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Stadtentwicklung in Berlin: Deutsche Wohnen startet Großangriff auf den Mietspiegel

Der Immobilienkonzern Deutsche Wohnen zerrt zwei Mieter aus Berlin-Wilmersdorf vors Verfassungsgericht. Er will die Mietbegrenzung durch den ortsüblichen Wert kippen.

Die Immobiliengesellschaft Deutsche Wohnen hat nach eigenen Angaben mehr als 1000 Prozesse gegen Mieter innerhalb von nur einem Jahr an Berliner Gerichten geführt, um Mieterhöhungen durchzusetzen. In vielen der Prozesse unterlag sie allerdings. Weil die zahlreichen rechtlichen Auseinandersetzungen aufwändig und teuer sind, will Berlins größter Vermieter jetzt den Mietspiegel ganz kippen und zerrt dazu zwei Mieter vor das Verfassungsgericht des Landes.

Das Kalkül: Falls das Gericht das Instrument zur Regulierung des Wohnungsmarktes infrage stellt, kann die Deutsche Wohnen Mieterhöhungen künftig schneller und einfacher durchsetzen. Vor allem wären aber viel kräftigere Mieterhöhungen bei langjährigen Mietern möglich auf dem heiß laufenden Wohnungsmarkt.

Durch den neuerlichen Angriff auf den Mietspiegel gerät Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher noch stärker unter Druck. Die Linken-Politikerin hat das erste Jahr ihrer Amtszeit in den Dienst des Mieterschutzes gestellt. Doch die Erfolge bleiben aus. Lompschers wichtigste Waffe im Kampf gegen die Ferienwohnungen ist stumpf – das Landgericht hatte jüngst das Zweckentfremdungsverbotsgesetz durchlöchert und meldete Zweifel an dessen Verfassungsmäßigkeit an. Auch die Bundesratsinitiativen des Senats zur Reparatur der wirkungslosen Mietpreisbremse stecken fest und gelten unter CDU-geführten Bundesregierungen als chancenlos. Und nun schrumpft das Angebot an Sozialwohnungen stark zusammen.

Tolles Prinzip, erst künstlich die Miete bei Neuvermietungen in die Höhe treiben und dann diese hohen Mieten als Vergleich heranziehen. Die Deutsche Wohnen wird ihrem schlechten Ruf als Heuschrecke wieder mal gerecht.

schreibt NutzerIn Pat7

Deutsche Wohnen stellt ortsübliche Miete infrage

Kippt der Mietspiegel tatsächlich, würde außerdem noch die Reserve an den bezahlbaren Wohnungen privater Vermieter in der Stadt zügig verschwinden. Denn die ganze Härte der Wohnungsnot bekommen bisher fast nur Haushalte zu spüren, die eine Wohnung neu mieten müssen. Rund neun Euro je Quadratmeter und Monat verlangen Vermieter, mit diesem Betrag beziffern jedenfalls die Marktforscher die durchschnittliche „Angebotsmiete“ auf dem freien Markt. Wer dagegen einen langjährigen Mietvertrag hat, zahlt viel weniger: die ortsübliche Miete von 6,39 Euro nach Mietspiegel. Diese Grenze stellt die Deutsche Wohnen infrage. Deshalb die Klage.

„Nicht qualifiziert“ schimpft der Besitzer von rund 100.000 Wohnungen in Berlin den Mietspiegel und fordert: Die Mieten von vergleichbaren Wohnungen in der Nachbarschaft müssten ausreichen, um drastischere Mieterhöhungen zu legitimieren. Da die Deutsche Wohnen ganze Blöcke in Berlin besitzt, könnte sie mit dem Verweis auf teuer neu vermietete Wohnungen auch bei ihren Altmietern drastische Mieterhöhungen fordern. Folgen die Richter dieser Logik, würden besonders in begehrten Stadtvierteln mit starkem Zuzug von besser Verdienenden die Mieten schneller steigen als bisher.

Mit ihrer „Verfassungsbeschwerde“ will die Deutsche Wohnen ein Urteil des Landgerichts vom vergangenen Jahr aufheben lassen, in dem der Konzern „die Verletzung der Eigentumsgarantie“ sieht. Konkret geht es um zwei Mieter im Stadtteil Wilmersdorf und den in den Mietspiegeln aus den Jahren 2013 sowie 2015 festgelegten Grenzen. Die Attacke ist allerdings grundsätzlich, denn die Firma erklärt, der Berliner Mietspiegel sei „nicht nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt“. Hat die Klage Erfolg, müsste dieser grundsätzlich überarbeitet werden. Der Senat hat die Gefahr offensichtlich erkannt und arbeitet an einer Novelle des Mietspiegels.

Das Soziale Mietrecht steht auf dem Spiel

Konkret geht der Streit um Mieterhöhungen in der Künstlerkolonie in Wilmersdorf an der Rauenthaler Straße. Die Deutsche Wohnen hatte dort eine Mieterhöhung von rund einem Euro auf knapp acht Euro je Quadratmeter gefordert und würde damit das dort „ortsübliche“ nach Mietspiegel um rund 80 Cent überschreiten. Die Überschreitung dieses „Oberwertes“ begründet die Deutsche Wohnen mit den Mieten von zehn vergleichbaren Wohnungen im selben Gebäudekomplex: Deren Mieten lägen zwischen 8,65 Euro und 8,90 Euro je Quadratmeter, also sogar noch über der geforderten Miete.

„Der Deutschen Wohnen geht es darum, die so genannte Marktmieten durchzusetzen“, sagt der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins Reiner Wild. Das aber würde das „Soziale Mietrecht in seinem Fundament zerstören“

Die Deutsche Wohnen wollte auf Tagesspiegel-Anfrage vorerst „keine Antwort“ geben, so ein Sprecher des Konzerns. Die Marktmiete ist der Preis, zu dem eine freie Wohnung vermietet wird. Dagegen fließen in die ortsübliche Miete des Mietspiegels, der alle zwei Jahre von Wissenschaftlern in Abstimmung mit Mieter- und Vermieter-Verbänden aufgestellt wird, auch Mieten länger bestehender Verträge ein.

Noch ist unklar, ob das Berliner Verfassungsgericht die Klage annimmt. Die Chancen stehen aber nicht schlecht. Von den vier Kammern des Landgerichts, die Mietrechtsfragen verhandeln, folgte eine der Deutschen Wohnen in einem Fall, wo der Konzern die Miete durch Vergleichswohnungen begründet hatte. Statt des Mietspiegels legten schließlich Gutachter die Grenzen der Mieterhöhung fest.

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