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In Seenot. In Seenot. Eine Gruppe Philanthropen will das ehemalige Jugendclubschiff „Freibeuter“ umbauen.

© Robert Klages

Rummelsburger Bucht: Friedrichshain streitet mit Eigentümern um das alte Jugendschiff

Die Besitzer des Jugendschiffs in der Rummelsburger See haben große Pläne. Doch es gibt Probleme mit dem Liegeplatz – und mit dem Bezirk.

Markus Ibrom, Sanna Pommeranz und Jennifer Smith wollen autark leben – unabhängig von der „alten Welt“, wie viele Philanthropen nennen, was hinter ihnen liegt. Der Traum von der gemeinsamen Freiheit, offen für jeden. Sie möchten eine lebenslange Verbindung darstellen, eine soziale Gruppe mit familiären Verantwortlichkeiten sowie gemeinsamem Wirken und Wirtschaften. Der Austausch von Gütern und Fähigkeiten soll die Alltagsbedürfnisse regeln. „Gemilie“ nennen sie das, ein Kofferwort aus „Familie“ und „Gemeinschaft“. Für viele klingt das nach Paradies, für andere nach Sekte. Seinen alternativen Lebensentwurf frei leben, das sollte möglich sein in Berlin, besonders in Friedrichshain-Kreuzberg.

Doch so einfach ist es nicht. Um sich zu verwirklichen haben die drei dem Bezirk vor rund einem Jahr den „Freibeuter“ abgekauft, ein ehemaliges Jugendfreizeitschiff in der Rummelsburger Bucht. Nun nennen sie es „Forschungsstation AuGe“, kurz für Autark und Gesellschaft. Dabei stimmt „gekauft“ nicht ganz: Sie haben einen Vertrag unterschrieben und bisher erst drei Prozent des Kaufpreises von 225 150 Euro bezahlt. Denn es gibt da ein Problem: Das Schiff wurde ohne Anlegeplatz verkauft. Sie hätten das Schiff bereits Anfang des Jahres wegschaffen müssen. Im Vertrag ist auch eine monatliche Strafe von mehr als 1000 Euro veranlasst – für jeden Monat, den es noch vor Ort und Stelle an der Kynaststraße 17 liegt. „Es ist allein Angelegenheit des Käufers, einen neuen Liegeplatz zu beschaffen“, steht im Kaufvertrag.

Kein Bankkredit ohne Anlegeplatz

Obwohl sie keinen Liegeplatz gefunden haben, fingen die neuen Besitzer an, das Schiff umzubauen. Um den Kaufpreis zu bezahlen, wollten sie einen Kredit aufnehmen, ganz klassisch. Eine Bank habe bereits zugesagt, jedoch nur, wenn ein Anlegeplatz feststeht. Und diesen gibt es für das Schiff derzeit nicht. Ein reales Dilemma der realen Welt. Und ein praktisches Problem: Der „Freibeuter“ passt unter keiner Brücke durch und ist somit auf einen Liegeplatz in Kreuzberg, Köpenick oder Lichtenberg angewiesen. Der Bezirk Lichtenberg hat zwar Hilfe angeboten, weiß aber auch nicht, wo das Schiff stehen könnte.

Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg hat sogar Klage eingereicht und verlangt eine Rückabwicklung des Kaufvertrages. Das haben die Philanthropen verweigert, nun droht die Räumung. Doch die „Gemilie“ hat schon viel Geld in den Umbau des Schiffes investiert, für die Dienste eines Architektenbüros und für Solarpanels zum Beispiel. Eine aufwendige Filteranlage reinigt das Seewasser, sodass es trinkbar wird. Was in der Toilette landet, wird mit Hilfe von Sauerkrautsaft gegoren und als Dünger verwendet. Ein „Raum der Sinne“ und ein Schülercafé sind in Planung. Eine Montessori-Schule will einige Schüler tagsüber hier mitmachen lassen. „Sie sollen lernen, selbst Kreisläufe zu schaffen“, sagt Schulleiter Uwe Reyer. „Für so etwas gibt es kein Schulfach.“ Dass um das Schiff ein Rechtsstreit tobt, wissen die Schüler nicht. Für sie geht es abends zurück nach Prenzlauer Berg.

"Wir haben die Katze im Sack gekauft"

Für Schiffbewohner Markus Ibrom ist klar: Der Vertrag ist unerfüllbar. „Der Bezirk verlangt, dass wir einen neuen Liegeplatz finden, es gibt aber gar keinen. Wir haben die Katze im Sack gekauft.“ Zwischen den Philanthropen und Kreuzbergs Grünen-Baustadtrat Florian Schmidt kriselt es heftig, jetzt herrsche sogar Funkstille, sagen die Bootbesitzer. Michael Heihsel, FDP-Bezirksverordneter aus Friedrichshain-Kreuzberg, findet es ohnehin merkwürdig, dass der Bezirk geglaubt hat, die drei Arbeitslosen würden mehr als 200 000 Euro bezahlen können. Heihsel stört auch, dass das Schiff als Wohnsitz angemeldet wurde. „Vermutlich kann man seinen Wohnsitz in Friedrichshain-Kreuzberg also auch auf einem Paddelboot oder einem Baumhaus anmelden, solange man hierzu eine Adresse mitteilen kann.“

Die Gemeinschaft der Philanthropen ist noch größer und wächst derzeit. Eine große Wohngemeinschaft, begründet auf der Philosophie von „Teilen und Schenken“. Das Schiff soll das „Stadthaus“ werden. Daneben existieren angeblich bereits ein „Werkhaus“ am Teltower Kanal und ein „Landsitz“ am großen Wentowsee. Überraschenderweise sind die Kajüten sowie die Biotoiletten für Frauen und Männer auf dem Schiff getrennt. „Viele Prozesse machen die Geschlechter lieber unter sich aus“, sagt Markus Ibrom. Zum Beispiel die „Kompensationskommunikation“, also das Sprechen über Probleme. „Männer hauen sich einfach gegenseitig auf die Schultern und gut ist. Frauen reden 15 Mal darüber“, meint Ibrom. Daher die Geschlechtertrennung.

Statt Geld bieten sie dem Bezirk Dienstleistungen an

Derzeit lebt die Schiffsgemeinschaft von einem Existenzgründungszuschuss in Höhe von rund 460 Euro pro Monat, pro Person, ein Jahr lang. Alle drei sind ihre eigenen Start-ups. Markus ist Vorsitzender der Spreewohnen eG. – wer hier Mitglied werden möchte, muss 2000 Euro bezahlen und kann dann die „Wohnflächen“ in den Objekten der Gruppe nutzen. Bei Austritt soll der Beitrag zurückgezahlt werden, steht in der Satzung. Statt Geld wollen sie dem Bezirk nun Dienstleistungen anbieten, ganz nach dem Prinzip des Schenkens und Tauschens. Schulklassen dürften vorbeikommen und zudem könne der Bezirk ein Umweltbüro auf dem Schiff einrichten, kostenlos natürlich. Oder eine See-Forschungsstation.

Doch daraus wird wohl nichts: Stadtrat Florian Schmidt will das Schiff neu zum Verkauf ausschreiben. Diesmal nur zur Verschrottung. Der neue Käufer muss keinen Anlegeplatz finden.

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