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Bei der Untersuchung

© Sven Darmer

Schwangerschaft: Eine Frau für alle Fälle

Viele Schwangere suchen zu spät nach einer Hebamme. Dabei ist eine gute Betreuung wichtig – auch vor der Geburt. Etwa, um Frauen auf die Situation in überfüllten Berliner Geburtsstationen vorzubereiten. Ein Hausbesuch.

Ein Altbau in Steglitz, dritter Stock. Katharina Kerlen-Petri, die gerade die Stufen hochgestiegen ist, umarmt die schwangere Frau, die ihr die Wohnungstür öffnet. Die beiden Frauen gehen ins Wohnzimmer und setzen sich an den Esstisch. Die Schwangere, Hannah Schulz, gießt sich und ihrer Hebamme Mineralwasser ein und sagt: „Ich habe mich gestern im Krankenhaus angemeldet – zufälligerweise bei der Hebamme, die dabei war, als ich mein erstes Kind bekommen habe. Sie hat gesagt, dass ich nur bei Wehenbeginn oder im Notfall in die Klinik kommen soll, weil es dort so überlaufen ist. Alle Routineuntersuchungen soll ich beim Frauenarzt oder bei meiner Hebamme machen.“

Hebamme Katharina Kerlen-Petri ist an diesem kühlen Freitagvormittag für eine Vorsorgeuntersuchung zu ihr gekommen. Es sind nur noch wenige Wochen bis zum errechneten Geburtstermin von Hannah Schulz’ zweitem Kind. Die Vorsorgeuntersuchungen vor der Geburt nimmt die 35-Jährige immer abwechselnd bei ihrem Gynäkologen und ihrer Hebamme wahr. Und auch die Nachsorge wird Kerlen- Petri übernehmen. Ihre Praxis wird gerade renoviert, deshalb macht sie zurzeit auch bei der Vorsorge ausschließlich Hausbesuche. Wie alle Hebammen, die als Freiberuflerinnen keine eigene Praxis haben. Bei der Nachsorge ist der Hausbesuch sowieso selbstverständlich.

Es fällt ihr schwer, immer abzulehnen

Hebammen und Schwangere haben in Berlin schon länger mit Widrigkeiten zu kämpfen: Es gibt zu wenig Kapazitäten für Geburtsvorbereitungskurse, Vorsorge, Geburtsbetreuung, Nachsorge und Rückbildungskurse – und für Betreuung während der Geburt in den Kliniken. Bei dem Gespräch zwischen Kerlen-Petri und Hannah Schulz geht es immer wieder darum. Etwa fünf Frauen im Monat nimmt Kerlen-Petri an, erzählt sie nach dem Besuch: „Im Juli hatte ich sieben, weil so viele Kolleginnen mit Schulkindern weg waren. Es fällt mir schwer, immer abzulehnen. Es ist aber niemandem gedient, wenn ich zu viele annehme. Im Moment ist es eigentlich notwendig, schon in der fünften Schwangerschaftswoche eine Hebamme zu kontaktieren. Frauen, die das zweite Kind bekommen, wissen das in der Regel schon.“ Aber nicht die Erstgebärenden, die eine gute Hebammenbetreuung eigentlich besonders nötig haben.

„Zwei bis drei Anfragen habe ich am Tag und oft sind sie sind viel zu spät dran – den meisten muss ich absagen.“ In der Facebook-Gruppe „Hebammenvermittlung Berlin“ tauchen täglich Dutzende neuer Gesuche verzweifelter Schwangerer auf, die keine Hebamme finden können. Die Facebookseite ist für viele Berlinerinnen oft die letzte Rettung. Darüber klappt es dann doch manchmal noch, eine Hebamme zu finden.

Eigentlich war sie spät dran, aber sie hatte Glück

Auch Kerlen-Petri sieht dort immer wieder nach, und manchmal springt sie doch noch ein. Hannah Schulz ist nicht über Facebook zu ihr gekommen. Sie war in der neunten Schwangerschaftswoche, als sie nach ihrem Umzug von Tempelhof nach Steglitz nach einer Hebamme googelte und dann Kerlen-Petri kontaktierte. Das sei eigentlich schon sehr spät gewesen, sagt die Hebamme – aber Hannah Schulz hatte Glück und die Hebamme noch einen Platz frei. Rund um den errechneten Termin wird Kerlen-Petri allerdings gerade im Urlaub sein, und auch wenn sie eine Vertretung hat, will sie ihre Patientin jetzt bei dieser Vorsorgeuntersuchung gut auf alles vorbereiten, was sie erwartet: „Bevor ihr losfahrt, ruft im Krankenhaus an und fragt, ob Platz ist.“ Hannah Schulz nickt: „Weil es zu voll war, musste eine Freundin vom Auguste-Viktoria- Krankenhaus ins St. Joseph-Krankenhaus ausweichen. Wenn es bei mir auch so ist, ist das blöd, aber man muss pragmatisch sein. Man kann nur hoffen, dass es nicht drei Krankenhäuser werden. Es ist schon ein Fortschritt, dass sie inzwischen in den Kliniken offener damit umgehen und es den Frauen schon bei der Anmeldung sagen.“ Und Kerlen-Petri ergänzt: „Ich finde es wichtig, dass sich alle Chefärzte an einen Tisch setzen und sich eine Lösung überlegen. Es ist schließlich ein Problem, dass Gesamtberlin betrifft.“

