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Die Ausstellung "Körperwelten".

© dpa

Rechtsstreit in Berlin-Mitte: Corpus delicti unterm Fernsehturm

Nach der Niederlage vor Gericht ist die Körperwelten-Schau noch geöffnet – und erfährt viel Unterstützung.

Das hätten sich die Macher des Fernsehturms auch nicht träumen lassen: Wo einst in der Fuß-Umbauung „Piccata Milanese“ gereicht wurde, lassen sich heuer menschliche Skelette und das unverhüllte Innenleben toter Leute bestaunen. Das Museum der „Körperwelten“-Ausstellung nennt sich „MeMu“, Menschen-Museum, und es möchte mit plastinierten Leichen „Facetten des Lebens“ zeigen. Die Bühne zu dieser Aufführung liegt am Alex, Regie und Darstellung der „Körperwelten“ sind umstritten. „So etwas gehört auf den Friedhof“, sagen die einen, „das ist doch lehrreicher Biologieunterricht“ meinen die anderen.

Sie klettern über die Stufen an den Wasserkaskaden zum Eingang, und bevor der Eintritt von elf Euro fällig wird, liest man auf einem Plakat am Eingang, dass das Bundesverwaltungsgericht am 6. Juli 2016 gegen das Menschen Museum entschieden hat. Nanu? Trotzdem geöffnet? Oder nun gerade?

Der Bezirk Mitte verweigerte der Schau die Genehmigung und „wird die alsbaldige Schließung der Ausstellung weiter verfolgen“. Die zum Persönlichkeitsschutz der Körperspender erfolgte Anonymisierung der Plastinate mache es dem Bezirk unmöglich, zu verifizieren, ob der Körperspender zu Lebzeiten eingewilligt habe. Außerdem gehören laut Bestattungsgesetz Leichen nicht in die Öffentlichkeit, sondern auf den Friedhof. Das Verfahren schwebt, und die Kuratorin des MeMu, Dr. Angelina Whalley, die zugleich die Ehefrau von Plastinator Dr. Gunther von Hagens ist, möchte die Ausstellung „entsprechend anpassen“, was immer damit gemeint ist.

Freier Eintritt ins Museum für Spender

Solange aber die Entscheidungsgründe des Urteils nicht vorliegen, bleibt alles beim alten. Kein Exponat wird zugehängt oder entfernt, warum auch? Die Schau zeigt weiter 200 Teilkörper- und 20 Ganzkörperplastinate, der Audio-Guide erklärt jedes Stück auf Englisch und Deutsch, und „alle Plastinate stammen von Menschen, die ihren Körper für die Zeit nach ihrem Tod zu Ausbildungszwecken von Ärzten und zur Bildung der Menschheit zur Verfügung gestellt haben“, heißt es. Bis heute hätten sich mehr als 16.000 Menschen für eine Körperspende registrieren lassen – als Gegenleistung gibt es nurmehr freien Eintritt in das Museum, vermutlich bei Lebzeiten des Spenders.

Seit 18 Monaten haben nach Angaben der Veranstalter weit mehr als eine Viertelmillion Besucher die Ausstellung gesehen, das MeMu ist damit eines der am besten besuchten privaten Museen Berlins. Die Plastinate zeigen, was den Menschen im Innersten zusammenhält.

Am Alex präsentiert sich weder ein Friedhof mit geöffneten Särgen noch ein Gruselkabinett – unser eigener Körper ist das Corpus delicti – als Spiegel unserer Lebensführung. Spielt er nicht mehr mit, ist das Spiel aus. Wie die Maschine Mensch arbeitet, wie sie instandgehalten wird und dennoch altert, wie das feine Netzwerk des Nervensystems malocht und wie man für seinen Körper mitverantwortlich ist – das erfährt man in dieser Volkshochschulstunde.

"Auch meine vier Kinder waren begeistert"

Das Gästebuch ist des Lobes voll, „So sollte der Schulunterricht sein“, schreibt einer, und am Ausgang sammeln sie Unterschriften zu folgendem Anliegen: „Bezirksbürgermeister Dr. Hanke hat gerichtlich durchgesetzt, dass das Menschenmuseum eine behördliche Genehmigung braucht. Die will er nicht erteilen, da er den Bürgern kein ausreichendes Urteilsvermögen zutraut, ob sie die Ausstellung sehen dürfen. Wenn Sie das für Willkür halten und meinen, dass Sie selbst entscheiden können, unterstützen Sie uns mit Ihrer Unterschrift.“ Tausende haben schon unterschrieben. „Schnelligkeit passt nicht in diese Welt, hier sieht man eine vorzügliche, der Welt zugewandte Ausstellung“, schreibt einer, und die Krankenschwester Maren Hölzle aus Stuttgart meint: „Sehr interessant! Auch meine vier Kinder waren begeistert!“ Es steht ja jedem frei, die Ausstellung zu besuchen. Sie zeigt mehr die Facetten des Lebens als das Ende. Die meisten Spiel mir das Lied vom Tod. Viele, die gegen diese Schau sind, waren noch nie im MeMu, weil sie die Begegnung scheuen. „Wenn man aber einmal hier war, ist die Faszination groß“, sagt eine Besucherin. Der Bezirksbürgermeister war noch nie da, bedauert die Pressesprecherin. Vielleicht nimmt er sich jetzt im Urlaub mal eine Stunde Zeit. Das spart Gerichtskosten und der attraktionslüsternen Stadt eine Blamage.

Hinweis der Redaktion: In der vorigen Ausgabe des Leute-Newsletters aus Mitte, den Sie hier abonnieren können, steht irrtümlich die Nachricht, dass das Haus bei freiem Eintritt geöffnet ist. Dies trifft nur, wie oben zu lesen ist, auf Körperspender zu.

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