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Buntes Zeichen. Homosexualität ist ein Thema, das an den Türen von Schulen und Kitas nicht Halt macht.

© imago/7aktuell

Internationaler Tag gegen Homophobie: "Schwul-lesbische Lehrkräfte sind Vorbilder"

Nuri Kiefer ist Schulleiter in Reinickendorf - und schwul. Für Homosexuelle kann das Leben an Schulen zur Qual werden, sagt er. Aber er kennt auch das Gegenteil. Ein Gespräch zum Tag gegen Homophobie.

Herr Kiefer, Sie leben offen schwul, auch als Lehrer. Wann wurden Sie zuletzt wegen Ihrer Homosexualität offen angefeindet?

Oh, das ist lange her. Das war 2006, als ich noch in einer Realschule in Karlsruhe gearbeitet habe. Ich hatte mich dort als Schulleiter beworben, und der stellvertretende Schulleiter hatte den zuständigen Gremien gesteckt, dass ich schwul bin. Er wollte meine Beförderung verhindern, hatte aber Pech – die Gremien haben mich als Schulleiter akzeptiert, und der stellvertretende Schulleiter wurde von der Schulaufsicht versetzt.

Da dürften einigen Ihrer homosexuellen Kollegen anderes erlebt haben. Welche Klagen hören Sie denn von denen?

Offengestanden, hören wir als GEW relativ wenig. Wir bekommen auch als AG Schwuler Lehrer selten Rückmeldungen, dass Lehrer offen angegangen werden – aber vereinzelt gibt es diese Fälle.

Es liegt nahe, dass es in diesem Bereich eine Dunkelziffer gibt.

Klar, das Thema ist ja auch schambesetzt. Es wird Menschen geben, die nicht so selbstbewusst mit ihrer Homosexualität umgehen, dass sie offen dazu stehen. Gerade im Bereich Erziehung und Bildung gibt es noch große Ängste bei den Beschäftigten.

Was sind denn die krassesten Fälle, die Ihnen bei der GEW gemeldet werden?
Lehrer werden zum Beispiel in sozialen Netzwerken gemobbt. Man versucht, ihre Homosexualität zur Schau zu stellen. Oder Schüler loggen sich in Partnerportale von Homosexuellen ein, geben sich dort als Erwachsene aus, forschen nach ihren Lehrern und machen dann ihre Recherche-Ergebnisse öffentlich. Und mitunter ist es dann so, dass die Betroffenen von ihren jeweiligen Schulleitungen nicht unterstützt werden.

Einige Schulleitungen lassen Ihre angefeindeten Lehrer im Regen stehen?
Eine der Hauptforderung der GEW lautet, dass in der Ausbildung von Lehrern und Schulleitern der Umgang mit dem Thema Diversity und Diskriminierung viel stärker in den Fokus rücken muss. Gerade beim Thema Homosexualität existieren bei vielen Schulleitungen gewisse Vorbehalte und Ängste.

Wie reagieren denn muslimische Eltern auf Sie als Lehrer?
Ich kann keine Kategorisierung machen. Ich kann nicht sagen, welche Eltern mit welchem kulturellen Hintergrund feindlich auftreten. Ich kenne einen Fall in Baden-Württemberg, da haben Mitglieder einer besonders fundamentalistischen evangelischen Bewegung protestiert. Die haben Demonstrationen organisiert und gegen die Akzeptanz von Homosexualität im baden-württembergischen Bildungsplan protestiert.

Was erzählen Ihre Kollegen über Erfahrungen mit muslimischen Eltern?
Ein Freund von mir unterrichtet am Diesterweg-Gymnasium in Wedding, rund 90 Prozent der Schüler kommen aus einem muslimischen Elternhaus. Er lebt offen schwul, ist da völlig akzeptiert und erzählt immer wieder, was für tolle Gespräche er mit anderen Lehrkräften, den Eltern und den Erziehern hat, weil er so offen mit seiner Homosexualität umgeht. Ich habe von Anfeindungen natürlich gehört, aber es ist eher so eine Gefühlssache, konkret kenne ich keine Fälle.

