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"Ehe für alle" Abstimmung am Freitag im Bundestag beschlossen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Lesben- und Schwulenverband zur Ehe für alle: "Mit der Ehe ist die Diskriminierung nicht beendet"

Mit der Ehe für alle wird sich das gesellschaftliche Bewusstsein positiv verändern - doch Diskriminierungen sind damit nicht auf einen Schlag verschwunden, sagt LSVD-Sprecher Günter Dworek.

Herr Dworek, seit 25 Jahren kämpft der LSVD dafür, dass auch homosexuelle Paare heiraten dürfen. Auftakt war 1992 die Aktion Standesamt, bei der 250 schwule und lesbische Paare bundesweit das Aufgebot bestellten. Jetzt plaudert die Kanzlerin im Maxim-Gorki-Theater bei der „Brigitte“ – und plötzlich ist der Durchbruch da. Sind Sie Angela Merkel dankbar?

Wir freuen uns jedenfalls, dass der Durchbruch geschafft ist, egal, ob es nun zufällig passiert ist. Dankbar sind wir allen, die im Bundestag dafür gestimmt haben. Ein bisschen Bitterkeit mischt sich auch hinein, denn es hat ja sehr lange gedauert. Hätte man uns die Ehe schon nach der Aktion Standesamt erlaubt, könnten diese Paare im August bereits ihre Silberhochzeit feiern! Der Jurist und schwule Vorkämpfer Karl Heinrich Ulrichs, nach dem in Schöneberg vor einiger Zeit eine Straße benannt wurde, hat die Öffnung der Ehe übrigens schon in den 1860er Jahren gefordert. Und erst jetzt kommt sie.

Weltweit haben 22 Länder die gleichgeschlechtliche Ehe eingeführt, die Niederlande schon im Jahr 2001, Spanien 2005 und Südafrika 2006. Warum hat das bei uns so lange gedauert?

In manchen Ländern wurde die Ehe durch die höchsten Gerichte geöffnet, etwa in Südafrika oder in den USA. Es ist schön, dass es bei uns einen Parlamentsbeschluss gegeben hat. Dass es nicht schneller ging, liegt an der Union, die im Bund ja seit 2005 regiert. Sie hat schon heftig gegen die Einführung der Lebenspartnerschaft opponiert, drei unionsregierte Länder zogen damals sogar nach Karlsruhe. Vielleicht hat hier auch reingespielt, dass die katholische Kirche einen langen Arm in die Union hinein hat.

Berlin ist die deutsche Homo-Hauptstadt. Sind die Berliner Lesben und Schwulen auch besonders aktiv beim Kampf für gleiche Rechte?

Berlin war immer ein besonderer Anziehungspunkt für Lesben und Schwule. Sie kamen, um hier freier leben zu können. Und schon 1992 bei der Aktion Standesamt war der größte Anteil der teilnehmenden Paare aus Berlin. In Berlin war die Lage auch politisch immer besonders lebhaft. Man denke daran, wie die CDU vor zwei Jahren ihre Mitglieder befragte, als eine Entscheidung über die Öffnung der Ehe im Bundesrat anstand. Sie waren dagegen. Berlin hatte sich damals im Bundesrat enthalten.

Auch in Berlin gibt es ständig körperliche Angriffe auf Homo- und Transsexuelle. Hoffen Sie, dass die Ehe für alle das gesellschaftliche Klima weiter verändert und Attacken seltener werden?

Wir wissen, dass solche Gesetzgebungen das Bewusstsein positiv verändern, das ist empirisch messbar. Aber damit sind die Ressentiments natürlich nicht mit einem Schlag verschwunden. Gegen Hetze und Hass ist noch viel Arbeit nötig. Homo- oder transfeindliche Attacken gibt es auch in Köln, Frankfurt oder anderen Orten. Aber Berlin gehört zu den wenigen Städten, in denen die Polizei die Motive für solche Übergriffe auch öffentlich benennt. Das ist überhaupt die Voraussetzung dafür, dass dieses gesellschaftliche Phänomen erfasst werden kann und Präventionsarbeit möglich wird. Die Berliner Polizei hat erfreulicherweise auch eigene Ansprechpersonen für LGBTI.

