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Ausnahme. In der Serie "Orange is the new black" gibt es eine ungewöhnlich vielfältige Darstellung lesbischer und bisexueller Figuren.

© Netflix

Queeres Leben: Sag mir, wo die Lesben sind

Anders als Schwule haben Lesben in der Öffentlichkeit ein relativ unscharfes Profil. Manche sprechen schon von ihrem Verschwinden, dabei handelt es sich vor allem um die Krise eines Begriffes und eine Generationenfrage.

Zum Beispiel die Berlinale. Traditionell das queerste unter den großen Filmfestivals. Im vergangenen Jahr gab es im Programm keinen einzigen Film, der sich um Lesben drehte. Oder bei der letzten Teddy Award-Gala in der Komischen Oper: Da kam angesichts der  Männerdominanz im Saal schon mal das Gefühl auf, dass es sich um eine schwule Veranstaltung handelt und nicht um ein LGBTI-Event. Vielleicht ist es Zufall, vielleicht schlechtes Timing, aber man fragt sich schon: Wo sind eigentlich die Lesben geblieben?

Verschwindet eine Identität?

Eine Frage, die sich momentan auch anderenorts aufdrängt. Das queere Berliner Magazin „Siegessäule“ stellte sie kürzlich in einer Titelgeschichte und sprach sogar vom „Verschwinden einer Identität“. Genau diese Formulierung war kurz darauf auch im Motto einer Podiumsdiskussion im SchwuZ zu finden, die sich auf die Spur der „unsichtbaren Lesbe“ machte. Das klingt recht dramatisch und ist sicher absichtlich etwas überspitzt formuliert. Denn natürlich gibt es weiterhin Frauen, die Frauen lieben. Die sexuelle Orientierung ist ein prägender Teil der Identität und lässt sich nicht einmal unter großer Selbstverleugnung zum Verschwinden bringen. Unbestreitbar ist hingegen, dass schwindende Identifikationspotenzial des Begriffs Lesbe.

Er ist in einer Krise, worin sich wiederum die Krise einer ganzen seit den siebziger Jahren mühsam etablierten Kultur spiegelt.

Lesbenbars sterben aus

So sterben derzeit etwa die Lesbenbars aus. In Berlin ist die Begine in der Potsdamer Straße die letzte traditionelle Frauenkneipe, die nur samstags geöffnete Serene Bar in Kreuzberg schließt Ende des Jahres. Auch das stets an Pfingsten stattfindende Lesbenfrühlingstreffen fällt in diesem Jahr erstmals seit 30 Jahren aus. Solche Orte und Veranstaltungen haben ein angestaubtes Image. Genau wie die Begriffe Lesbe und Emanze, die ungefähr so modern und sexy wirken wie lila Latzhosen oder Doppelaxt-Anhänger. Dass Lesbe zudem häufig in Verbindung mit dem Wort Kampf benutzt wurde/wird, hat sicher ebenfalls nicht zur Attraktivitätssteigerung beigetragen.

Einen Ausweg aus dem Label-Dilemma hat die jüngere Generation in den Bezeichnungen „queer“ und „LBGTI“ gefunden. Diese beiden Begriffe schließen auch Schwule, Bi-, Trans-, und Intersexuelle ein. Was erstmal nach Offenheit und zeitgemäßem Brückenschlag aussieht, hat in der politischen Praxis allerdings oft Männerdominanz zur Folge. „LGBTI hat als Versuch der Beteiligung aller sexuellen Identiäten an der Community  versagt. Die wesentlichen Posten und Netzwerke sind fest in schwuler Hand“, schreibt Manuela Kay in der Siegessäule. Ob das am zurückhaltenden Auftreten der Lesben liegt oder der allgemeinen Geringschätzung von Frauen, mag sie nur fragend andeuten. Ganz falsch dürfte sie damit aber nicht liegen. Denn die gesellschaftliche Vormachtstellung von Männern reflektiert sich selbstredend auch in der queeren Gemeinschaft. Ihre ökonomische Stärke kann man beispielsweise an der Berliner Bar-, Restaurant,- und Sexclublandschaft ablesen. Eine ähnliche Vielfalt lesbischer Läden ist schon wegen der geringeren Finanzkraft des Zielpublikums undenkbar.

Kaum Prominente treten offensiv und souverän als Lesben auf

Die Schwulen sind nicht nur in der Etablierung ihrer Subkultur erfolgreicher, sie haben auch den Begriff „schwul“ positiv umgedeutet und größtenteils von seiner abfälligen Konnotation befreit. Er wird inzwischen auch in Mainstream-Medien ganz selbstverständlich verwendet – immer wieder auch als Sammelbegriff, wenn eigentlich Schwule und Lesben gemeint sind. Natürlich wird „schwul“ vor allem auf Schulhöfen weiterhin als Schimpfwort benutzt, „lesbisch“ taugt noch nicht einmal dazu.

