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Qualmen statt quatschen: In Berliner Bars oft der Normalfall.

© Daniel Dal Zennaro/p-a

Raucher, raucht gefälligst draußen!: Berlin braucht eine Extrafluppe, äh, -wurst. Was soll das?

Seit sechs Jahren gilt für Berlins Kneipen der lockerste Nichtraucherschutz des Landes – nämlich so gut wie gar keiner. Wer hier ausgeht, wacht mit roten Augen, Kopfschmerzen und Stinkepulli auf. Lichtet endlich den Nebel!

Jedes Mal das Gleiche. Sonntagmorgen: Ich wache auf und rieche, als hätte ich in einem Aschenbecher geschlafen. Mein Kopf schmerzt, aus dem Spiegel blicken mir gerötete Augen entgegen. Nein, letzte Nacht habe ich nicht wild gefeiert, zwei Bier steigen mir eigentlich auch nicht zu Kopf. Ich war nur mit Freunden was trinken, in einer stinknormalen Bar – wobei die Betonung auf „stink“ liegt. In Berlin bedeutet ein Kneipenbesuch unfehlbar die volle Dröhnung Zigarettenqualm, gefolgt vom dringenden Bedürfnis, sofort die Waschmaschine an- und sich selbst unter die Dusche zu stellen.

Ja, ich werde älter und sicher auch spießiger. Seit ich vor einigen Jahren mit dem Rauchen aufgehört habe, geht mir die Dauerbequarzung zunehmend auf den Keks. Und nein, die Alternative ist nicht, meine Abende alleine auf dem Sofa zu verbringen oder mir einen neuen Freundeskreis aus Nichtrauchern zu suchen, mit denen ich dann in qualmfreien „Speiselokalen“ abhängen kann. Ich frage mich einfach, warum in Berlin gefühlt JEDE Bar ein Raucherparadies sein muss?

In der typischen Zentrumsberliner Kneipe gehört der Hipster mit Tabakbeutel in der Tasche und Mini-Filter im Mundwinkel zum Interieur wie Wodka-Mate und durchgesessene Sofas. Passt einfach zu schön zum kaputten Arm-aber-sexy-Image. Berlin suhlt sich in seiner Ranzigkeit, inklusive beschmierter Hauswände, Hundekacke, Drogendealer, Baudesaster – und eben Kippen.

Neulich verbrachte ich eine Samstagnacht mit einer Freundin, die aus Köln zu Besuch war. Eigentlich sei es ja gar nicht so schlecht, dass sie zu Hause in Kneipen nicht mehr rauchen dürfe, gab sie zu, während sie mir ihren Dunst ins Gesicht blies. Nordrhein-Westfalen hat eins der strengsten Nichtrauchergesetze in Deutschland. In allen Bundesländern ist das Rauchen in Bars nicht oder nur bedingt erlaubt. Einzig Berlin braucht eine Extrafluppe, äh, -wurst.

Mag's lieber rauchfrei: Autorin Leonie Langer.
Mag's lieber rauchfrei: Autorin Leonie Langer.

© Kai-Uwe Heinrich

Nicht mal ein halbes Jahr, nachdem das Nichtraucherschutzgesetz 2008 in Kraft trat, wurde es in Berlin zu großen Teilen wieder zurückgenommen, nach einer Klage der Kleingastronomie, die Umsatzeinbußen fürchtete. Seit Mai 2009, also seit genau sechs Jahren, wird somit fröhlich weitergequalmt, in abgetrennten Raucherbereichen großer Lokale oder ganzflächig in kleinen Kneipen. Nicht mal ein Lüftungssystem oder eine bestimmte Anzahl Fenster sind dafür Voraussetzung. Auch dass der Zutritt erst ab 18 frei ist und draußen ein entsprechendes Schild hängen muss, nehmen in meiner Neuköllner Nachbarschaft viele Bars nicht so genau.

Und wie passt Rauchen mit dem Wellness- und Bio-Wahn zusammen?

Für die Politik ist das Rauchverbot längst kein Thema mehr. Stört das Gequarze denn nicht mal die Wirte? Bei meiner Nachfrage beim Berliner Hotel- und Gaststättenverband spüre ich förmlich durch den Hörer, wie Geschäftsführer Thomas Lengfelder müde abwinkt. Nein, die Raucherkneipe habe sich in Berlin super etabliert. Von speziellen Nichtraucherbars wisse er nichts, er räume ihnen aber wenig Überlebenschancen ein. Immerhin: Von 16 000 Berliner Gastronomiebetrieben werde nur in 600 geraucht. Dass es sich bei den übrigen 15 400 überwiegend um Restaurants handelt, also Lokale mit warmer Küche – geschenkt. Friss oder stirb, das bekommt in Berlin eine ganz neue Bedeutung.

In der Neuköllner Bar neulich zündete sich auch die Kellnerin zufrieden eine Zigarette nach der anderen an. Bin ich denn wirklich der einzige Mensch in dieser Stadt, der zwar Lust auf Bier und Bars, aber nicht auf Nebelschwaden und Gesundheitsschäden hat? Und wie passt dieses selbstzerstörerische Freizeitverhalten eigentlich mit dem gleichzeitig in Berlin um sich greifenden Wellness- und Bio-Wahn zusammen?

Meine heimliche Vermutung ist ja, dass die Raucher eigentlich gegen die schleichende Vergesundung ihrer Stadt rebellieren wollen. Sie wehren sich gegen das Klischee des Bionade-Sojamilch-Joggers, indem sie ihm was husten. Deshalb mein Vorschlag: Liebe Kneipenraucher, damit euer Protest noch sicht- und riechbarer wird, genießt doch eure Kippen nicht drinnen in der Bar, sondern draußen vor der Tür, zwischen Hundehaufen und Graffiti. Die Stummel könnt ihr den Joggern dann direkt vor die Füße schnipsen.

Dieser Text erschien zunächst als Rant in unserer gedruckten Samstagsbeilage Mehr Berlin.

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