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Eddie Redmayne als Lili Elbe

© Universal/dpa

"The Danish Girl" bei den Filmfestspielen Venedig: Lili, Einar und ich

Oscar-Preisträger Eddie Redmayne begeistert beim Filmfest Venedig als „The Danish Girl“: Er spielt Lili Elbe, eine der ersten Transgender-Frauen, die sich einer Operation unterzog.

Pressekonferenzen sind Realitychecks. Und manchmal auch Realitätsschocks. Das Leinwandidol erscheint in einem anderen Licht, hat man es erst leibhaftig vor Augen. Auf den maulfaulen Johnny Depp am Freitag folgte am Samstag beim 72. Filmfest Venedig zunächst Juliette Binoche, die –Überraschung! – deutlich jünger und kleiner aussieht als im ersten italienischen Wettbewerbsfilm am Lido, „L’attesa“, in dem sie eine trauernde Mutter spielt. Sie sagt: „Schauspieler arbeiten viel mit Erinnerung“. Das hat der Akt des Spielens mit dem Trauern gemeinsam, sie nennt es auch „magisches Denken“.

Der Konferenzsaal im zweiten Stock des Casinò ist bereits überfüllt. Die Journalisten sind nicht wegen Binoche gekommen, sondern wegen Oscar-Preisträger Eddie Redmayne, der als nächstes auf dem Podium erwartet wird. Kurz bevor das Frage-Antwort-Spiel zu „The Danish Girl“ beginnt, dem bislang aufsehenerregendsten Löwen-Anwärter, schieben sich zu meinem Ärger zwei hochgewachsene Amerikaner in die Reihe vor mir. Fast versperrt mir die breite, kräftige Frauenschulter unter üppigem Blondhaar den Blick auf Redmayne.

Eddie Redmayne als Lili ist eine Sensation

Der 32-jährige britische Schauspieler, der im Februar für seine Rolle als Stephen Hawking in „Die Entdeckung der Unendlichkeit“ einen Oscar gewann, spielt Lili Elbe, eine Frau, die 1882 im Körper eines Mannes geboren wurde. Der in Kopenhagen geschätzte dänische Landschaftsmaler Einar Wegener war mit der für ihre erotischen Porträts erst später beachteten Künstlerin Gerda Wegener verheiratet und entdeckte mit Hilfe seiner Frau sein wahres, weibliches Ich in sich, eben Lili. 1930/31 unterzog sich Lili mehreren Geschlechtsoperationen, die letzte überlebte sie nicht.

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Eddie Redmayne als Lili ist eine Sensation auf der Leinwand. Wie Einar als Ersatz für eine Tänzerin erstmals als Frau für Gerda Modell sitzt, wie er sich Nylons überstreift, den Fuß mit dem Tanzschuh abspreizt und sich dabei in eine Frau verwandelt. Scheu, unsicher zuerst, Gesten und Posen probierend, die Körpersprache der Frauen studierend, auf der Straße, im Bordell, vor dem Spiegel, einem pubertierenden Teenie gleich. Dann immer offener, mutiger, als das Paar nach Paris geht, wo Gerda ihre Gefährtin als Einars Kusine ausgibt.  Wo hat diese Lili bloß ihre entzückend hohen Wangenknochen her, die zarten Hände, die anmutig geneigte Kopfhaltung?, fragt man sich. Und merkt irgendwann, dass Redmayne gleichzeitig die Kunst des Schauspielens zutage fördert: Er imitiert eine andere Person, einen anderen Gang, eine andere Haltung, um sie alsbald zu sein, als Teil seines eigenen inneren Selbst.

Eddie Redmayne bei seiner Ankunft auf dem Lido.
Eddie Redmayne bei seiner Ankunft auf dem Lido.

© dpa

Auf dem Podium in Venedig erscheint Redmayne genau wie Binoche zunächst kleiner und jünger als im Film. Ein wohlerzogener Highschool-Absolvent, mit ordentlichem Kurzhaar und bordeauxrotem Pulli, aus dem ein hellblauer Hemdkragen hervorlugt. Aber er braucht nur mit seinen feinen, langgliedrigen Händen zu gestikulieren, den Kopf in Richtung des jeweils fragenden Journalisten zu neigen, sich mit elegantem Unterarmschwung ein Glas Wasser auszuschenken oder gleichzeitig mit seinem Kopfhörer auch den Kragen wieder zurecht zu zupfen, und schon ist sie wieder da: die Anmut von Lili, ihre fragile tiefe Stimme, ihr Widerstand, ihre Courage.

Regisseur Tom Hooper sieht Lili Elbe als Pionierin

Lili Elbe war eine der ersten Personen weltweit, die sich – unter anderem in Dresden – vom biologischen Mann zur Frau umoperieren ließ. Die Gender-Debatte lag noch in ferner Zukunft,  selbst die Freigeister der zwanziger Jahre hielten Transgender-Personen für homosexuell – für krank, aber heilbar. In Venedig brechen Redmayne und Regisseur Tom Hooper eine Lanze für Lili als Pionierin, für die Vielfalt der Geschlechter. „Der schlimmste Feind der Transgender-Männer und -Frauen ist die Rede vom Dualismus“, sagt Hooper, der nach dem oscar-prämierten „The King’s Speech“ zum zweiten Mal eine transition auf die Leinwand bringt, die Überwindung einer körperlichen Blockade. Und Redmayne wird nicht müde, die Großzügigkeit der Transgender-Community zu würdigen. „Sie waren alle unglaublich herzlich und offen, haben mir eine großartige Erziehung ermöglicht und mich gelehrt, dass Sexualität und Geschlecht zwei verschiedene Dinge sind“, sagt Redmayne.

Dutzende Trans-Menschen spielen im Film mit

Viele berieten ihn, auch ältere Trans-Personen, die gesellschaftlich noch mehr angefeindet wurden als heute. Dutzende spielen im Film mit. Als Redmayne eigens ein Paar in San Francisco erwähnt, die ihm erlaubten, jede nur denkbare Frage zu stellen, greift der Amerikaner vor mir nach der Hand seiner hochgewachsenen Frau. Sie sind es wohl, denen Redmayne so besonders dankt.

Im Film bleibt Gerda bis zum Schluss an Lilis Seite. Im wirklichen Leben ließen sie sich scheiden, Gerda ging nach Marokko, hatte auch lesbische Beziehungen. Der Film spart das aus, drückt stattdessen auf die Tränendrüse und taucht die Tragödie ins sanfte Licht eleganter Jugendstil-Dekors. Eine komplexe Erzählung über ein komplexes Sujet, wäre ein breites Publikum damit überfordert? Oder ist Vereinfachung das Privileg der Fiktion: Warum keine Lovestory, kein Mainstream-Melodram für eine mutige Frau des 20. Jahrhunderts? Den Darstellerpreis der Mostra hätte Redmayne allemal verdient. Was die Jury vor ein Dilemma stellt: Sie kann ihn nur für die beste männliche oder die beste weibliche Rolle auszeichnen.

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