Aber es gibt diese Fälle. Schwer zu glauben, dass solche Beispiele nicht auch bei der GEW ankommen.
Es ist aber so. Ich bin seit fünf Jahren an einer Schule im Märkischen Viertel, ein sozialer Brennpunkt. Wir sind eine kleinere Gruppe von homosexuellen Lehrern, die sagen unisono, dass hier ein gutes Klima herrscht. Es kann natürlich sein, dass Eltern mit einem gewissen kulturellen Hintergrund mit den Füßen abstimmen, dass sie sagen, wir meiden eine Schule, in der homosexuelle Pädagoginnen und Pädagogen unterrichten. Aber weder bei uns an der Schule noch bei der GEW kommen Beschwerden an.

Nuri Kiefer (48) ist Leiter der Schule Campus Hannah Höch in Reinickendorf. Er führt den Vorstandsbereich Schule in der Bildungsgewerkschaft (GEW) und ist Mitglied der AG Schwule Lehrer.
Nuri Kiefer (48) ist Leiter der Schule Campus Hannah Höch in Reinickendorf. Er führt den Vorstandsbereich Schule in der Bildungsgewerkschaft (GEW) und ist Mitglied der AG Schwule Lehrer.

© Mike Wolff/Tsp

Wie reagieren Sie, wenn Sie auf dem Schulhof hören, dass das Wort „schwul“ als Beleidigung eingesetzt wird?
Wir haben bei uns unter den Pädagogen den Konsens, dass wir diesen Punkt ansprechen. Dass man auf den Schüler zugeht und zu klären versucht, wie er das gemeint hat. An meiner Schule gibt es natürlich die Besonderheit, dass der Schulleiter, aber auch andere Lehrkräfte ihre Homosexualität nicht verbergen. Deshalb hat sich an unserer Schule das Problem mit „schwul“ als Beleidigung stark abgeschwächt.

Haben Sie mal erlebt, dass Schüler eingeschritten sind, wenn andere Schüler das Wort „schwul“ beleidigend verwendet haben?
Ein Zehntklässler hatte sich ein halbes Jahr vor seiner Abschlussprüfung geoutet. Er musste sich dann natürlich dumme Sprüche von Mitschülern, aber vor allem von externen Schülern anhören, auch in den sozialen Netzwerken wurde er angefeindet, bis er kurz davor war, die Prüfung abzubrechen. Aber dann hat er enorme Solidarität von Mitschülern und Lehrkräften erhalten. Und es ist in so einem Fall von Vorteil, dass ich selber Diskriminierungserfahrung habe. Man muss diesem Jungen sagen: Ich weiß, es ist schlimm, ich kenne das, damit muss man aber auch ein Stück weit zurechtkommen. Jungs in diesem Alter machen halt auch mal dumme Sprüche, wobei ich das natürlich nicht entschuldigen möchte.

Kommen denn auch homosexuelle Schüler zu Ihnen und bitten um Rat?
Bis jetzt gab es das nur einmal. Es kam sogar nur seine beste Freundin, weil der Schüler selbst sich nicht getraut hat. Für homosexuelle Schüler ist wichtig, dass es Vorbilder gibt. Wenn es schwul-lesbische Lehrkräfte an der Schule gibt, dann gibt es für die Schüler auch Rollenvorbilder.

Was erwarten Sie sich konkret vom heutigen Aktionstag?
Natürlich geht es auch darum, in der Gesellschaft ein Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Gerade im Nollendorfkiez ist die Kriminalität wieder gestiegen, da nehmen die Angriffe und Anfeindungen gegen Homosexuelle zu. Zudem ist ein Rechtsruck in der Gesellschaft latent spürbar, die Mehrheitsgesellschaft traut sich wieder mehr gegen Schwule und Lesben zu schwadronieren. Das nehmen wir als GEW wahr, und deshalb sind Veranstaltungen wie dieser Aktionstag ganz wichtig. Damit klar ist: In diesem Land ist kein Platz für Rassismus oder Homophobie.

Das Gespräch führte Frank Bachner.

Nuri Kiefer (48) ist Leiter der Schule Campus Hannah Höch in Reinickendorf. Er führt den Vorstandsbereich Schule in der Bildungsgewerkschaft (GEW) und ist Mitglied der AG Schwule Lehrer.

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