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Zwei wie Pech und Schwefel. Michael Müller, der Regierende Bürgermeister, und SPD-Fraktionschef Raed Saleh ziehen an einem Strang, nur nicht immer beide in dieselbe Richtung.

© picture alliance / Jörg Carstens

Richtungsdebatte in der Berliner SPD: "Wir haben ein Umsetzungsproblem"

Der Berliner SPD-Fraktionschef Saleh wird von den Genossen an seine Verantwortung in der Landesregierung erinnert. Ein Parteitag soll die Richtung weisen: Soziale und innere Sicherheit.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Starke Töne, leises Echo. Die Generalabrechnung des SPD-Fraktionschefs Raed Saleh mit der Bundespartei, in einem Essay für den Tagesspiegel, wurde von den Berliner Genossen sehr verhalten aufgenommen. Seine Forderung nach einem radikalen personellen Neuanfang, mit Ausnahme des Parteichefs Martin Schulz, wird im SPD-Landesverband so nicht geteilt. Außerdem sind viele Funktionsträger genervt, dass Saleh seine Thesen immer wieder über öffentliche Medien transportiert. Aber in den Parteigremien melde er sich fast nie mit substanziellen Beiträgen zu Wort, klagen Genossen.

Einige SPD-Kreischefs erinnern Saleh jetzt daran, dass er als Fraktionsvorsitzender im Abgeordnetenhaus seit Jahren mit in der Regierungsverantwortung stehe. „Als wir 2016 ein schlechtes Ergebnis bei der Abgeordnetenhauswahl einstecken mussten, hat er für sich auch keine personellen Konsequenzen gezogen“, sagt der Kreischef von Treptow-Köpenick, Ole Kreins. Eine ehrliche Auswertung der Bundestagswahl sei natürlich wichtig, doch in Berlin erwarteten die Bürger von der SPD erst einmal überzeugende Lösungen für die Probleme der Stadt.

„Wer zur Landesregierung gehört, muss liefern, nicht proklamieren“

Auch Rupert Stüwe, der den Kreisverband Steglitz-Zehlendorf führt, rät zu einem gesunden Pragmatismus: „Senat und Fraktion kümmern sich um gute Politik, der Rest um die Neuaufstellung der SPD.“ Er könne nur dazu raten, so Stüwe, sich mehr auf die konkrete Regierungsarbeit zu konzentrieren. Politiker an verantwortlichen Positionen würden an ihren Taten gemessen – und nicht an Grundsatzpapieren. Auch der Reinickendorfer SPD-Kreischef Jörg Stroedter vertritt die These: „Uns fehlen keine Konzepte, wir haben ein Umsetzungsproblem.“ Das sieht Harald Georgii, der die Genossen in Friedrichshain-Kreuzberg anführt, ähnlich: „Wer zur Landesregierung gehört, muss liefern, nicht proklamieren.“

Als sich am Montag die Kreisvorsitzenden mit dem SPD-Landeschef Michael Müller trafen, um einen Landesparteitag für den 11. November vorzubereiten, war der Aufruf Salehs „für mehr Mut“ kein Thema. Auch der SPD-Fraktionschef, der mit einer Stunde Verspätung dazukam, sagte nichts dazu. Trotzdem ist man sich auch in der Berliner SPD einig, dass die katastrophale Niederlage der Sozialdemokraten bei der Bundestagswahl nicht stillschweigend hingenommen werden darf. „Wir brauchen eine ehrliche Bestandsaufnahme“, fordert der Pankower Kreischef Knut Lambertin. Für den Parteitag, zu dem die neue Fraktionschefin der SPD im Bundestag, Andrea Nahles eingeladen ist, soll ein Leitantrag erarbeitet werden. Der Arbeitstitel: Soziale und innere Sicherheit.

SPD will sich für eine stärkere Sicherheitspolitik einsetzen

Denn im SPD-Landesverband wächst die Erkenntnis, dass der Markenkern „Soziale Gerechtigkeit“ allein nicht reicht, um bei den Bürgern besser anzukommen. Es soll in Zukunft stärker erkennbar werden, dass sich auch Sozialdemokraten für eine Sicherheitspolitik interessieren, die diesen Namen verdient. Das bevorstehende Volksbegehren für eine flächendeckende Videoüberwachung in Berlin trägt zu dem Meinungsumschwung kräftig bei. Die Runde der SPD-Kreischefs war sich weitgehend einig, dass die Forderungen der Initiative unvoreingenommen geprüft werden sollen und – falls mit Linken und Grünen machbar – teilweise übernommen werden könnten. In der SPD macht man sich keine Illusionen: Wenn es zum Volksentscheid kommt, etwa gleichzeitig mit den Europawahlen 2019, muss der Senat mit einer richtig krachenden Niederlage rechnen.

Weitere zentrale Themen, auf die sich die Berliner Sozialdemokraten fokussieren wollen, sind: Mieten- und Pflegepolitik, Armutsbekämpfung, Bürgerversicherung und Entlastung der Familien. Sogar der SPD-Kreisverband Tempelhof-Schöneberg, der parteiintern als nicht besonders revolutionär gilt, fordert jetzt ein neues Grundsatzprogramm für die Bundespartei und den endgültigen Abschied von der Agenda 2010. Eine „Neue Soziale Agenda“ müsse maßgeblich von der Parteibasis erarbeitet werden.

Ein großes Thema: die Digitalisierung

„Wir müssen mutiger, linker und radikaler werden“, fordert der Heimat-Kreisverband des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller in einer Resolution, die am Wochenende beschlossen wurde. Schon 2013 sei es ein fataler Fehler gewesen, auf Bundesebene eine Koalition mit den Linken auszuschließen. Ob dieser Beschluss schon die Antwort des Berliner SPD-Landeschefs auf innerparteiliche Forderungen ist, endlich mal Führungskraft zu zeigen, ist nicht ganz klar.

Ein großes Thema, auch für die Berliner Genossen, ist die Modernisierung und bessere Einbindung der Mitglieder, etwa durch digitale Beteiligungsformen. Das bundesweite Online-Projekt SPD++ findet auch in der Hauptstadt gute Resonanz. Zu den Erstunterstützern aus Berlin gehören Senatskanzleichef Björn Böhning, die Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe, Ex-Kulturstaatssekretär Tim Renner und der Bundeschef der AG Migration und Vielfalt, Aziz Bozkurt. Seit der Bundestagswahl hat die Berliner SPD 400 Neumitglieder gewonnen.

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