Die Unbeliebtheit und zunehmende Unsichtbarkeit des „L-Wortes“  – die L-Kürzelei hat sich seit der US-Serie "The L Word" eingebürgert – lässt sich auch daran ablesen, dass es kaum eine halbwegs prominente Frau offensiv und selbstbewusst benutzt. Ein „Ich bin lesbisch und das ist auch gut so“ gab es nicht. Politikerinnen wie Bundesumweltministerin Barbara Hendricks oder die Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Hermann pflegen in Sachen Positionierung einen ebenso beiläufig-unauffälligen Stil wie Talkshow-Gastgeberin Anne Will oder Tatort-Darstellerin Ulrike Folkerts. Selbst eine beliebte und erfolgreiche Sportlerin wie die lesbisch lebende Fußball-Nationaltorhüterin Nadine Angerer wagte sich zunächst nur mit einem verhuschten Bi-Statement in die Öffentlichkeit. Die einzige, die seit den Achtzigern laut kräht: Hier kommt die dicke Lesbe, ist Hella von Sinnen. Nicht zu vergessen die wackere Maren Kroymann, die sich ebenfalls nie gescheut hat sich als lesbisch zu bezeichnen.

Krisensymptom: Eine Lesbe, die sich als schwul bezeichnet

Die Journalistin und Philosophin Carolin Emcke wiederum ringt in ihrem Buch „Wie wir begehren“ auf vielsagende, irgendwie auch bizarre Weise mit der Selbstbezeichnung:„Ich bin schwul geworden. Ich sage immer noch: ‚schwul’. Vielleicht weil es so daneben klingt, weil es nicht ganz zutreffend ist, weil es das Eitkett, das meins sein soll, vertauscht mit einem anderen, wie in einem der Shakespeare’schen Reigen oder in manchen Barockopern,“ schreibt sie. Um einen Abschnitt weiter dann aber zu erklären, dass ihr schon klar sei, warum es einen Begriff wie „lesbisch“ in der politischen Auseinandersetzung und zur Erhöhung der Sichtbarkeit noch braucht. Selbstverständlich gehe sie auf dem CSD auch als lesbische Frau. Nur privat ist sie lieber schwul? Und seit wann ist das Private nicht mehr politisch?

Dass Carolin Emcke, die in ihrem absolut lesenswerten Buch ansonsten einen sehr klaren Stil pflegt, ausgerechnet an dieser Stelle derartig herumstolpert, zeigt wie groß das Unbehagen mit dem L-Wort ist. Dessen Renaissance scheint eher unwahrscheinlich, wenn selbst einer der klügsten Köpfe der deutschen Queer-Community lieber zur cooleren Bezeichnung „schwul“ greift …

Paradox: In Filmen und Serien sind lesbische Figuren präsenter denn je

Ausnahme. In der Serie "Orange is the new black" gibt es eine ungewöhnlich vielfältige Darstellung lesbischer und bisexueller Figuren.
Ausnahme. In der Serie "Orange is the new black" gibt es eine ungewöhnlich vielfältige Darstellung lesbischer und bisexueller Figuren.

© Netflix

Die Krise des Begriffs Lesbe geht mit einer auf den ersten Blick paradox erscheinenden nie dagewesenen Präsenz von lesbischen Themen in den Medien und der Kulturproduktion einher. Lesbische (und schwule) Figuren gehören mittlerweile zur Standardausstattung jeder Vorabendserie. TV-Filme wie die kürzlich ausgestrahlten öffentlich-rechtlichen Produktionen „Ich will dich“ oder „Vier kriegen ein Kind“ zeigen ganz selbstverständlich lesbisches Begehren und lesbische Familienplanung. Und auch bei den internationalen Film- und Serienproduktionen finden sich von „The Kids Are Alright“ über den Cannes-Gewinner „Blau ist eine warme Farbe“ bis hin zum Netflix-Hit wie „Orange Is The New Black“ inzwischen regelmäßig Werke mit homosexuellen Frauenfiguren.

Die Fortschritte in der öffentlichen Repräsentanz von Lesben seit den neunziger Jahren sind unübersehbar. Entscheidend ist dabei allerdings die Frage, wie dieses Vordringen in die Mainstream-Normalität im Einzelnen aussieht, und was es bewirken kann. Dass sich zur besten Sendezeit zwei Frauen auf Arte ausgiebig küssen können (wie in „Ich will dich“) ist wunderbar, dass sie aber vorher einen „Ich bin nicht lesbisch“-„Ich auch nicht“-Dialog hinter sich bringen, schon weniger. Offenbar meinen die Filmemacher, dass es mit einen verbalen Abstandhalter für die Publikumsmehrheit leichter zu verkraften ist, wenn zwei bisher heterosexuell orientierte Frauenfiguren einander verfallen. Dass noch viel Luft nach oben bleibt in der filmischen Leben-Darstellung zeigt auch die Male-Gaze-Perspektive in der Sexszene von „Blau ist eine warme Farbe“ oder die Nivellierung der Figur der lesbischen Kommissarin in der Serien-Adaption von „Gotham“.

