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Die auffällige Tunte macht jeden Wunsch zunichte, nichts mit der schwulen Identität zu tun haben zu wollen.

© Illlustration: Wilfried Laule

Selbsthass unter Schwulen: Die ungeliebte Tunte

"Hetero-like" als Güte-Siegel: Der vermeintlich normale, heterosexuelle Mann ist auch für viele Schwule ein Idealbild. Dagegen lehnen sie Tunten vehement ab. Was steckt hinter dieser Abgrenzung?

Wer sich im Jahr 2015 in Deutschland noch darüber beschwert, dass wir in einer schwulenfeindlichen Gesellschaft leben, mutet mitunter noch mehr wie eine Ewiggestrige an, als diejenigen, die sich gegen Homo-Ehe und -Ampeln aussprechen. Dieses Emanzipationsgeschwätz will auch einfach niemand mehr hören. Fragt man junge Schwule, so wird ein guter Teil sagen, dass es keine Unterschiede zu den Heteros mehr gibt, dass wir froh sein können, in einer so toleranten und liberalen Zeit zu leben.

Selbstverständlich hat es in den letzten Jahrzehnten beachtliche Veränderungen gegeben, die einen zunehmend weniger bedrohlichen Alltag für Schwule, Lesben und Trans*Menschen ermöglicht haben. Ungleichbehandlung, Stigmatisierung und Feindseligkeit sind allerdings nach wie vor vorhanden, wenn auch teilweise tiefer verdrängt oder subtiler in ihrem Ausdruck. Auch heute ist es jedoch meistens nicht möglich, als homosexuelles Paar in der Öffentlichkeit aufzutreten, ohne dabei das Risiko einzugehen, beschimpft oder angegriffen zu werden.

Anders als die Heteros? Das wird verneint

Seit einigen Jahren reise ich durch die Republik und diskutiere mit vornehmlich Schwulen über Selbsthass und Emanzipation. Dabei wird regelmäßig von Diskutanten betont, dass die Schwulenfeindlichkeit, wie ich sie nenne, doch jede und jeden in Bezug auf alle Eigenschaften treffen könne und darum nichts spezifisch Schwules an sich hat. Auch der schwulen Subkultur wird abgesprochen, spezifisch schwul zu sein, und die Differenz zur heterosexuellen Alltagswelt wird klein geredet oder ganz verneint. Dies geschieht häufig mit einiger Aggression.

Meines Erachtens äußert sich darin eine Sehnsucht, die angesichts der vorherrschenden gesellschaftlichen Situation verständlich ist und aggressiv vorgetragen werden muss, um womöglich wider besseren Wissens oder anderer Erfahrung geglaubt werden zu können: Dass nämlich wirklich alles gut sei und Schwulenfeindlichkeit nicht mehr existiere. Damit hätte das alles auch nichts mehr mit dem Schwulsein zu tun und wir könnten diese lästige schwule Identität endlich abstreifen, müssten nicht mehr schwul sein.

Hass auf die, die zu schwul sind

So einfach ist das jedoch nicht, weshalb sich auch von Seiten der Schwulen selbst Hass auf diejenigen äußert, die zu eindeutig schwul sind. Den Wunsch, nichts mit der Schwulität in der schwulen Identität zu tun zu haben, macht eine jede auffällige Tunte zunichte. Als Tunte gelten gemeinhin Schwule, die sich betont schwul und weiblich geben, sowie jene, die sich bewusst als Tunten bezeichnen und sich in einen Fummel schmeißen. Sie verraten das, was es zu verbergen gilt und verweisen immerzu auf die Differenz zwischen Hetero-Männern und schwulen Männern. Die ist nicht unbedingt sichtbar, aber für den Schwulen immer bereits erlebt.

Sind Drag Queens zu schrill?

Und selbst, wenn sich die Tunte, ist sie denn manifest, nicht als solche sieht, wird an ihr diejenige Schwulenfeindlichkeit ausgelebt, die der Schwule selbst aus der heterosexuellen Umgebung internalisiert hat. Recht deutlich macht sich dieser Hass auf die Unangepassten in den seit über 40 Jahren nie enden wollenden Diskussionen darüber, wie „wir“ denn nun in der Öffentlichkeit repräsentiert werden sollten. Die Drag Queens seien zu schrill – der Wunsch nach einer Parade der Normalen äußert sich, „das wäre doch mal richtig subversiv“.

Wie sich der Wunsch im Sexuellen findet

Dieser Wunsch findet selbstverständlich seine Entsprechung im Sexuellen. Auf GayRomeo, der wohl beliebtesten Dating-Seite für Schwule, wird der Begriff „hetero-like“ ebenso als Gütesiegel und zur Selbstbeschreibung genutzt, wie das Attribut „normal geblieben“. Der normale, heterosexuelle Mann wird zum Idealbild erkoren und so bleibt nichts anderes übrig, als im Sexpartner vor sich selbst und dem eigenen Schwulsein zu erschrecken.

Das Scheitern ist schon angelegt

In den Worten „like“ und „geblieben“ ist das Scheitern jedoch schon angelegt. Schließlich ist man doch nicht so ganz hetero, wenn man nur so ähnlich („like“) ist und auch nicht ganz normal, wenn man es irgendwie geblieben sein muss. Tatsächlich kann man diese Sehnsucht, die sich im begehrten Idealbild äußert, erleben, wenn zu einer schwulen Runde ein Hetero-Typ dazu stößt und dieser zum Mittelpunkt des Interesses wird. Er verdeutlicht, wie normal wir uns denn wirklich fühlen. Es geht nicht nur darum, zu kriegen, was unerreichbar ist, sondern auch darum, nicht mehr sein zu müssen, woran man unhintergehbar gebunden ist.

