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Den Bären auf der Flagge: Fahne auf dem Roten Rathaus.

© dpa

Wie die Berliner Flagge entstand: Im Zeichen des Bären

Vor 100 Jahren wehte zum ersten Mal die Berliner Flagge über dem Roten Rathaus. Vorher wusste lange Zeit niemand, welche Farben die Stadt eigentlich symbolisieren.

Der 6. März 1913 war ein Donnerstag, aber ob er für Berlin eher ein rabenschwarzer Tag war oder einer der Freude, des lokalpatriotischen Hochgefühls, ist schwer zu entscheiden. Zugegeben, die Stadtverordneten beschlossen an diesem Tag mit knapper Mehrheit eine Bier- und eine „Lustbarkeitssteuer“, die sich gegen alle möglichen Arten von Vergnügungen richtete. Aber zugleich soll es der Tag gewesen sein, an dem – anlässlich des Besuchs des bayerischen Prinzregenten Ludwig in der Reichshauptstadt – über dem Roten Rathaus erstmals die Urversion der noch heute gebräuchlichen Berliner Flagge wehte: rotweiß gestreift mit dem schwarzen Bären in der Mitte. Ein Datum, das in der Literatur in Konkurrenz steht zum 27. Januar desselben Jahres, der als Geburtstermin der Berliner Landesflagge eigentlich noch mehr überzeugt: Kaisers Geburtstag! Und dann taucht auch noch der 16. Februar auf, als zu Ehren des Brautpaares Prinz Ernst August von Braunschweig-Lüneburg und seiner Viktoria Luise, Tochter Wilhelms II., über dem Roten Rathaus...

Aber lassen wir das. Warum sollte man sich auch heute über den ersten Einsatz der Berliner Landesfahne leichter Klarheit verschaffen können als es den Berliner Stadtvätern vergönnt war, die vor anderthalb Jahrhunderten darüber zu grübeln begannen, was denn eigentlich die Farben ihrer Stadt seien. Rot-Weiß wegen der jahrhundertelangen Verbundenheit mit Brandenburg? Schwarz-Weiß wegen der auch schon wieder altehrwürdigen Beziehung zu Preußen? Immerhin, der Bär als Berliner Wappentier hatte sich gegen den brandenburgischen Adler im Laufe der Zeit durchgesetzt.

Insgesamt war es ein ziemliches Durcheinander, was den ordnungsliebenden Rudolf Virchow, Arzt und Stadtverordneter in einer Person, ärgerte und im Jahr 1861 zu einem Antrag im Stadtparlament veranlasste. Dem Magistrat wurde damit aufgetragen, „Nachforschungen über die Stadtfarben anstellen zu lassen, eventualiter die von allen Städten des alten Hansebundes geführten rot-weißen Farben für die offiziellen zu erklären“. Der mit der Lösung des Problems betraute Stadtarchivar Ernst Fidicin schlug dann allerdings die waagerecht angeordneten Farben Schwarz-Rot-Weiß vor – vom Magistrat akzeptiert und am 19. Dezember 1861 von den Stadtverordneten beschlossen.

Ausgerechnet diese drei Farben, wenn auch in anderer Reihenfolge, wählte allerdings nur sechs Jahre später der Norddeutsche Bund zu seiner Flagge, die das Kaiserreich 1871 kurzerhand übernahm. Berlin stand als der Düpierte da, mit einer Stadtfahne, die mit der Reichsfahne leicht verwechselt werden konnte, eine sich bis in die späte Kaiserzeit hinziehende Verwirrung.

Wie der Wappenbär in die Flagge aufgenommen wurde.

Erst 1908 unternahm der Magistrat ernsthafte Anstrengungen, eine unverwechselbare Stadtfahne entwerfen zu lassen, konsultierte dazu erst das Geheime Staatsarchiv und das Heroldsamt, reichte die Aufgabe dann an Ernst Friedel weiter, Ex-Stadtrat, Stadtforscher, Gründer des Märkischen Museums und der Heimatkunde-Gesellschaft Brandenburgia. Dieser schlug vor, den Wappenbären in die Flagge aufzunehmen, so behielt man alle drei Farben, ohne mit der Reichsflagge verwechselbar zu sein. Nach einigen Diskussionen war auch die Verteilung von Rot und Weiß geklärt, und so beschloss der Magistrat die neue Stadtflagge am 19. Juli 1912, nach dem Entwurf von Emil Doepler d. J., Maler, Graphiker, Heraldiker und Professor am Kunstgewerbemuseum. Ein vielseitiger Mann: Auch die Schokoladenfabrik Stollwerck bediente sich seiner Entwürfe gern.

Danach durchlief die Berliner Flagge noch manche Detailänderungen, so erhielt der schwarze Bär in Wappen und Flagge 1934 eine rote Zunge und ebensolche Krallen. Mit der politischen Teilung Berlins nach dem Krieg drifteten auch die Symbole auseinander: 1952 veranstaltete der West-Berliner Senat einen Wettbewerb für Wappen und Flagge, im Abgeordnetenhaus entschied man sich für den zweiten Sieger, den Heraldiker Ottfried Neubecker, der die Fahne in der jetzigen Form schuf. Ost-Berlins Stadtflagge dagegen zeigte den Bären im Stadtwappen von 1934 mit Mauerkrone. Auch diese Form wurde gering verändert – und verschwand mit der Wiedervereinigung.

Viel hat sich an der aktuellen Flagge gegenüber der von 1911 also nicht verändert: Die rot-weißen Streifen erinnern an Berlins Brandenburger Ursprünge, der Bär demonstriert städtisches Selbstbewusstsein. Für die Ewigkeit ist solch ein im Winde wehendes Staatssymbol aber nicht gemacht. Eine Fahne habe eine Lebensdauer von etwa zwei Jahren und müsse regelmäßig ausgetauscht werden, weiß man in der Senatskanzlei aus Erfahrung. Erst am gestrigen Montag wurde die Flagge über dem Roten Rathaus durch ein frisch gewaschenes und ausgebessertes Exemplar ersetzt. Angesichts ihres 100. Geburtstages kann man das ja auch erwarten.

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