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Leuchtturm. Gloria Viagra ist mit High Heels und Perücke gut 2,20 Meter groß.

© CHIPI

Drag Queen Gloria Viagra: „Der Fummel gibt mir Mut und Narrenfreiheit“

Gloria Viagra ist eine der bekanntesten deutschen Drag Queens. Wegen ihrer Größe wird sie als Empire State Building des Berliner Drag-Entertainment bezeichnet. Jetzt wird sie 50. Ein Gespräch.

Frau Viagra, Diven bleiben ab einem gewissen Alter ja immer 29. Wie kommt es, dass Sie Ihren 50. Geburtstag so groß feiern?

Lange habe ich das mit der 29 auch gemacht. 29 b, 29c und 29 h (lacht). Tatsächlich gab es um die 40 herum mal eine Zeit, in der Jüngere komisch reagiert haben, wenn ich gesagt habe, wie alt ich bin. Deshalb habe ich das eher nicht erwähnen wollen. Aber die 50 ist jetzt so einschneidend, dass ich gesagt habe: Das möchte ich feiern. Hab mich ja auch ganz gut gehalten.

In der Tat! Kompliment.

Wobei es ja eigentlich Michel ist, der 50 wird und nicht Gloria. Die kam ja erst ein paar Jahre später, obwohl ich natürlich mit Pailletten geboren wurde.

Wie alt ist Gloria denn etwa?

Schwer zu sagen. Ich habe schon als Kind mit meiner Schwester Modenschauen gemacht – den Flur hoch und runter im langen Nachthemd. Und in der Grundschule war ich sowieso der „Schwuli, Schwuli“, der mit den Mädchen spielte. Richtig Gloria war dann aber erst spät, so mit 20.

Das ist ja doch nicht spät!

Ich habe das etwas rausgezögert, weil eben alle immer meinten, ich sei schwul, was bei meiner Erziehung ja auch kein Wunder sei. Ich bin eher unkonventionell aufgewachsen. Wir kamen 1972 nach Berlin und haben in WGs gelebt. Meine Mutter ist mit ihren Freundinnen gern zu Romy Haag gegangen und erzählte begeistert davon. Das fand ich irre spannend.

An wem haben Sie sich damals orientiert?

Ich bin ins alte Schwuz in der Hasenheide gegangen, wo es Transenshows gab. Das fand ich total faszinierend. Gérôme Castell hat mich dann ein bisschen unter die Fittiche genommen. Sie ist die große Übermutter, das leuchtende Vorbild, die Wegbereiterin. Schon damals lief sie mit bewundernswerter Selbstverständlichkeit im Fummel durch Kreuzberg.

Wie war das für Sie selber, zum ersten Mal im Fummel rauszugehen?

Sehr aufregend. Wir haben zu mehreren für den Offenen Kanal einen Beitrag produziert, wo ich mit Gérôme Castell und einem weiteren Freund eine Drag-Nummer aufführte. Ich hatte ein grünes Cocktailkleid mit Pailletten an, das ich danach gar nicht mehr ausziehen wollte. So sind wir dann noch nach Kreuzberg in ein Café gegangen, saßen draußen. Es war toll!

Wurden Sie oft angefeindet?

Ich bin damals nicht so oft im Fummel rausgegangen wie heute. Aber es gab auf keinen Fall mehr Ablehnung als heute. Es ist in beide Richtungen extremer geworden: Einerseits umschwärmen einen die Leute überschwänglicher, andererseits gibt es ein höheres Aggressionslevel seitens der Leute, die einen beschimpfen.

Das Klima in Berlin wird derzeit insgesamt ruppiger. Beeinflusst Sie das? Gibt es Gegenden, die Sie im Kleid meiden?

Manchmal ist mir sogar schon hier in meinem Schöneberger Kiez etwas mulmig. Die Alvenslebenstraße würde ich im Fummel eher nicht runtergehen. Aber mir ist es auch schon passiert, dass ich auf dem Weg von meiner Haustür zum wartenden Taxi von zwei Jungs – offensichtlich deutsch – angepöbelt wurde. Sie warfen Getränkedosen nach mir. Ich bin schnell ins Auto, aber sie kamen angerannt, rissen die Tür auf und spuckten rein.

Heftig. Und wie hat sich die Drag-Szene über die Jahre verändert?

Wer sich damals geoutet hat, war politisch. Es ging darum, Freiräume zu erkämpfen und sich nicht verstecken zu müssen. Inzwischen ist vieles selbstverständlicher und Drag im Mainstream angekommen. Das hat den Vorteil, dass es mehr Möglichkeiten gibt, Geld zu verdienen, wobei diese Kommerzialisierung auch zu Konkurrenzdenken und mangelndem Respekt gegenüber Wegbereitern wie Gérôme Castell geführt hat.

Immerhin ist Ihr Terminkalender voll mit DJ-Auftritten.

