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Altersübergreifende Vernetzung: Immer mehr Bildungsverbünde in Berlin

In Berlin wächst die Zahl von Bildungseinrichtungen, die sich untereinander zu Bildungsverbünden vernetzen. Von Kitas über Schulen bis hin zu Bibliotheken: Alle Beteiligten sollen von den Kooperationen profitieren und voneinander lernen.

Die Zehntklässler tragen große Schutzbrillen und weiße Kittel und machen auch sonst einen ziemlich professionellen Eindruck. Sie stehen im Chemielabor der Lise-Meitner-Schule, eines Neuköllner Oberstufenzentrums (OSZ), und experimentieren mit Kunststoffen. Fast möchte man meinen, die Jugendlichen gehörten hierher, aber das stimmt nicht ganz: Sie sind Schüler der Hermann-von-Helmholtz-Sekundarschule und am OSZ nur zu Gast – im Rahmen der „Bildungsmeile Wutzkyallee“.

In diesem Verbund kooperieren nah beieinander gelegene Bildungs- und Freizeiteinrichtungen wie eine Kita, mehrere Schulen und ein Jugendzentrum. Kita-Kinder und Schüler lernen die jeweils anderen Einrichtungen kennen, Räume stehen zur Verfügung, Ressourcen werden ausgetauscht – so dass die Helmholtz-Schüler die Labore des OSZ nutzen können.

„Die Kinder sollen von der Kita bis zum Beruf bestmöglich gefördert werden“, sagt Roland Hägler, Leiter der Helmholtz-Schule. Er hat das Projekt der Einrichtungen, die alle im Umkreis von rund 800 Metern zu finden sind, vor zwei Jahren mit angestoßen. Bis dahin habe jeder „sein eigenes Süppchen gekocht“. Dann aber habe man sich zusammengesetzt und offen über Stärken und Schwächen der einzelnen Angebote gesprochen. „Wir haben unseren damaligen Zustand als Isolation empfunden“, sagt Hägler. Nun habe man die Türen den anderen Einrichtungen und damit auch dem Umfeld im Kiez geöffnet.

Die Vorteile seien klar: Zum einen geht es um Materielles. So durften die Kita-Kinder schon mal die Mikroskope der Sekundarschule leihen. Zum anderen geht es auch darum, insbesondere Kinder mit Migrationshintergrund von klein auf mit den Bildungseinrichtungen vertraut zu machen. Und ihnen auch die Übergänge – etwa von der Kita in die Schule – zu erleichtern. Wenn deshalb die Kita-Kinder über mehrere Tage zu Experimentierworkshops in der Sekundarschule eingeladen seien und die Jugendlichen die Workshops kindgerecht vorbereiteten, nutze das allen Beteiligten: „Alle lernen etwas, und noch dazu sind die Kleinen begeistert, wenn sie mal die Großen kennenlernen dürfen“, sagt Hägler.

Die „Bildungsmeile Wutzkyallee“ ist nicht das einzige Projekt dieser Art in Berlin: In den vergangenen Jahren sind zahlreiche ähnliche Zusammenschlüsse wie etwa die Kreuzberger Bildungsinitiative „Wrangelkiez macht Schule“ oder der „Campus Marianne“ rund um den Mariannenplatz, der „Lokale Bildungsverbund Tiergarten Süd“, das „Bildungsnetzwerk Südliche Friedrichstadt“ oder der „Kulturelle Bildungsverbund Pankstraße“ in Wedding entstanden – zumeist also in Gebieten, in denen viele sozial schwache Familien leben. „In Berlin war irgendwann klar, dass die Einrichtungen in ihrer Einzelkämpferposition nicht weiterkommen“, erklärt Kerstin Wiehe, Koordinatorin von „Wrangelkiez macht Schule“, das Phänomen.

