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In Dienstkleidung. Ottmers trägt Pumps in Größe 46 und viel Schminke. Foto: Davids

© DAVIDS/Darmer

Frau Valetti: Die fabelhafte Welt der Travestie

Ralf Ottmers ist oft in trashigen Fernsehshows zu sehen und in Doku-Soaps. Seine Leidenschaft ist das Verkleiden – dann tritt er als „Frau Valetti“ auf.

Manchmal denkt man plötzlich über ganz normale Wörter nach. „Dämlich“ etwa ist mit der „Dame“ verwandt. Und „herrlich“? Das Wort gehört eindeutig zu einer gewissen Frau Valetti: „Herrlich“, seufzt sie nach jedem dritten Satz – von einem hohen H zu einem tiefen „ich“. Dabei klappert sie kokett mit Wimpern, die an Malerpinsel erinnern.

Hach, wie weiblich, könnte man sagen – um das Wort mit D zu vermeiden. Doch Frau Valetti ist nicht nur eine Dame. Dazu ist sie zu massig, breitschultrig und laut. In Pumps in Größe 46 schmachtet sie ins Mikrofon, aber nur, wenn sie auf einer Bühne steht und Publikum hat. Beides braucht Frau Valetti, um zu existieren. Und beides ist ihr gerade abhanden gekommen. Ohne Bühne ist sie Ralf Ottmers – Musiker, Großhandelskaufman, Mediengestalter, Doku-Soap-Dauergast, Travestiekünstler, Gründer des Travestiekabaretts „Valettis“ am Alexanderplatz. Doch das musste er gerade räumen: Er konnte die Miete nicht mehr bezahlen.

Aber ein Leben ohne sein weibliches Alter Ego kann Ottmers sich nicht vorstellen. 39 ist er heute, mit 17 trat er zum ersten Mal als Frau auf. Von da an hat ihn der „Reiz der Maske“ nicht mehr losgelassen: „So konnte ich Sachen sagen, die ich sonst nie ausgesprochen hätte.“ So etwas sagt er, nachdem er sich wieder in einen Hosenträger mit Plastik-Clogs an den Füßen zurückverwandelt hat.

Auch dann behält er aber noch eine Weile die Schminke im Gesicht. Die Maske. Sie ist es, die ihm Anerkennung bringt. „Es gibt so viel Schlagersänger, aber nur wenige Travestiekünstler.“ Und er hat gemerkt, dass er als Frau, „die Menschen glücklich machen“ kann. Das ist sein Ziel. Der Wunsch, auf einer Bühne und im Mittelpunkt zu stehen, treibt ihn an. Aber er ist nicht leicht zu erfüllen, vor allem nicht in Berlin.

Ottmers stammt aus dem Harz und hat auch dort ein Varieté betrieben. Vor zwei Jahren verlegte er es nach Berlin. Hier schwebte seine Vision als eine Art bunte Seifenblase im toten Winkel des Alex’ unbeobachtet vor sich hin – immer kurz vorm Platzen: Zunächst im Obergeschoss des tristen Einkaufszentrums „Berlin Carré“ an der Karl-Liebknecht-Straße zwischen „Zick Zack Nähwelt“ und dem „Nagelstudio Antonio“. Zum 1. Mai zog er um – in den S-Bahnbogen 130 an der Rochstraße – für Flaneure so leicht zu finden, wie das legendäre Gleis 9 ¾ aus den Harry-Potter-Romanen. Dort wurde es auch nicht besser. Dann waren da noch die Barfrauen, die „nach Strich und Faden betrogen“ haben. Und ein Berater, dessen Plan nicht funktionierte. Vier, fünf Gäste kamen an manchen Abenden. Hausfrauen mittleren Alters aus dem Emsland, die bei „Aber bitte mit Sahne“ mitschunkelten. Genau Ottmers Zielgruppe.

Schließlich kennen sie ihn aus dem Privatfernsehen: Er war – als Mann – beim „Perfekten Dinner“ dabei, bei der „Ersten gemeinsamen Wohnung“, hat mal Jürgen Drews vor laufender Kamera eine Krone auf den Kopf gesetzt und war „Kreuzfahrt-König“. Zuletzt hat ihn RTL für die „Große Reportage“ gefilmt – als erfolglosen Gegenpart zur bekannten Travestiefigur Olivia Jones. Ottmers hat sich dabei überreden lassen, folgenden Satz zu sagen: „Wenn das hier nicht bald läuft, muss ich Hartz-IV beantragen.“ Und jetzt läuft es tatsächlich nicht.

Aber Hartz IV? Auf keinen Fall, sagt Ottmers. Da geht er lieber wieder auf Tournee in die Provinz, tritt bei Betriebsfesten und Weihnachtsfeiern auf. 700 Zuschauer habe er mal bei einem Auftritt auf dem Land gehabt, sagt Ottmers. Und seine Freundin hat er so kennengelernt, bei einer Frauentagsfeier in einem Dorf: „Herrlich!“ Nicht nur Frau Valetti liebt das Wort, sondern auch Herr Ottmers. Seine Stimme hat immer die gleiche Tonlage. Und wenn Frau Valetti auf der Bühne steht, dann erzählt sie von ihrem Leben, dass auch das von Herrn Ottmers ist: Sie lebt in einer Welt, in der man das Kottbusser Tor lieber nur im Auto passiert, mit von innen verschlossenen Türen. Am liebsten geht sie im KaDeWe einkaufen, bei den „Verkaufstunten“. Sie wohnt nicht mehr in Britz, das war doch zu dicht an „Neukölln-Mitte, also an Istanbul“. Sondern in Wannsee: „Da ist es wie im Harz.“

Frau Valetti lässt kein Klischee aus und wirkt wie Ende 50. „Old-School-Travestie“ nennt Ottmers seine Show und „Paillettenschlacht“. Es sei Absicht, dass man sich in die Achtziger zurückversetzt fühlt. Aber es erklärt, warum er in Berlin nicht recht Fuß fassen kann: in der Stadt, die sich zurzeit vor allem über die St.-Oberholz-Mitte, das Casting-Allee-Prenzlauer-Berg und das Dicke-Hornbrillen-Kreuzkölln definiert. Die Stadt, in der viele junge Leute so androgyn herumlaufen, dass der Unterschied zwischen Mann und Frau sowieso verschwimmt.

Dabei verwischt auch Frau Valetti die Grenzen. Ganz zum Schluss ihrer Show verwandelt sie sich vor den Augen des Publikums: Von der Pailletten-Matrone in einen Obelix im bunten Anzug. „Eigentlich ist Frau Valetti ein Clown“, sagt Ottmers. Als „Clown Valetti“ tritt er bei Kindergeburtstagen auf. Gerade hat man ihn für eine Kindershow im Tropical Island gebucht. Daniela Martens

Der Künstler im Netz: www.valettis.de

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