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Ein Obdachloser liegt in einem Schlafsack gehüllt unter einem Dachvorsprung vor dem Berliner Zoo.

© dpa

Schlafplatzmangel in Berlin: Flüchtlinge und Obdachlose stehen in Konkurrenz

In Berlin werden wegen des Zuzugs von Flüchtlingen Übernachtungsplätze in Notunterkünften knapp - auch für Obdachlose. Am 1. November beginnt die Kältehilfe.

Das Zimmer ist sechs Quadratmeter groß. Ein Bett, ein Nachttisch, ein Bild mit blauen Karos an der Wand, viel mehr ist nicht drin. Jürgen Mark sagt stolz: „Das ist unsere Präsidentensuite.“ Weil es ein Einzelzimmer ist. Und weil das Bett bezogen ist. In der Franklinstraße 73 geht das als Luxus durch. Eigentlich zieht hier jeder sein Bettlaken selber fest. Und in keinem anderen Zimmer steht nur ein Bett. Doch Raum 6 im Erdgeschoss ist für körperbehinderte Menschen da. Deshalb ist neben Raum 6 auch die Behinderten-Toilette.

Mark ist Leiter der Notunterkunft der Berliner Stadtmission, ein freundlicher Mann mit grauer Haarmatte. Er sagt: „Ich stöhne jeden Tag.“ Martin Zwick stöhnt nicht, er klingt nur resigniert. „Die Konkurrenz zur Flüchtlingsarbeit ist da, man muss es so sagen.“ Martin Zwick ist Geschäftsführer der Stadtmission. Es ist eine Konkurrenz am Rande der Gesellschaft, unter Menschen, die fast nichts mehr haben. Eine Konkurrenz auch um eines der 73 Betten in der Franklinstraße.

Konkurrenz zwischen Flüchtlingen und Obdachlosen

Rund 2000 bis 3000 Menschen leben in Berlin, die im Freien schlafen müssen, in Parks, unter Brücken, in leeren Gebäuden. Genaue Zahlen gibt es nicht. Aber es gibt Zahlen, die drastisch zeigen, wie stark das Problem gewachsen ist. Jürgen Mark sagt: „An bestimmten Tagen müssen wir bis zu 350 Menschen abweisen. Das kannten wir früher nicht.“ Wenn 73 Betten belegt sind, wird zugemacht. Das hat mit Brandschutz zu tun, mit Fluchtwegen. Maximale Gleichberechtigung.

Aber durch die zahlreichen Flüchtlinge ist alles anders geworden. „Unter den Abgewiesenen sind viele Flüchtlinge“, sagt Mark. Sie kommen, weil sie in anderen Heimen nicht unterkommen oder weil das Sozialamt keinen Platz für sie hat und sie zur Franklinstraße schickt. Dann stehen sie vor der Tür mit anderen Obdachlosen, die seit Jahren kommen. „Unser früherer Kundenkreis ist ja nicht weg“, sagt Mark. Wenn er Obdachlose mit deutschem Pass abweist, hört er immer öfter: „Aber die Kanaken dürfen rein, ja?“ Es ist die derbe Sprache der Straße. „Die Fremdenfeindlichkeit nimmt zu“, meint Mark.

24.380 Übernachtungen hatte er im vergangenen Jahr, im Moment ist fast jeder zweite Bewohner Ausländer. „Wir bekommen das Hauen und Stechen hautnah mit“, sagt Mark. Es gibt ja bis zum Beginn der Kältehilfe nur diese zwei Einrichtungen für Wohnsitzlose. Die Franklinstraße und eine Frauen-Notunterkunft, aber die hat nur neun Plätze.

Am 1. November beginnt die Kältehilfe, „ein Glück“, sagt Mark, „das entlastet uns.“ Besser gesagt: Es verringert das Problem. Maximal 621 Übernachtungsplätze bietet die Kältehilfe in 17 Einrichtungen, rund 50 Prozent davon stellt die Stadtmission. Da sind aber Nachtcafés zum Aufwärmen schon mitgezählt.

