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Schöneberg: Last mit der Lust an der Kurfürstenstraße

Die SPD streitet über die Prostitution an der Kurfürstenstraße in Schöneberg. Jetzt diskutierte Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue mit Anwohnern über den Straßenstrich.

„Friede auf Erden“ – dieser Wunsch steht an der Wand des Gemeindesaalfoyers der 12-Apostel-Kirche in Schöneberg. Aber gerade geht es hier gar nicht friedlich zu. „Ich habe Angst vor diesen Männern“, ruft eine gut aussehende Frau, die hinzufügt, sie sei 41, habe ihr ganzes Leben im Kurfürstenstraßenkiez verbracht und mache sich große Sorgen um ihre Kinder. Mit „diesen Männern“ meint sie die Freier der Prostituierten, die um die Ecke auf Kunden warten.

„Straßenstrich, die Last mit der Lust – oder wie man die Probleme lösen kann“ darüber diskutieren am Dienstagabend sehr unterschiedliche Menschen: Justizsenatorin Gisela von der Aue und andere SPD-Politiker, Sozialarbeiterinnen, Rentner, alte Damen, besorgte Mütter – und Prostituierte. Das sei ein uraltes Problem, sagt Gisela von der Aue. „Alle zwei Jahre kocht das Thema regelmäßig hoch“, fügt Heiner Wörmann von der SPD Mitte hinzu. „Wer Prostitution abschaffen will, ist weltfremd.“ Er kenne die Diskussion seit er in den Achtzigern in die Gegend gezogen ist. Und aus dem Publikum wirft eine alte Dame mit Blindenarmbinde ein, sie lebe seit 1943 hier und Prostitution habe es immer gegeben, Angst habe sie aber nie gehabt.

Warum also ausgerechnet jetzt eine neue Diskussion? Das liege wohl an den bevorstehenden Wahlen, mutmaßt die SPD-Abgeordnete Bilkay Öney, die zu der Diskussion eingeladen hatte. Dabei wird der Streit dieses Mal vor allem innerhalb der SPD geführt, die in der Frage gespalten ist. Die Diskussion im Gemeindesaalfoyer ist eine Reaktion auf einen Vorstoß der SPD-Fraktion von Tempelhof-Schöneberg: Die Fraktionsvorsitzende Elke Ahlhoff will – im Einklang mit der CDU – die „Prostitution im Kurfürstenkiez eindämmen“. Und hat zu diesem Zweck eine Reihe von Vorschlägen gemacht: Man könne doch Nummernschilder und Fotos von Freiern ins Internet stellen, lautete der provokativste.

Befürworter dieses Vorstoßes sind nicht zur Diskussion eingeladen. Hier sitzen die Gegner. Vor allem Bilkay Öney hat sich sehr über ihre „Genossin“ aufgeregt. Sie sei „schockiert gewesen“, sagt Simone Kellerhoff von der Organisation Hydra, die die Interessen der Prostituierten vertritt. Damit dränge man die „Sexarbeiterinnen“ wieder in jene für sie gefährliche Grauzone, aus der sie gerade erst durch das Prostitutionsgesetz ein wenig herausgefunden hätten. Auch von der Aue sagt: „Es ist nicht hilfreich, Menschen an den Pranger zu stellen.“

Stattdessen solle man die Freier einbeziehen und sie dazu bringen, nur „Dienstleistungen“ von Frauen anzunehmen, die nicht zu der Arbeit gezwungen würden, schlägt Simone Kellerhoff vor. Vor allem sei es wichtig, etwas gegen „spitzfindige Anwohner“ zu unternehmen, die bulgarischen Prostituierten, die sonst keine Wohnung finden, Kellerräume für 30 Euro am Tag vermieteten. Die Anwohnerin, die Angst vor den Freiern hat, fordert erregt, Sperrzeiten einzuführen: „Dann stehen alle gleichzeitig auf der Straße und es wird richtig laut“, kontert eine ältere Prostituierte, die ebenfalls im Publikum sitzt. Wer sich um seine Kinder zu sehr sorge, müsse eben wegziehen, sagt Joana Latorre von der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen.

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