In Deutschland gibt es seit 2001 für homosexuelle Paare die eingetragene Lebenspartnerschaft. Rechtlich wurde sie der Ehe immer weiter angeglichen. Warum war Ihnen die Ehe für alle trotzdem so wichtig?

Neben dem fehlenden Adoptionsrecht gibt es sehr wohl Unterschiede in vielen Kleinigkeiten, die im Einzelfall belastend sein können, etwa beim Wohneigentum. Es gibt auch das Problem, dass man sich als verpartnertes Paar allein durch diesen Status vor Behörden outet, auch im Ausland, selbst wenn man das gar nicht will. Wir sind natürlich immer für Offenheit, aufzwingen sollte man das aber niemanden. Vor allem geht es bei der Ehe aber um gleiche Rechte für alle. Wir wollten nicht länger in ein Rechtsinstitut zweiter Klasse abgeschoben werden.

Die meisten Unionsabgeordneten haben am Freitag gegen die Öffnung der Ehe gestimmt. Stößt sie also weiter nur im links-liberalen Milieu auf Akzeptanz?

Nein, in 25 Jahren ist es gelungen, breite Kreise der Bevölkerung – nach Umfragen um 75 Prozent - davon zu überzeugen, dass es hier um eine Frage der Gerechtigkeit geht. Das ist weit mehr als das links-liberale Milieu. Und auch Unionsabgeordnete haben ja dafür gestimmt.

Aber die Berliner CDU-Mitglieder haben vor zwei Jahren gegen die Ehe für alle gestimmt, besonders die älteren Mitglieder. Warum wird die Ehe von manchen so stark als heterosexuelles Privileg verteidigt?

Je jünger die Leute, desto mehr sind sie für Gleichberechtigung, je älter, desto skeptischer sind sie. Gucken Sie sich die Biographien der Siebzig- oder Achtzigjährigen an: Ihnen wurde noch von Staatsseite eingetrichtert, dass Homosexualität ein Verbrechen gegen die Moral ist. Das prägt viele. Dafür trägt der Staat, der die Homosexuellen verfolgt hat, die Verantwortung. Es braucht Zeit, bis das heilt.

Es ist umstritten, ob das Grundgesetz geändert werden muss, um Homosexuelle gleichzustellen. Gehen Sie davon aus?

Nein. Denn 1993 hat das Bundesverfassungsgericht unsere Klage zur Ehe mit der Begründung abgewiesen, der gesellschaftliche Wandel beim Eheverständnis sei noch nicht so weit. Inzwischen ist der Wandel da, die Leute sprechen ja auch so: „Die beiden Frauen sind verheiratet.“ Niemand sagt: „Sie leben in einer eingetragenen Partnerschaft.“ Und um uns herum haben zig Staaten die Ehe für Homosexuelle geöffnet. Der Wandel ist offenkundig, es gibt also keine Notwendigkeit, das Grundgesetz zu ändern.

Aus dem politisch rechts-konservativen Spektrum heißt es auch jetzt wieder: „Haben wir keine anderen Probleme?“ Hindern engagierte Minderheiten die Regierung tatsächlich daran, große Themen wie Arbeitslosigkeit oder Armut anzugehen?

Darüber kann man ja nur lachen! Es geht um Grundrechte! Da kann man doch nicht fragen, ob die Gruppe, die es betrifft, klein oder groß ist! Das will ich mal sehen, dass Politiker wegen der Öffnung der Ehe keine Zeit mehr für Bildung, Arbeitsmarktpolitik oder Klimaschutz haben. Allenfalls haben sie selbst viel Zeit vergeudet, weil sie das Thema jedes Mal vertagt haben, wenn es auf die Tagesordnung kam. Bei jedem gesellschaftlichem Thema wird natürlich gefragt: „Haben wir keine anderen Probleme?“. So war es ja auch, als um das Wahlrecht für Frauen gestritten wurde.

Sollte die Ehe nun geöffnet werden, ist das Kapitel staatlicher Diskriminierung gegen Homosexuelle in Deutschland damit endgültig abgeschlossen?