Die Akteure der verschiedenen Bildungsnetzwerke sind in den lokalen Kiezen verankert. Dort arbeiten sie „nach innen“, sagt Wiehe – vielleicht haben bislang deshalb die wenigsten eine eigene Website und sind auf den ersten Blick nicht sehr stark nach außen hin sichtbar. Die Konzepte und Ziele der einzelnen Verbünde sind ähnlich, häufig wird mit denselben Mitteln gearbeitet: So gibt es etwa Nachmittagstreffs und Werkstätten, Projektwochen oder Elterncafés.

Daneben setzen viele Projekte aber auch eigene Schwerpunkte: Das „Bildungsnetzwerk Südliche Friedrichstadt“ etwa arbeitet nach dem Early-Excellence-Ansatz. Der geht davon aus, dass jedes Kind das Potenzial zu hervorragenden Leistungen hat, wenn es frühzeitig richtig gefördert wird. Die Eltern werden als die wichtigsten Erziehungsexperten betrachtet und aktiv in die Kita-Welt einbezogen.

Im „Kulturellen Bildungsverbund Pankstraße“ in Wedding hingegen liegt der Schwerpunkt auf Kultur und Sprachentwicklung. „Kunst, Musik und Theater sollen sich wie ein roter Faden von der Kita bis in die Sekundarschule ziehen“, sagt der Leiter der Herbert-Hoover-Sekundarschule Thomas Schumann. Deshalb arbeiten hier schon früh Künstler mit den Kindern, später wird Darstellendes Spiel in AGs oder als Wahlpflichtfach angeboten.

Und im Wrangelkiez, in dem rund 40 Prozent der Einwohner einen Migrationshintergrund haben, geht es etwa darum, eine „vorurteilsbewusste“ Bildung und Erziehung in den verschiedenen Einrichtungen zu verankern. Außerdem sollen insbesondere die Zusammenarbeit mit den Eltern verstärkt und die Muttersprachen, also auch die Mehrsprachigkeit im Kiez gefördert werden. Dazu wird in vielen Einrichtungen nach dem Konzept der „Rucksackprojekte“ gearbeitet: Themen wie etwa „Jahreszeiten“, die gerade in der Kita oder in den Schulen behandelt werden, werden in verschiedenen Sprachen auch für die Eltern aufbereitet.

Getragen wird das Netzwerk im Wrangelkiez, das 2005 ins Leben gerufen wurden, mittlerweile von rund 25 Partnern wie etwa dem Jugendamt und dem Quartiersmanagement, Kitas und Schulen, Freizeiteinrichtungen, Beratungszentren und Bibliotheken. Wie in den meisten Verbünden gibt es auch im Wrangelkiez keine dauerhaft gesicherte Finanzierung: Die Gelder der jeweiligen Netzwerke kommen zeitlich begrenzt zumeist vom Quartiersmanagement, von den einzelnen Trägern wie etwa Wohlfahrtsverbänden, von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung oder über Drittmittel.

Sowohl in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung als auch in der Senatsbildungsverwaltung begrüßt man die Projekte – einen genauen Überblick über die Vielzahl der selbstständig arbeitenden Netzwerke gibt es aber nicht. „Allein aus staatlicher Verantwortung heraus ist das Ziel, eine größere Bildungsgerechtigkeit zu schaffen, nicht zu lösen“, sagt etwa Petra Rohland von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. „Wir gehen davon aus, dass Projekte wie Bildungsnetzwerke immer stärker zunehmen.“

Für Kerstin Wiehe von „Wrangelkiez macht Schule“ nimmt Berlin im Bereich der Bildungsnetzwerke durchaus eine „Vorreiterrolle“ ein. Deshalb bekommt ihr Projekt auch immer wieder Besuch von Praktikern aus anderen deutschen Städten, Holland oder der Türkei.

Die Gäste von der Helmholtz-Schule haben derweil ihre Experimente beendet und die großen Schutzbrillen wieder abgesetzt. Nun wissen die Zehntklässler, welche Eigenschaften Styropor und PVC haben. Der 16-jährige Daniel hat im Chemielabor noch eine andere Entdeckung gemacht: „Ich kann mir schon vorstellen, hier nächstes Jahr zur Schule zu gehen.“

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