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Saleem Haddad wurde 1983 in Kuwait-Stadt geboren und lebt heute in London.

© Sami Haddad

Roman "Guapa": Mein heimlicher Geliebter

Starkes Debüt: Saleem Haddads Roman „Guapa“ handelt von einem jungen schwulen Araber zwischen Revolution, Selbsthass und Selbstbehauptung. Dienstag ist Lesung in Berlin.

CNN bringt die Erleuchtung. Während der zwölfjährige Rasa auf dem Wohnzimmerteppich liegt und seine Hausaufgaben macht, strahlt der Fernsehsender gerade ein Interview mit dem britischen Sänger George Michael aus. Es ist das erste nach seiner Verhaftung wegen der Erregung öffentlichen Ärgernisses auf einer Toilette in Beverly Hills.

Die Moderatorin freut sich über die Exklusivnachricht, dass der Star schwul ist. Das Wort elektrisiert Rasa. Schlagartig versteht er, was mit ihm los ist. Er steht auf, geht ins Bad, dreht die Wasserhähne voll auf, starrt in den Spiegel und flüstert ganz leise: „Ich bin schwul.“

Diese Erkenntnis nun in Worte fassen zu können, ist befreiend für den Jungen. Ein Gefühl, das allerdings schnell verfliegt. Denn anders als für George Michael, der in dem TV-Interview betont, dass er sich nicht schäme, ist Homosexualität für Rasa vor allem negativ besetzt. Er hat die Verbote und Regeln seiner arabischen Gesellschaft bereits verinnerlicht. Und so folgt seinem inneren Coming-out eine düstere Zukunftsprognose: „Ich war anders als die anderen. Ich war dazu verdammt, allein zu sein. Ich würde bis in alle Ewigkeit in der Hölle verrotten.“

Scham und Schande sind zentrale Begriff des Buches

Ganz so schlimm kommt es dann zwar nicht für den Icherzähler von Saleem Haddads Debütroman „Guapa“, doch seine Abwehr gegen die eigene Homosexualität bleibt ihm auch als Erwachsener. Die Worte Scham und Schande sind deshalb zentral in diesem packenden Buch. Sie fallen immer wieder, genau wie der Begriff „eib“, der das komplexe arabische Scham-und-Schande-Konzept bezeichnet. Schon in der ersten Szene wird der 27-jährige Protagonist von Schamgefühlen überwältigt, denn seine Großmutter hat ihn nachts durchs Schlüsselloch beim Sex mit seinem heimlichen Geliebten Taymour beobachtet. Schreiend hämmerte sie an die Tür und ging irgendwann zurück in ihr Zimmer. Vom darauffolgenden Tag handelt das in drei Kapitel unterteilte Buch. In langen Erinnerungsrückblenden erzählt Haddad zudem von Rasas Kindheit und Studienzeit.

Saleem Haddad kam in Kuwait zur Welt und lebt in London

Der Junge wächst als Sohn eines Arztes und einer Malerin in einer fiktiven Großstadt des Nahen Ostens auf. Die Eltern haben sich beim Studium in den USA kennengelernt, zurück im Heimatland ihrer Familien fügen sich die Eheleute den dortigen Traditionen und ziehen in das ausgebaute Haus von Teta, Rasas Großmutter. Mit deren ständiger Kritik kommt die Malerin zusehends schlechter zurecht, auch ihre beruflichen Pläne entwickeln sich anders als von ihr geplant. Ihre Verzweiflung wächst, sie trinkt und weint immer mehr – bis sie nach einem Zusammenbruch schließlich verschwindet. Als bald darauf auch noch Rasas Vater stirbt, bleibt der Junge, der keine Geschwister hat, allein mit Oma Teta zurück.

