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Anti-Hass-Ambulanz. Besucher*innen des Berliner CSD.

© dpa

Homosexuelle zwischen Emanzipation und Selbsthass: Seid selbstbewusst anders!

Viele Homosexuelle und Transmenschen versuchen sich an gängige Vorstellungen von "Normalität" anzupassen. Das ist jedoch ein Fehler - Emanzipation braucht selbstbewusstes Anderssein.

Heute begegnet man Feindseligkeit häufig damit, die Vorurteile der Feindseligen abbauen zu wollen. In einigen Schulaufklärungsprojekten treten daher Homosexuelle und Transmenschen vor die Schüler_innen und versuchen ungefähr Folgendes zu vermitteln: „Schaut her, wir sind normal – genauso wie ihr!“

Betont asexuell fällt die Selbstdarstellung aus. Dass es mit ihrer Normalität nicht weit her ist, bezeugt jedoch schon der exhibitionistische Gestus, mit dem sie sich als die Anderen präsentieren. Sie treten ja ausdrücklich als Homosexuelle und Transmenschen vor die Schulklassen.

Man kann die normative Bevorzugung der Heterosexuellen in dieser Gesellschaft, die die Normalen erst zu solchen werden lässt, zwar verleugnen. Sie bleibt dennoch bestehen. Eine solche, zwangsweise missglückende Normalisierung der eigenen Person, wie sie in der Behauptung, so normal wie alle anderen zu sein, versucht wird, muss letztlich als Unterwerfungsgeste verstanden werden. Das Gefühl, normal zu sein, ist nur zu dem Preis zu haben, sich den gängigen Vorstellungen von Normalität anzupassen. Die Homosexualität, um deren Akzeptanz doch eigentlich geworben werden soll, verblasst so möglichst weit in Richtung ihrer Unkenntlichkeit.

Normalisierung als Unterwerfungsgeste

Eine solche Rechnung aber geht nicht auf. Schlussendlich ist mit dieser Strategie für niemanden etwas gewonnen. Nicht nur, weil die Homosexuellen und Transmenschen am Ende ebensolche bleiben. Auch ist es ja nicht bloß das Vorurteil an und für sich, das es zu problematisieren gilt. Sondern die Ablehnung und der Hass.

Ein Konflikt zwischen Menschen, die sich begegnen, ist nie auszuschließen. Erwachsene Menschen können mit der Differenz des Anderen zwar in aller Regel umgehen und sie aushalten. Bei Homosexuellenfeindlichkeit verweigern Erwachsene etwas, das man für gewöhnlich schon während der Kindheit erlernt: Nämlich den Anderen anders sein zu lassen – auch wenn es unangenehm sein mag.

"Wir sind nicht schlechter als ihr!"

Die Sehnsucht, sich nicht mehr als Andere schlechter fühlen zu müssen, ist im Angesicht des normativen Drucks, der uns allen widerfährt, nachvollziehbar. Die Differenz zwischen Heterosexuellen und Homosexuellen wird dem subjektiven Empfinden und der gewaltvollen gesellschaftlich vermittelten Erfahrung nach nämlich mit einer Stigmatisierung verbunden. Vor diesem Hintergrund bedeutet „Wir sind so normal wie ihr!“ eigentlich „Wir sind nicht schlechter als ihr!“.

Eine sehr wichtige Botschaft, die nicht alle Menschen für selbstverständlich halten. Doch könnte der engagierte Mut, der für die Überwindung, sich als Lesben, Schwule und Transmenschen vor einer Schulklasse zu präsentieren, ohnehin notwendig ist, auch dazu genutzt werden, der Versuchung einer Anpassung nicht nachzugeben. Sinnvoller wäre es stattdessen zu betonen, dass Homosexuelle anders als Heterosexuelle sind und Transmenschen anders als Cismenschen. Und dass diese Unterschiede nicht dazu taugen, die einen höher und die anderen niedriger zu bewerten. Das Problem beginnt also, wo in dieser Gesellschaft die Differenz nicht ausgehalten wird.

Dazu noch einmal ein Beispiel: Ist durch eine Aufklärungsstunde das Vorurteil der kurzhaarigen, aggressiven Kamplesbe im Lederlook, die viel Bier trinken und gut pöbeln kann, einmal erfolgreich abgebaut, wäre damit ja ein Ziel dieser Strategie erreicht.