"Es gibt keine Pflicht, sich schlecht zu fühlen in der Schwangerschaft"

Erst nachdem mögliche Probleme mit der Klinik besprochen sind, geht die eigentliche Vorsorgeuntersuchung los: „Wie geht’s sonst so?“, fragt die Hebamme. „Der Bauch ist runtergegangen.“ „Würdest du sagen, der Bauch wird hart?“ „Nein.“ „Und wie ist es mit dem Schlafen?“ „Besser. Und auch tagsüber: Ich spüre die Bewegung des Kindes, es geht mir gut und dem Baby auch.“ „Es ist keine Pflicht, sich schlecht zu fühlen in der Schwangerschaft“, sagt die Hebamme lachend. Sie misst Blutdruck. Währenddessen berichtet Hannah Schulz von der Thrombose, die sie am Ende ihrer ersten Schwangerschaft bekam. Sie sprechen über eine mögliche Geburtseinleitung, wenn sich das Baby zu viel Zeit lässt. „Je länger du über dem Termin bist, desto mehr ist das Krankenhaus aus juristischen Gründen verpflichtet, zu einer Einleitung zu raten“, erklärt die Hebamme. „Ich nehme dir jetzt mal Blut ab. Du hast ja Adern, die sind ein Traum.“

Die Hebamme fragt, was sie für die große Tochter, die zwei ist, geplant haben, wenn das Baby geboren wird. „Immer wenn ich sage, heute holen dich Oma und Opa von der Kita ab, hat sie Angst, dass ich ins Krankenhaus muss.“ „Was hältst du davon, mit ihr mal einen entspannten Ausflug ins Auguste Viktoria zu machen? Da kannst du ihr erklären: Guck mal, da geht Mama hin, wenn sie das Baby bekommt.“ „Wenn ein Familienzimmer frei wird, könnte ich sie sogar nach der Geburt dabeihaben“, sagt Hannah Schulz. Die Hebamme rät ab. Sie diskutieren, ob es besser ist, einige Tage im Krankenhaus zu bleiben oder gleich nach Hause zu gehen. „Ich kenne mich“, sagt Hannah Schulz, „wenn ich zu Hause bin, mache ich mehr, als ich soll, und fange an, die Spülmaschine einzuräumen. Eigentlich möchte ich mir die drei freien Tage in der Klinik gönnen, aber ich möchte nicht, dass meine Tochter sich Sorgen macht.“ Zu einem endgültigen Ergebnis kommen die beiden nicht.

Etwas beult die Bauchdecke von innen aus

„So, du darfst dich jetzt hier mal langlegen“, sagt die Hebamme und geleitet ihre Patientin zum Sofa. Sie tastet den Bauch ab. „Ja, das Kind sitzt schon ganz nett tief, so ein bisschen schräg.“ „Links ist seine Lieblingsseite.“ „Das dreht sich nicht noch mal um“, sagt die Hebamme, während sie weitertastet. „Hier sind Hand und Ellenbogen. Dadurch, dass bei dir die Plazenta hinten sitzt, kann man alles spüren.“ Sie misst den Bauchumfang. Plötzlich kann man es ganz deutlich sehen: Etwas beult von innen die Bauchdecke aus – ein Fuß des Ungeborenen.

Die Hebamme holt ihr kleines Ultraschallgerät hervor. Es rauscht und knistert. „Ja, das Baby ist guter Dinge“, bestätigt sie nach kurzer Zeit. „Es hat sich nach hinten verkrümelt und einen netten Herzschlag um die 130, 140 herum.“ Sie besprechen noch die Vor- und Nachteile eines Abstriches auf Beta-Streptokokken, Hannah Schulz soll es auch noch mal mit dem Frauenarzt besprechen. Die nächste Vorsorgeuntersuchung ist in zwei Wochen beim Gynäkologen. Und dann geht es noch einmal darum, wie sie sich in der Klinik verhalten soll, wenn man sie zu lange unbeachtet lässt. Sie solle immer versuchen, ganz viel zu fragen: Muss das CTG so lange sein? Muss sie weiter liegen, oder kann sie auch mal wieder zwischendurch aufstehen?

"Ich betreue eher wenig Frauen, aber die ausführlicher"

Hebamme und Schwangere verabschieden sich mit einer Umarmung voneinander. Katharina Kerlen-Petri muss zur nächsten Patientin, zu einer Nachsorge. „Ich betreue eher wenig Frauen, aber die ausführlicher“, sagt Kerlen-Petri. „Ich muss es doch auffangen, dass die Frauen in den Kliniken oft nicht so gut betreut werden. Die Frauen werden häufig in einem Zustand entlassen, in dem man sie früher nicht nach Hause geschickt hätte. Ich erlebe auch oft, dass das Gewicht der Kinder nicht stabil ist.“ Was sie noch bemängelt: Es existiert keine Kommunikation zwischen Kliniken und freiberuflichen Hebammen: Nur wenn man Glück habe, bekomme man den Arztbrief in Kopie. Kinder würden mit Gelbsucht und dem Kommentar entlassen, dass die Hebamme das weiter beobachten müsse. „Kann man machen“, sagt Katharina Kerlen-Petri, „aber dann braucht man eine gute Verzahnung zwischen Klinik und Hebamme.“ Bald wird sie erfahren, ob es bei Hannah Schulz vielleicht mal besser geklappt hat.

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