Mit dem Prinzip des „eib“ und der Ablehnung von Homosexuellen in der arabischen Welt kennt Saleem Haddad sich aus. Der heute in London lebende und auf Englisch schreibende schwule Autor kam 1983 als Sohn einer irakisch-deutschen Mutter und eines libanesisch-palästinensischen Vaters in Kuwait-Stadt zur Welt, wuchs in Zypern und Jordanien auf. Zum Studieren ging er – kurz vor den Anschlägen des 11. Septembers 2001– nach Kanada. Seine damaligen Erfahrungen haben Spuren im mittleren „Guapa“-Kapitel hinterlassen, das von Rasas Studienjahren in Amerika handelt. Er hofft, dort endlich seine Homosexualität erkunden zu können, doch nach den Terroranschlägen wird sein Arabischsein zum alles dominierenden Aspekt seiner Identität. Rasa, der die westliche Popkultur verehrt, über dessen Bett ein Poster von George Michael hängt, wird vom einen Tag auf den anderen als verdächtiger Fremder behandelt. „Ich wollte mir die Haut abschaben, meinen Namen, meinen Akzent, alles, nur um diese argwöhnischen Blicke abzuwenden.“

Der Held verliebt sich in einen arabischen Amerikaner

Wie sich Rasa in dieser ihm aufgezwungenen Beschäftigung mit seinen kulturellen Prägungen zwischen Selbsthass zu wachsender Selbstbehauptung bewegt, gehört zu den stärksten Passagen von Saleem Haddads Buch. Die Projektionen, die der Protagonist auslöst, spiegeln sich besonders eindrucksvoll in einer längeren Episode mit seinem Kommilitonen Sufyan, einem Amerikaner aus einer arabischen Familie. Rasa verknallt sich in den schönen langhaarigen Mann mit dem Lippen-Piercing. Die beiden freunden sich an, doch irgendwann wirft Sufyan ihm vor, verwestlicht zu sein, weil er Autoren wie Gramsci und Marx liest, Jeans und T-Shirt trägt. „Du wurdest quasi kolonisiert, Mann“, sagt er. Seine eigenen Widersprüche sucht Sufyan später als Mitglied eines muslimischen Vereins aufzulösen.

Der radikale Islam und sein Versprechen ideologischer Eindeutigkeit gewinnen schließlich auch in Rasas Heimat an Einfluss. Geschickt kondensiert Saleem Haddad verschiedene jüngere Entwicklungen im Nahen Osten zu einem prototypischen Setting: Schon seit Langem von einem Diktator regiert, kommt es in dem namenlosen Land während des Arabischen Frühlings zu Demonstrationen, auf die das Regime mit Härte reagiert. Bald dominieren Islamisten die Opposition und die gemäßigteren Protestierer ziehen sich zurück. Zu ihnen gehört auch Rasa, der völlig desillusioniert in einem Übersetzerbüro arbeitet und ausländischen Journalistinnen hilft.

Hoffnung macht ein junger Schwuler, der sich nicht einschüchtern lässt

Die Perspektiven, die Haddad für Rasas Land und seine Liebe zeichnet, sind wenig optimistisch. Etwas Hoffnung bringt ausgerechnet die fragilste Figur des nach einem queeren Untergrundclub benannt Romans: der feminine Schwule Maj, ein Freund Rasas aus Schulzeiten. Schon damals konnte er sein Anderssein nicht verbergen, steckte Schläge und Gelächter weg. Das war offenbar eine gute Vorbereitung auf die post-revolutionäre Gegenwart, in der sich Maj als einer der wenigen Nicht-Islamisten weiterhin traut, zu demonstrieren und Unrecht zu dokumentieren. Der Mut der Marginalisierten – Haddad idealisiert ihn nicht. Aber immerhin gibt er Maj das letzte Wort seines Romans. Dass Maj am Ende nicht tot in einer Gefängniszelle liegt, sondern als selbstbewusster queerer Araber spricht, ist ein starkes, ermutigendes Zeichen.

Saleem Haddad: Guapa. Roman. Aus dem Englischen von Andreas Diesel. Albino Verlag. Berlin. 392 S., 16,99 €.

Lesung u. Diskussion auf Englisch: 28.3., 20 Uhr, Literarisches Colloquium Berlin. Moderation: Antje Rávic Strubel.

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