Ein anderer auffälliger und ambivalenter Punkt ist die Dominanz von Figuren, die äußerlich dem gängigen Weiblichkeitsbild entsprechen. Selbstredend gibt es viele lesbische Frauen, deren Genderperformance eher feminin wirkt. Deshalb ist es für sie sowohl innerhalb als auch außerhalb der Szene häufig nicht leicht, wahr- und ernst genommen zu werden. Dass sie allerdings auf den Bildschirmen der Quasi-Standard sind, bringt die Repräsentation lesbischer Vielfalt in eine unglückliche Schieflage. Denn die große, prägende Gruppe der Butches, Tomboys und androgynen Lesben bleibt so weitgehend unsichtbar (rühmliche Ausnahme: „Orange Is The New Black“).Was natürlich nicht die Schuld der Femmes und Lippenstift-Lesben ist.

Feminine Frauenpaare wirken sexy und unbedrohlich auf den Heterozuschauer

Dass bevorzugt konventionell hübsche Frauen besetzt werden, macht lesbische Liebesgeschichten für das Mainstreampublikum besser konsumierbar. Zwei miteinander knutschende und herummachende Modelschönheiten wirken nicht bedrohlich, sie schließen zudem an gängige Männerfantasien bzw. ihre Umsetzung in Pornografie an. Burschikos oder androgyn wirkende Protagonistinnen hingegen würden mit ihrem nicht genderkonformen Äußeren irritieren und dem heterosexuellen männlichen Zuschauer weniger Anknüpfungspunkte geben.

In unserer hyperkapitalistischen Zeit ist der Anpassungsdruck auf junge Frauen immens. Role-Model-Alternativen zum dünnen, langhaarigen, lächelnden und geschminkten Typus sind sowohl in der Werbung als auch in den Medien eine Ausnahme. Sich den omnipräsenten  Schönheits- und Verhaltenregeln für Frauen zu entziehen, erscheint schwerer denn je. Dass manche junge Lesbe da in eine gewisse Unschärfe ausweicht, ist nachvollziehbar. Eine Möglichkeit ist die Bi-Strategie, die die lesbische Autorin Andrea Anna Hünniger kürzlich in einem Artikel für die Welt am Sonntag so skizzierte: „Du signalisierst den allergrößten Respekt vor Männern, wenn du gleich sagst: Ja ich bin mit einer Frau zusammen, aber natürlich bi. Männer aus deinem sexuellen Kosmos komplett auszuschließen ist ein größerer Angriff auf das Gleichgewicht der Welt, als wenn zwei Männer öffentlich kundgeben, dass sie keine Frauen wollen. Es ist als Frau also wichtig, vorsichtshalber klarzustellen, die Randgruppe der Lesben zu kennen, aber beim besten Willen nicht auf einen Penis verzichten zu können.“ So sieht’s aus im Patriarchat.

 Das Lesbischsein wird vom Muttersein überdeckt

Und wo sind nun die Lesben? Überall natürlich. In Berlin zum Beispiel in Neuköllner Queerbars wie dem Silver Future und auf den immer populärer werdenden Festivals wie L-Beach. Außerdem im Internet und seit einigen Jahren vermehrt auch im Kreis der eigenen Kleinfamilie. Letzteres ist das Ergebnis der verbesserten rechtlichen und gesellschaftlichen Situation von Homosexuellen in Deutschland (sowie vielen anderen westeuropäischen Ländern), und es hat ebenfalls zu einer veränderten Wahrnehmung von Lesben in der Öffentlichkeit beigetragen. Statt protestierend auf der Straße sind sie eben jetzt öfter im Sandkasten anzutreffen oder beim Vorlesen von Einschlafgeschichten. Auch wenn Regenbogenfamilien noch nicht überall mit offenen Armen empfangen werden, ist vor allem in Großstädten ein  gewisser Gewöhnungseffekt vorhanden. Der Anblick von zwei Müttern mit Kindern hat jedenfalls keinen Schockwert mehr, falls es den überhaupt jemals gab. (Schwule Väter haben es da mit Sicherheit immer noch schwerer). Das Lesbischsein wird quasi vom weniger fremden Muttersein überdeckt – das Verschwinden in der Normalität. Man kann das schrecklich finden, doch es ist eben auch das Resultat einer Emanzipationsbewegung, deren Kampf auf vielen anderen Ebenen andauert.

Am 26.6. findet in Berlin der dritte Dyke March für mehr lesbische Sichtbarkeit statt. Start ist um 19 Uhr am Deutschen Historischen Museum.

Dieser Text erscheint auf dem Queerspiegel, dem neuen queeren Blog des Tagesspiegels, den Sie hier finden. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an: queer@tagesspiegel.de. Twittern Sie mit unter dem Hashtag #Queerspiegel – zum Twitterfeed zum Queerspiegel geht es hier.

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