Kältehilfe der Stadtmission auf Flüchtlinge nicht vorbereitet

Die Stadtmission hat ihre Zentrale in der Nähe des S-Bahnhofs Lehrter Straße. Geschäftsführer Martin Zwick sagt: „Wir hatten eigentlich zwei Gruppen von Obdachlosen. Deutsche und Ausländer, vor allem Ost- und Südeuropäer.“ Leute, die hier Arbeit suchten, keine fanden oder nicht bezahlt wurden, aber trotzdem blieben. „Hier sind die Brotkrumen immer noch besser als das, was sie zu Hause erwartet. Aber jetzt kommt eine dritte Gruppe dazu: die Flüchtlinge.“

Die Stadtmission bietet 290 Übernachtumngsplätze an, das sind rund 50 Prozent aller Plätze der Kältehilfe. Zwick nennt die Menschen, die hier schlafen, „Gäste“. Eine Frage der Würde. Im Winter 2013/14 kamen 5,8 Prozent aller Gäste aus einem Nicht-EU-Land. Im Winter 2014/15 waren es schon 13 Prozent, 422 Menschen. In ganz Berlin registrierte das Netzwerk Kältehilfe, der Verbund aller karitativen Einrichtungen, im letzten Winter 82.000 Übernachtungen.

Bei der Stadtmission ist Karen Holzinger für die Kältehilfe direkt zuständig. Sie sagt: „Bisher waren wir noch nicht an dem Punkt, an dem wir keinen mehr eingelassen haben. Aber die Enge ist für alle Gäste und Mitarbeiter eine enorme Belastung.“ Die Flüchtlinge zu versorgen, ist ein zusätzliches Problem. „Es gibt welche, die eine Anerkennung haben, aber keine Wohnung finden. Auf diese Menschen sind wir gar nicht vorbereitet. Und die soziale Wohnhilfe in den Bezirken auch nicht.“ Und ja, „es gibt zunehmend Gewalt in den Einrichtungen“.

Jürgen Mark leitet das Übernachtungsheims für wohnungslose Frauen und Männer in der Franklinstraße, wo auch Flüchtlinge Zuflucht suchen.
Jürgen Mark leitet das Übernachtungsheims für wohnungslose Frauen und Männer in der Franklinstraße, wo auch Flüchtlinge Zuflucht suchen.

© dpa

In diesem Winter soll die Zahl der Notschlafplätze der Kältehilfe auf 700 aufgestockt werden. Das heißt aber auch, dass mindestens doppelt so viele Obdachlose draußen schlafen müssen.
Und selbst das ist nicht gesichert. Denn es muss ja erst mal Gebäude geben. Aber die Kältehilfe findet kaum welche. „Wir sind hilflos, weil wir keine Räume finden“, sagt Karen Holzinger. Das Angebot auf dem Wohnungsmarkt wird immer knapper. „Wir reden uns den Mund fusselig, aber nichts bewegt sich.“ Kurz schwingt Bitterkeit mit. „Für Flüchtlinge werden 60 Liegenschaften geprüft. Auf einmal geht es.“

Natürlich will Holzinger die Menschen nicht gegeneinander ausspielen. Für die Stadtmission ist jeder, der keine Unterkunft findet, eine Person, der man helfen muss. Doch es geht um den politischen Willen. Was durchklingt ist: Obdachlose, die keine Flüchtlinge sind, haben keine politische Lobby.

Nur die Sicherheit, dass die raren Plätze in einer Unterkunft wie der Franklinstraße nicht zweckentfremdet werden, die haben sie, die Obdachlosen. Bei Heimleiter Mark meldete sich mal ein sturzbetrunkener Partygänger, der weder Kraft noch Lust hatte, nach Hause zu torkeln. Er wollte hier seinen Rausch ausschlafen. Er war blau, aber diese Botschaft verstand er trotzdem: abgewiesen.

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