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Eine Funkstreife im Einsatz.

© dpa

Neuer Maneo-Report: Hunderte homophobe Übergriffe in Berlin

Beleidigungen, Bedrohungen, Gewalt: Die Zahl der homo- und transphoben Übergriffe in Berlin nimmt nicht ab. Am Mittwoch wurden wieder schwule Männer beleidigt, einer am Kopf verletzt. Besonders viele Übergriffe gibt es im Szenebezirk Schöneberg, wie eine neue Studie zeigt.

Der Übergriff geschieht am hellichten Tag, mitten auf einer der belebtesten Straßen Berlins. Ein 44-jähriger schwuler Mann isst gerade in einem Lokal auf dem Mehringdamm in Kreuzberg. Er sitzt draußen, es ist 16 Uhr, er genießt womöglich die Sonne. Plötzlich stellt sich ein Zwanzigjähriger vor seinen Tisch, entblößt sein Geschlechtsteil und beschimpft den Gast homophob. Die Polizei wird alarmiert, nimmt die Personalien des Täters auf und stellt Strafanzeige. Abschrecken tut das den Täter offensichtlich nicht: Denn zwei Stunden beleidigt er den nächsten Mann, diesmal in der U7. Als das Opfer die Bahn verlässt, eilt ihm der Täter hinterher und schlägt ihm mit einem Gegenstand auf den Kopf - so heftig, dass der Rettungswagen gerufen werden muss.

Übergriffe gehören in Berlin zum Alltag

Geschehen ist das am gestrigen Mittwoch, wie die Berliner Polizei meldet. Der Täter wird schließlich festgenommen. Übergriffe wie diese gehören selbst im vermeintlich so offenen und toleranten Berlin zum Alltag. Das macht auch der neue Report des schwulen Anti-Gewalt-Projekts Maneo deutlich, der am Donnerstag veröffentlicht wurde. Dort sind 225 Fälle mit homo- oder transphoben Hintergrund dokumentiert, bei denen im vergangenen Jahr in Berlin Lesben, Schwule oder Trans*-Personen angegriffen wurden. "Wir können keinen Rückgang der Hinweise erkennen“, sagt Bastian Finke, der Leiter von Maneo. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Übergriffe kaum verändert, es gab auch schon Jahre mit weniger Angriffen. Und die dokumentierten Fälle zeigen ohnehin nur einen Bruchteil der tatsächlichen Angriffe. 80 bis 90 Prozent der Straftaten würden auch weiterhin nicht gemeldet, schätzt Finke: „Es passiert weit mehr.“

Bei Beleidigungen bleibt es nicht

Bei Beleidigungen (die 28 Prozent der erfassten Fälle ausmachten) bleibt es dabei selten. Oft eskalieren Vorfälle, wie vergangenes Jahr in der Walpurgisnacht. Eigentlich ist es noch gar nicht so spät, kurz nach halb elf in Moabit. Ein schwules Paar, der eine 23 Jahre alt, der andere 28 Jahre, geht über die Beusselstraße, als es plötzlich mit Flaschen beworfen wird. Die Flaschen kommen aus einer größeren Gruppe, die den beiden jungen Männer entgegenlaufen und diese wüst mit homophoben Sprüchen beschimpfen. Zwar verfehlen die Flaschen die beiden knapp. Doch sie werden verfolgt, einer packt den 28-Jährigen am Kragen und tritt ihn mehrmals. Dem 23-Jährigen halten sie sogar ein Messer an den Hals, er fällt, die Täter treten auf ihn ein und schlagen ihn. Erst als einer der beiden schwulen Männer sich befreien kann und die Polizei alarmierte, lassen die Täter von ihren Opfern ab.

In der S-Bahn wird die Flasche hinterhergeworfen

Ähnliches erlebt ein 57-jähriger Mann im vergangenen Januar in der S1 in Steglitz. Er wird zunächst von einem offensichtlich alkoholisierten Mittzwanziger homophob beschimpft. Darauf reagiert der Mann erstmal nicht, worauf der Angreifer weiter zu provozieren versucht: mit Fußtritten und dem Versuch, Bier über dem Kopf des Mannes auszugießen. Als sich dieser sich daraufhin wehrt, schlägt ihm der Täter ins Gesicht; als der Betroffene schließlich am Bahnhof Steglitz aussteigt, wird ihm noch die Flasche hinterhergeworfen.

Bei 24 Prozent der Delikte handelte es sich denn auch um einfache und gefährliche Körperverletzungen, bei 23 Prozent um Raubstraftaten, bei 15 Prozent um Nötigungen und Bedrohungen.

Vieles geschieht mitten auf der Straße

Die Hälfte der Fälle ereignete sich in der Öffentlichkeit, also mitten auf der Straße, in Bussen und Bahnen oder in in Cafés und Restaurants. Der Bericht schildert einen Zwischenfall in einem Bistro nahe des Kottbusser Tors, in dem eine 32-jährige Frau und ihre Freundin von einem Mann körperlich bedrängt und mit „Scheiß Lesben“ beschimpft werden. Die beiden Frauen bitten den Bistro-Betreiber um Hilfe – der den Pöbler zwar zu besänftigen versucht, die Frauen aber ansonsten nicht weiter unterstützt.

"Hilfe für Opfer weiter verstärken"

Unlängst hatte SPD-Landeschef Jan Stöß in einem Interview mit dem Queerspiegel , dem neuen LGBTI-Blog des Tagesspiegels, auf die steigende Zahl von Übergriffen gerade im Szenekiez Schöneberg hingewiesen. Das bestätigt sich in dem Maneo-Report: 44 Prozent der gemeldeten Fälle stammen aus diesem Bezirk, acht Prozent aus jeweils Tiergarten und Mitte, jeweils sieben Prozent aus Kreuzberg und Neukölln. In Schöneberg ist deswegen bereits seit 2013 verstärkt Polizei im Einsatz.

Maneo hebt auch hervor, dass Berlin das einzige Bundesland überhaupt ist, dessen Polizei Ansprechpartner für queere Menschen hat. Gleichwohl fordert das Anti-Gewalt-Projekt, die Hilfe für Opfer weiter zu verstärken. Viele Opfer würden sich noch immer fragen, ob die Polizei ihr Anliegen auch ernst nimmt. Diese Sorge könnte auch ein Grund sein, dass viele auf eine Anzeige verzichten. Wer wegen seiner Identität angegriffen werde, sei „zutiefst empört und verletzt“ – und gerade deswegen besonders auf Hilfe angewiesen.

Maneo hilft vor allem schwulen und bisexuellen Jugendlichen und Männern, die Opfer eines Angriffes werden. Das Überfalltelefon ist täglich von 17 bis 19 Uhr unter 216 33 36 zu erreichen. Informationen im Internet gibt es hier.

Der Text erscheint auf dem Queerspiegel, dem neuen Blog des Tagesspiegel. Den Queerspiegel finden Sie hier. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an:queer@tagesspiegel.de. Twittern Sie mit unter dem Hashtag #Queerspiegel – zum Twitterfeed zum Queerspiegel geht es hier.

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