"Gute" und "schlechte" Lesben

Durch ihre Verleugnung kann die besagte Kampflesbe aber nicht aus der sozialen Realität getilgt werden – glücklicherweise. Trifft nun also die frisch aufgeklärte, vorurteilsbefreite Person auf eine Lesbe, die ihres Erachtens dem geschilderten Klischee entspricht, so käme sich die Aufgeklärte von den Aufklärern und deren behaupteten Normalität bestenfalls belogen vor. Viel mehr noch muss ihr die Klischee-Lesbe aber nun als eine erscheinen, die ihr nicht so konfliktfrei als normal gelten kann, wie es die Aufklärer_innen darstellten. Diese hier, so würde die Schlussfolgerung lauten, muss wohl eine der unnormalen Lesben sein und zu einer schlechten Sorte Lesben gehören. Der Hass, der gesellschaftlich gegenüber dem Unnormalen besteht, wurde bei dem Versuch, das Vorurteil abzubauen, leider vergessen.

Kurz und gut: Indem Homosexuelle und Transmenschen in Schulaufklärungsprojekten als Vorbilder dafür auftreten, wie normal und brav wir doch seien, verleugnen sie nicht bloß einen Teil ihrer selbst. Sie diskreditieren unweigerlich auch all jene, die aus der faden Fantasie einer Normalität der Anderen herausfallen. Im Grunde spielt man der Stigmatisierung von Homosexuellen und Transmenschen mit so einem Vorgehen, sei es auch noch so gut gemeint, in die Hände. Gerade vor dem Hintergrund der andauernden, rechten Anfeindungen der letzten Jahre gegenüber Schulaufklärungsprojekten sollte man sich in einer sinnvollen Aufklärungsarbeit davor hüten, eine Unterwerfungsgeste an die Normalität zu inszenieren, indem alles Sexuelle und Besondere, insbesondere all das, was lustvoll am Anderssein ist, ausgespart und verleugnet wird.

Anderssein zu leugnen hebt Stigmatisierung nicht auf

Dabei schaffen die besagten Schulaufklärer_innen doch bereits durch ihren Auftritt die Grundlage für einen sinnvollen Dialog. Sie treten ja, ohne es zu wollen, als die Anderen auf. Die Chance läge darin, das eigene Anderssein als solches  zu begreifen. Es zu leugnen hebt dagegen die Stigmatisierung nicht auf, sondern kommt ganz im Gegenteil einer Kapitulation gleich.

Dass die Stigmatisierung weiterhin besteht, lässt sich wohl am einfachsten an Folgendem ablesen: Ein Coming-out geht bis heute für die wenigsten Homosexuellen und Transmenschen ohne Konflikte vonstatten. Grund dafür sind homosexuellen- und transfeindliche Ressentiments etwa der Eltern. Für die Umsetzung von Emanzipation werden derweil unterschiedliche Strategien vorgeschlagen. Manch einer sieht in einer angeblich zunehmenden Normalisierung im Sinne eines Unsichtbarwerdens die geglückte Selbstbestimmung.

Sind bürgerlich lebende Homosexuelle Feinde der Emanzipation?

Manche wünschen sich einen "Marsch der Normalen" statt des CSDs.
Manche wünschen sich einen "Marsch der Normalen" statt des CSDs.

© dpa

Eine frappierende Ähnlichkeit hat die Vorstellung von Selbstermächtigung durch Unsichtbarkeit mit den Diskussionen im sogenannten Tuntenstreit in der westdeutschen Schwulenbewegung der 1970er Jahre. Eine der beiden Streitparteien machte keinen Hehl daraus, dass zu auffällige Schwule und Tunten in ihren Augen der schwulen Emanzipation schaden würden – da sie die normale Bevölkerung unnötigerweise erschreckten.

Diese Position lässt sich auch heute noch nachvollziehen, wenn beispielsweise über zu schrille CSD-Paraden, die zu versauten Ledermänner oder die zu promisken Schwulen geschimpft wird. Vereinzelte rechte und reaktionäre Homosexuelle und Transmenschen  ersehnen sich entsprechend einen Marsch der Normalen herbei, der einen ihres Erachtens unzeitgemäß lustvollen CSD ersetzen solle. Ihnen gelten die Geflüchteten und „Ausländer“ ebenso als Gefahr für ihre imaginierte homosexuelle Normalität wie die Tunten, die ihrer schrillen Schminke und der Karikierung dessen, was es in dieser Gesellschaft immer noch bedeutet, schwul zu sein, nicht müde werden.

