgereicht wurde: Lichtenberg wird der neue Hotspot, ganz bestimmt. Für sie allerdings kein Grund umzuziehen. Dafür ist sie viel zu entspannt, als dass sie auf jeden Zug aufspringt.

Konzert in Berlin am 31. August 2017 mit Yello im IFA-Sommergarten.

In unserer Reihe "Eine Runde Berlin - Streifzüge durch die Kieze" bereits erschienen: Mit Autorin Jana Hensel in Prenzlauer Berg und am Fernsehturm.

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