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Bikeransturm auf die Dorfkirche Großziethen von Schönefeld. Drinnen auf den Bänken war bald kein Platz mehr, die Predigt teilten sich mehrere Redner.

© Thilo Rückeis

Sonntags um eins: Wenn Biker beten

Beim „Anlass-Gottesdienst“ in der Dorfkirche von Großziethen holten sich Motorradfahrer „den Segen für die Saison“ ab.

Ob Hobby mehr verbindet als Glaube? Auf alle Fälle motiviert es: „Ick fass et nich, ick fass es nich“, murmelt Pfarrer Bernd Schade gleich mehrmals vor sich hin, als er die Menge sieht, die an ihm vorbei in die kleine Dorfkirche Großziethen von Schönefeld drängt. Viel dickes Leder, viel Schwarz, grelle Neonwesten, hier und da Nieten, viele Männer, aber auch einige Frauen, und auf dem Kirchvorplatz glitzert Chrom in der Sonne.

Es ist wie jedes Jahr seit 1980 ökumenischer „Anlass-Gottesdienst“. „Die Biker holen sich ihren Segen für die Saison ab“, sagt Schade, selbst ein leidenschaftlicher Motorradfahrer mit „einer halben Million Kilometer auf dem Tacho“, der aktuell an einer 800er Triumph Tiger klemmt. Seit er den Führerschein habe, sagt er, sei er zu den „Anlass-Gottesdiensten“ gefahren, die nach einem tödlichen Unfall auf dem Ku’damm entstanden, inzwischen ist er der Bikerpfarrer der evangelischen Kirche.

Matthias Fenski, Schades katholischer Kollege an diesem Sonntag und bereits gottesdienstlich gewandet, zeigt sich auch vor der Kirche. Er fahre zwar Auto, aber die Biker hätten ihn sehr freundlich aufgenommen, sagt er und lacht.

Drinnen ist da längst kein Platz mehr, wo kein Mensch sitzt oder steht, liegen Helme, sie liegen sogar direkt vorm Altar. Und das ist nicht das einzig Ungewöhnliche. Aus der Bibel wird nicht gelesen, die Predigt zum Thema „Schwarzweiß“ teilen sich vier Redner, und die Gutelaunemusik dazwischen kommt von einer ukulelespielenden Truppe in knallbunten Hawaiihemden, den „Gentle Ukes“, deren Sänger natürlich auch Motorrad fährt.

Die erste Rednerin ist Katrin, die Biker duzen sich. Sie spricht über die Jahreslosung „Nehmet einander an“, die ihr Trauspruch gewesen sei. Sie sagt, im Alltag heiße das, nicht nur auf den Schwächen eines anderen herumzuhacken, sondern seine Stärken, das Gute zu sehen. Tom, der in schwerer Kluft nach ihr spricht, hat Ähnliches im Sinn, wird aber bei seinen Ausführungen – in anderen Gottesdiensten einigermaßen unvorstellbar – mehrfach durch „Lauter!“-Rufe der Hintensitzenden unterbrochen. Lauter und noch lauter sagt er, man solle es sich mit Urteilen nicht zu leicht machen, nicht aus Bequemlichkeit in Schubladen denken, sondern kritisch bleiben. Mit Janina, der dritten Rednerin, wird’s motorradlich. Sie spricht von Schulterblick und Fahrsicherheitstrainings und davon, dass Autofahrer die Motorräder noch nicht im Sinn hätten, also Obacht! Dafür wird sie beklatscht.

Der letzte Redner ist der Autofahrer Matthias Fenski, der sonor den Raum mit der Botschaft füllt, dass es besser sei, ein kleines Licht anzuzünden, als über die Finsternis zu klagen. Als Pfarrer Schade zum abschließenden Vaterunser aufstehen lässt, lugen unterm Talar seine Bikerboots hervor. Und dann wird gegrillt. Ariane Bemmer

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