Tunten werden abgelehnt

Dabei sind, wenn man von einer schwulen Normalität sprechen möchte, doch eigentlich gerade die Tunten ein integraler Bestandteil davon. Um die soziale Realität geht es diesen Rechten jedoch nicht. Ihr Normalitätsbegriff ist einer, der normiert, weil er der gegebenen Normalität zuvorzukommen sucht. Entsprechend geht es in ihrer rassistischen Ablehnung nicht um homo- und transfeindliche Gewalt oder religiös fundierte Feindseligkeit, wie sie behaupten. Und auch bei Tunten und anderen schrillen Unnormalen geht es ihnen nicht darum, dass die Tunten schwule Emanzipation verhindern würden. In beiden Fällen haben sie vielmehr ein geeignetes Ventil für ihren Hass auf das Andere gefunden. Bei den unnormalen Homosexuellen und Transmenschen handelt es sich hierbei besonders deutlich um eine Ablehnung der eigenen unliebsam unnormalen Anteile. Verleugnen lässt sich die Differenz vielleicht, mit magischem Denken ist sie aber nicht zum Verschwinden zu bringen, womit sie in Wirklichkeit auch bei den scheinbar normalen Homosexuellen und Transmenschen bestehen bleibt

Sind all jene Lesben, Schwule und Transmenschen, die etwa ein bürgerliches Erscheinungsbild bevorzugen und mehr oder weniger finanziell abgesichert leben (wollen), die Feinde der Emanzipation? Dass einer solchen Vorstellung eine Verkürzung zugrunde liegt, sollte nicht weiter erklärungsbedürftig sein. Die „radikale“ Vorstellung, dass die als bürgerlich wahrgenommenen Homosexuellen und Transmenschen allesamt für die Unterdrückung des Anderen stehen, ist das Ergebnis ressentimenthaften Denkens. Die Verleugnung eigener Wünsche und Regungen, die Bestandteil dieser Ablehnung bürgerlichen nicht-heterosexuellen Lebens ist, steht dem oben angeführten Hass gegen Tunten in nichts nach.

Der problematische Ausdruck der "Homonormativität"

Selbsthass und Ressentiment lassen sich – um ein weiteres gängiges Beispiel zu nennen – ebenso in dem Ausdruck der „Homonormativität“ finden. Homonormativität meint normative Maßstäbe unter Homosexuellen, etwa Schönheitsideale, die mit dem Wort benannt und kritisiert werden sollen. Viel richtiger wäre allerdings deren Bezeichnung als Heteronormativität. Diese äußert sich in einer heteronormativen Gesellschaft auch unter Homosexuellen. Das verweist auf den tatsächlichen Ursprung des normativen Maßstabes, nämlich den Wahnsinn der heterosexuellen Normalität dieser Gesellschaft.

Weshalb aber dann das unnötige Präfix „Homo-“? Schließlich doch nur zur Vergewisserung, dass man eben nicht zu diesen schlechteren, weil vermeintlich reaktionären Homosexuellen gehört, ohne dabei zu merken, dass man die eigenen, uneingestandenen Wünsche zwar auf das bürgerliche Andere projiziert hat, aber doch nicht so recht losgeworden ist.

Selbsthass als kollektive Neurose

Selbsthass unter Lesben, Schwulen und Transmenschen kann als Bestandteil einer kollektiven Neurose begriffen werden, die sich bis heute mit einem ähnlichen, kontinuierlich vorgebrachten Gehalt äußert. Nicht zufällig habe ich zunächst beispielhaft Strategien und Positionen hervorgehoben, die sich zumindest selbst als emanzipatorisch ausgeben. Gerade dort, wo mit dem Gestus der Befreiung eine Unterwerfung vollzogen wird, tritt die Selbstverständlichkeit besonders deutlich zum Vorschein, mit der das unliebsame Andere im Eigenen zugunsten des mindestens verfehlten Ziels, gut und normal zu sein, verleugnet oder gehasst wird.

Die Autorin hat den jüngst erschienenen Band "Selbsthass & Emanzipation - Das Andere in der heterosexuellen Normalität" (Querverlag, Berlin 2016) herausgegeben. Der Text ist die gekürzte Version der Einführung in den Band. Patsy l'Amour laLove ist Polit-Tunte in Berlin, promoviert derzeit an der HU zur Schwulenbewegung der 1970er Jahre in Westdeutschland und organisiert kulturelle und wissenschaftliche Veranstaltungen wie "Polymorphia - die TrümmerTuntenNacht" im SchwuZ. Auf Facebook ist sie hier zu finden.

Am Donnerstag, den 22. September, stellt Patsy l'Amour laLove den Band im Schwulen Museum* vor: Lesung mit fünf Autor*innen des Bandes ab 19 Uhr, Lützowstraße 73, Eintritt ist frei.

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Patsy l\'Amour laLove

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