Für gleichgeschlechtliche Paare ja. Das ist ein historischer Wendepunkt. Allerdings gibt es weiter diskriminierende Entscheidungen. Erst vor wenigen Tagen wurde endlich die Rehabilitierung und Entschädigung der über den Paragraphen 175 Verfolgten beschlossen. Das ist ein wirklich großer Schritt nach vorne. Aber nicht nur fällt die Entschädigung der Opfer viel zu gering aus, wenn man sieht, dass viele Lebenswege völlig zerstört wurden. Außerdem hat die Union Einschränkungen bei der Aufhebung der Urteile durchgeboxt, die angeblich dem Jugendschutz dienen, in Wahrheit aber Homosexualität erneut ungleich behandelt. Eine offene große rechtspolitische Frage ist, dass Artikel 3 des Grundgesetzes endlich ergänzt wird um sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität. Dann würden nämlich Schüler schon beim Thema Grundrechte im Sozialkundeunterricht erfahren, dass man wegen seiner Homosexualität oder Geschlechteridentität nicht benachteiligt werden darf. Für Trans*Personen muss im Recht überhaupt noch vieles geändert werden, um ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. 

Günter Dworek (56) ist Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands.
Günter Dworek (56) ist Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands.

© Doris Spiekermann-Klaas

Nicht alle evangelische Landeskirchen trauen wie die in Berlin homosexuelle Paare. Und Homosexuellen, die in einer katholischen Einrichtung arbeiten, droht die Kündigung, wenn sie sich verpartnern. Versprechen Sie sich durch die Ehe für alle auch einen Einfluss auf die Kirchen?

Die evangelische Kirche hat den Beschluss zur Ehe begrüßt, das ist ein bedeutsamer Schritt und man kann hoffen, dass er die innerkirchliche Debatte um Trauungen und Segnungen nun weiterbringt. Die katholische Kirche lehnt die Ehe für Homosexuelle hingegen strikt ab – ihr ist es lieber, wenn die Leute alleine sind. Es wäre hilfreich, sie würde das Thema mal unter dem Blickwinkel der Nächstenliebe betrachten.

Unter Lesben und Schwulen war der Kampf für die Ehe auch umstritten. Nicht alle wollten, dass bald auch die Beziehungen von Lesben und Schwulen in ordentliche und weniger ordentliche unterteilt werden. Hören Sie diese Kritik noch?

Nur noch selten. Vor allem, weil sich die Befürchtungen ja nicht bestätigt haben. Es gab keine Spaltung in gute und böse Homosexuelle durch die Lebenspartnerschaft. Auch die Befürchtungen der Konservativen haben sich nicht bestätigt. Wir können in Europa inzwischen auf 28 Jahre Erfahrung zurückgreifen, denn Dänemark hatte die Lebenspartnerschaft schon 1989 eingeführt. Seitdem ist weder das Abendland untergegangen noch wurde die Familie geschädigt. Ich setze mich sehr mit Gegenargumenten auseinander. Aber seit Jahrzehnten höre ich die gleichen – das wirkt nur noch schablonenhaft.

Den Homosexuellen wird fortan von manchen vorgehalten werden, sie hätten nun alle Ziele erreicht und sollten sich politisch zurückhalten. Hat der LSVD jetzt tatsächlich keine großen Themen mehr?

Schön wär’s! Es gibt leider noch sehr viel zu tun bei der Prävention von Mobbing in der Schule oder beim Schutz vor homo- und transphober Gewalt. Das Antidiskriminierungsgesetz muss verbessert werden. Nicht zuletzt müssen wir nach einer so guten Woche für die Homosexuellen in Deutschland auch an die Verfolgten im Ausland denken. In über 70 Ländern ist Homosexualität strafbar, in manchen steht darauf die Todesstrafe. Homosexuelle werden von ihren Familien verstoßen, vom Staat in die Unsichtbarkeit gedrängt und schrecklicher Gewalt ausgeliefert. Die Bundesregierung könnte hier in ihrer Außen- und Entwicklungspolitik noch eine Schippe drauflegen.

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