Diese Identifikation mit dem Aggressor, also der absoluten Normalstellung der Heterosexualität, anstelle einer Verschwulung seiner selbst, also dem selbstbewussten Ausleben des Schwulseins, stand zentral in der Kritik bewegter Schwuler in den 1970er Jahren. Mit Rosa von Praunheims Film „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ (1971) als Initialzündung der Schwulenbewegung wurde eine polemische Kritik von Schwulen an Schwulen formuliert, die sich insbesondere gegen den Hass auf alte Schwule und Tunten richtete. Und noch heute finden sich auf den Profilen GayRomeos dieselben Ablehnungen, in denen Tunten, Dicke und Alte beleidigt werden.

Den Homo-Schönheitswahn können Heteros nicht nachvollziehen

Dabei geht es nicht bloß darum, abzustecken, auf wen man steht, denn das könnte auch ohne Respektlosigkeit geschehen. Hier geht es darum, diejenigen Anteile, die man an sich selbst nicht haben will, stellvertretend am Anderen zu hassen. Daher betonten Martin Dannecker und Reimut Reiche 1974 in ihrem Buch „Der gewöhnliche Homosexuelle“, dass die Tunte den Schwulen wie den Heteros ihre eigenen abgespaltenen Sehnsüchte als abstoßende Verfremdung vorführt. Abstoßend insbesondere, weil sie Lust daran empfindet und diese gesellschaftlich verankerte Schamgrenze überschreitet. Sie konterkariert den in der schwulen Subkultur bis heute grassierenden terroristischen Schönheits- und Jugendkult, den viele Heterosexuelle in seiner Grausamkeit gar nicht nachvollziehen können.

In der Ablehnung des eigenen Schwulseins, die sich an dem Verhalten untereinander deutlich macht, steckt die Homosexuellenfeindlichkeit der Gesellschaft. Diese Feindseligkeit wird wie im vorauseilenden Gehorsam übernommen und am Anderen ausgelebt. Das heißt: Schwule identifizieren sich mit dem Aggressor, mit dem heterosexuellen Maßstab der Gesellschaft.

Der heterosexuelle Mann ist nicht der Agressor

Das bedeutet auch, dass man sich den Aggressor nicht als „den heterosexuellen Mann“ vorstellen sollte – das führt zu einem zwar leicht benennbaren, aber undifferenzierten und schließlich falschen Feindbild. Schwulenfeindlichkeit und schwuler Selbsthass haben also weniger mit „dem“ heterosexuellen Mann zu tun, als vielmehr mit der Fantasie einer echten heterosexuellen Männlichkeit.

Die Autorin: Patsy l'Amour laLove ist Polit-Tunte aus Berlin, promoviert derzeit an der Humboldt-Universität in den Gender Studies zur Schwulenbewegung der 1970er Jahre in Westdeutschland und hat unter anderem das LGBTI-Referat des Refrats der HU gegründet.
Die Autorin: Patsy l'Amour laLove ist Polit-Tunte aus Berlin, promoviert derzeit an der Humboldt-Universität in den Gender Studies zur Schwulenbewegung der 1970er Jahre in Westdeutschland und hat unter anderem das LGBTI-Referat des Refrats der HU gegründet.

© Promo/Dragan Simicevic

Der echte Mann bleibt so immer eine Imagination und genau dieser Umstand führt zum eigentlichen Problem. Gerade weil eine Männlichkeitsfindung hin zum wahrhaft echten Mann nicht glücken kann, verläuft sie mit derart viel Aggression ab. Sie ist ein ständiges Scheitern, denn man kann nicht werden, was es nicht gibt. Was vorhanden ist, sind die Verwerfungen – also das, was nicht zu sein hat, weil es Unmännlichkeit bedeutet: Weiblichkeit und Schwulsein. So muss dieses Vorhandene mit aller Kraft abgelehnt und gehasst werden, was sich schließlich in konkreter Feindseligkeit äußern kann: gegenüber Schwulen und Frauen. Dieser Hass schlägt sich auch im Tuntenhass der Schwulen nieder und macht damit eigentlich auch keinen Hehl aus seinem Ursprung, der Zurichtung nach heterosexuellen Normen.

Bei Selbstablehnung sitzt jeder im Glashaus

Eine geeignete Antwort auf Selbsthass ist es nicht, ihn als Vorwurf zu formulieren, nicht zuletzt, weil beim Thema Selbstablehnung jede und jeder im Glashaus sitzt. Es kann auch nicht darum gehen, die schwule Subkultur oder GayRomeo abzuschaffen und sie als reaktionär zu verdammen. Ganz im Gegenteil braucht es eine selbstbewusste Aufwertung gerade der Aspekte schwulen Lebens, die als unmoralisch, schmutzig und schlicht zu schwul gelten. Insofern findet ein guter Teil schwuler Emanzipation beim Einzelnen statt, der in der Lage ist, eigene Sehnsüchte als solche anzuerkennen, anstatt sie im Anderen zu hassen.

Der Text basiert auf einem Vortrag, den Patsy l'Amour laLove in der Reihe "Selbsthass und Emanzipation" an der Humboldt-Universität gehalten hat. Die Reihe wird am 8. Juli durch eine Vorlesung über Selbsthass unter Trans*Menschen abgeschlossen (Hauptgebäude der Humboldt-Universität, Unter den Linden 6, Raum 1072).

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Patsy l\'Amour laLove

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