zum Hauptinhalt
Raed Saleh spricht auf der Diversity Konferenz im Tagesspiegel Verlagshaus über seine Idee einer Leitkultur.

© Mike Wolff

Raed Saleh auf der Diversity-Konferenz: „Ich trage an mir viele Narben"

Beim Tagesspiegel spricht SPD-Fraktionschef Saleh über Leitkultur und Wir-Gefühl. Dabei vermissen das manche auch bei ihm

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Raed Saleh ist derzeit wohl froh um jede Stunde, die er nicht im Abgeordnetenhaus verbringen muss. Jedenfalls ließ der Auftritt beim Tagesspiegel, als Gast der Diversity-Konferenz, den Berliner SPD-Fraktionschef am Freitag zu alter Form auflaufen. Zwar haben ihm die vergangenen Tage, im existenziellen Streit mit der eigenen Fraktion, sichtbar zugesetzt: Ein müdes Gesicht, Ringe unter den Augen und ein verspanntes Lachen bei der Begrüßung.

Aber dann legt Saleh, der über „eine neue Leitkultur für die Arbeitswelt“ reden sollte, befreit los.

Saleh wirbt weiter für eine "linke Leitkultur"

Als wäre nie etwas gewesen. Als kämpfe er nicht um sein politisches Überleben. Wenn der Spandauer Sozialdemokrat, geboren in Palästina, seine Geschichte erzählt, die auch die Geschichte vieler Migranten ist, vergisst er alles andere. Das ist seine Mission.
Saleh spricht über „die Kunst, sich gegenseitig auszuhalten“, und über seine Hoffnung auf „ein neues Wir-Gefühl“ in der Gesellschaft.

Viele Genossen in Partei und Fraktion, die nicht mehr gut auf ihn zu sprechen sind, hätten an dieser Stelle wohl nicht applaudiert, weil Worte und Taten des SPD-Fraktionschefs aus ihrer Sicht zu weit auseinanderklaffen. Egal. Die zahlreich erschienenen Konferenzgäste sind sehr angetan von dem fulminanten Vortrag, in freier Rede und mit großer Geste. Über sein Buch „Ich deutsch“ hat Saleh seit Juli republikweit so oft referiert, dass er seine Rolle beherrscht – und ausgezeichnet spielt.

Dass ihm der SPD-Landesparteitag vor einer Woche mit einem Beschluss gegen eine „Leitkultur von links“ rigoros ins Wort fiel, ist Saleh offenkundig egal. Sein Bemühen, dem ursprünglich konservativ besetzten Begriff neues sozialdemokratisches Leben einzuhauchen, setzt er auch am Freitag fort.

Es sei doch egal, wie man es nenne. „Meinetwegen auch Leitfaden oder Hausordnung, es geht um gemeinsame Regeln, auf die sich alle einigen sollten.“ Das sei links. Der Parteitag sah das ganz anders. „Es ist autoritär und widerspricht dem Freiheitsgedanken des Grundgesetzes, wenn ein Teil der Gesellschaft unter Rückgriff auf einen vermeintlichen kulturellen Kanon definiert, was für alle gelten soll“, haben die Parteifreunde beschlossen.

Ausgrenzen lassen will sich Saleh aber nicht. Er sei ein bekennender Sozialdemokrat, der dem linken Flügel angehöre, stellt er sich auf der Konferenz vor. Mit dem Mikrofon in der Hand läuft er auf dem Podium hin und her, seine Hände sprechen mit. Das Impulsreferat wird zur Dichterlesung, es fehlt nur noch das Klavier. „Brust raus“, ruft der SPD-Fraktionschef. „Selbstbewusstsein ist was Gutes!“ Sein Thema ist: Den Migranten in Deutschland das Gefühl der Heimat, des Zuhauses zu geben. Wer sich an ein Land binde, akzeptiere es besser.

Der Alltag hat ihn wieder

Längst hat Saleh das Publikum für sich gewonnen, treffsicher setzt er die Schlüsselworte und flicht nette Anekdoten ein – ein charismatischer Schauspieler auf der Bühne. Er erzählt, wie so oft, über seinen Vater, der mit 66 Jahren starb, ohne Deutsch gelernt zu haben. Und deutet an, dass er es selbst nicht leicht gehabt habe. „Ich trage an mir viele Narben.“ Der wiederholte Applaus tut ihm gut, am Ende blitzen die Augen wieder. Nach einer halben Stunde wird der SPD-Fraktionschef vom Kongress in allen Ehren entlassen. Der Alltag hat ihn wieder.

Am Dienstag, dem 21. November, wird sich die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus erneut mit der Frage befassen, wie sich die drohende Spaltung der Regierungsfraktion abwenden lässt. Mit oder ohne den Chef Saleh, dessen politische Zukunft nach sechs Jahren im Amt am seidenen Faden hängt. Er versuche unermüdlich, mal mit massiven Drohungen, mal mit guten Worten, die Abgeordneten wieder hinter sich zu sammeln, hört man in SPD-Kreisen. Ein Kämpferherz ist Saleh nicht nur beim Thema Leitkultur, sondern auch in eigener Sache. Er will unbedingt vermeiden, in absehbarer Zeit nur noch Buchautor zu sein.

Zur Startseite