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Brüder im Geiste. Bundespräsident Joachim Gauck und andere deutsche Politiker sowie Kings Nachfolger aus den USA trafen sich in der St. Marienkirche.

© dpa

Sonntags um zehn in der St. Marienkirche: Der Traum des Martin Luther King

Ein Festgottesdienst in der St. Marienkirche erinnerte am Sonntag an den denkwürdigen Besuch von Martin Luther King vor 50 Jahren in Berlin. "Hier sind auf beiden Seiten der Mauer Gottes Kinder, das kann keine Grenze auslöshen", predigte er damals. Danach sang ein Kirchenchor: "Let my people go". Das hörten die SED-Machthaber auf der anderen Seite nicht gern.

„Martin Luther King war eine Sensation!“, schwärmt Hannelore Weist. „Er hatte eine Ausstrahlung, ein Charisma – unglaublich!“ Sie war 24 Jahre jung, als der berühmte Bürgerrechtler hier predigte. „Er hat uns allen aus der Seele gesprochen“, ergänzt ihr Ehemann und damaliger Verlobter, Wilfried Weist.

Die beiden gehören zu den rund 600 Gottesdienst-Besuchern in der St. Marienkirche am Sonntag in Mitte. Unter ihnen sind auch Bundespräsident Joachim Gauck, ebenfalls ein Zeitzeuge, sowie Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und der US-Botschafter John B. Emerson. Der Festgottesdienst erinnert an den Besuch Martin Luther Kings vor 50 Jahren.

King provozierte die Stasi-Spitzel

„My dear Christian Friends in East Berlin“, tönt seine Stimme vom Tonband aus dem Lautsprecher. Wie damals, in der überfüllten Marienkirche, am Abend des 13. September 1964. Und weiter: „Hier sind auf beiden Seiten der Mauer Gottes Kinder, und keine durch Menschenhand gemachte Grenze kann diese Tatsache auslöschen.“ Eine unvorstellbare Aussage damals, die wohl den Stasi-Spitzeln die Ohren klingeln ließ.

Unvorstellbar und „nicht mehr als ein Versprechen“ war damals auch, was der Kirchenchor sang, meint der evangelische Landesbischof Markus Dröge in seiner Predigt: das Spiritual „Go down Moses“ mit dem immer wiederkehrenden Refrain „Let my people go“. Ein eindringlicher Appell an die Machthaber der DDR. Ein Wunschtraum für die nächsten 25 Jahre. Erst dann fiel die Mauer. Dass dies gewaltfrei geschah, hätte King imponiert.

Ist radikaler Pazifismus weltfremd?

Doch die Aufforderung „Let my people go“, diesmal vorgetragen von der Marien Kantorei, bleibt hochaktuell. „Für uns heute ist es der Auftrag, unbeirrt für Frieden und Freiheit einzutreten“, sagt Dröge. Gerade weil in anderen Ländern „aus den Träumen der Freiheit Albträume wurden“.

Aber wie soll man für den Frieden kämpfen? Die Bergpredigt, aus der Botschafter Emerson zitiert, pocht auf radikalen Pazifismus, sogar auf Feindesliebe. Ein weltfremdes Dokument? Keineswegs, meint Dröge. Sie zeige in zugespitzter Übertreibung, dass die Neigung zum Töten und Vergelten in uns allen stecke. „Frieden braucht Ehrlichkeit mit sich selbst“, sagt er. Nur so könnten wir uns klarmachen, welches Wagnis wir im Einsatz für den Frieden eingingen.

Bischof Dröge mahnt Konzepte der Schutzverantwortung an

„Auch wenn jetzt die ,ultima ratio’ eines Militäreinsatzes unvermeidbar ist“, so Dröge, „heißt dies nicht, dass Militäreinsätze zum Lauf der Welt gehören.“ Um Massenverbrechen zu verhindern, brauche die Völkergemeinschaft Konzepte der Schutzverantwortung: Wenn wir heute mit Schrecken erkennen müssten, dass militärisches Eingreifen im Nordirak nötig geworden sei, um Völkermord zu verhindern, so dürften wir damit den Traum einer friedlichen Welt nicht aufgeben.

„Kings Gedanken, uns gewaltlos für Frieden und Freiheit einzusetzen, waren für uns wie ein Fenster in der Mauer“, sagt Zeitzeugin Hannelore Weist. „Ich denke, das hat uns die ganzen Jahre hindurch begleitet“, vermutet ihr Mann Wilfried Weist.

Für sie und alle anderen Menschen im Osten hat sich der Glaube an diesen Traum gelohnt.

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