Ja, es läuft noch ganz gut, dafür, dass ich jetzt 50 bin. Aber natürlich überlegt man sich, ob man sich mit 55, 60 immer noch anmalen will, um Musik für die Kids aufzulegen. Ich habe mich lange geweigert, Justin Bieber aufzulegen. Jetzt mache ich es, und die Leute schreien. Aber irgendwann will ich das nicht mehr. Geschminkt auf einer Bühne stehen ist etwas anderes, das würde ich noch mit 70 machen. Ein zweites Standbein wäre gut. Berlin fehlt zum Beispiel ein Drag-Theater. Man braucht allerdings einen Investor, eine Location ...

Wie altert man als Drag Queen in Würde?

Das ist schon schwer, weil derzeit dieser Jugendwahn herrscht. Und das Make-up ist sehr brutal mit den Falten, wenn es sich so reingräbt (lacht). Dann siehst du doppelt so alt aus. Die Älteren machen eher klassische Travestie mit Federn.

Was ist der Unterschied zwischen klassischer Travestie und Drag Queens?

Drag Queen ist einfach der Name, den sich die nachfolgende Generation gegeben hat. Eigentlich ist das nichts anderes als was man früher Transvestiten genannt hat. Klassische Travestie ist Federn, Pailletten, Playback. Große Kostüme, große Gesten, alte Idole. Schon etwas altbacken und angestaubt. Ich komme aus dem Berliner Tuntentum, wobei wir dem Begriff Tunte das Beleidigende entziehen wollten und die klassische Travestie parodierten.

Zur Mainstreamisierung des Drag-Queen- Wesens hat auch die TV-Show „RuPaul’s Drag Race“ beigetragen, die letztens mit einer Live-Version im Admiralspalast zu Gast war. Einige Berliner Drag Queens haben sich sehr kritisch zu diesem Spektakel geäußert. Wie schätzen Sie das ein?

Ich bin kein großer Fan davon, weil derzeit alle so drauf fixiert sind. Letztes Jahr war ich mit zehn Kolleginnen auf der Messe in Basel engagiert. Es war erst sehr herzlich, bis es plötzlich nur noch darum ging, wer mehr Sätze aus der Show nachsprechen kann. Zudem findet einen Uniformierung statt: Ob in Manila oder Budapest – überall sieht man die nach Drag- Race-Tutorial geschminkten Gesichter.

Auch der Erfolg von Conchita Wurst hat Drag Queens in den Mainstream gebracht.

Sie ist ja eine Freundin von mir … Wobei ich sie niemals als Mainstream bezeichnen würde. Gegen ihren Auftritt beim Songcontest gab es großen Protest. Sie ist zwar in Medien präsent, aber höchst umstritten. Wie souverän sie das mit ihren 27 Jahren alles aushält, ist bewundernswert. Ich bin völlig fasziniert von ihr und finde, dass sie viel ausgelöst hat.

Etwa die Bartmode bei Drag Queens. Wer von Ihnen hatte den eigentlich zuerst?

Das war ungefähr zur selben Zeit. Aber wenn ich ehrlich bin, war sie ein kleines bisschen früher dran.

Haben Sie auch mal über einen Vollbart nachgedacht?

Nee, der wäre viel zu grau (lacht). Früher habe ich als Gloria übrigens auch viel mit Heteros geflirtet. Der Bart hat das dann ziemlich gebremst. Aber auch von Schwulen gab es anfangs viel Kritik. Die haben mich damit einfach nicht in ihre Schubladen bekommen. Nach Conchita hieß es dann: Machst du auf Conchita? Andere sagten: Die macht dich nach. Sie hat die Bart-Akzeptanz jedenfalls stark erhöht.

Wie lange brauchen Sie um sich komplett in Schale zu werfen?

Gute zwei Stunden. Zur Not geht es auch in einer Stunde. Zuerst den Mann wegschminken und dann die Frau draufschminken.

Inwiefern sind Sie in Drag eine andere Person als privat?

Ich finde, der Unterschied ist gar nicht so groß. Mein Freund sieht das allerdings anders. Der Fummel macht schon viel mit einem. Vor allem gibt er mir Mut und eine gewisse Narrenfreiheit. Viele Dinge, die ich als Michel nie gemacht oder erlebt habe, habe ich durch Gloria erlebt.

Wie kamen sie auf Ihren Künstlerinnennamen?

Gloria kommt von dem Film „Gloria, die Gangsterbraut“, in dem ich Gena Rowlands großartig fand. Viagra kam erst später. Anfangs hieß ich von Tuten und Blasen, weil ich Gloria von Thurn und Taxis so dämlich fand. Aber als ich 1998 die ganze Saison in Ibzia als DJ gebucht war, musste ich mir etwas Neues einfallen lassen. Damals kam die Viagra-Tablette gerade auf… Nochmal würde ich mich allerdings nicht so nennen.

Sie wollen dieses Jahr heiraten. Wann ist es so weit und haben Sie schon ein Kleid?

Mein Verlobter mag keine öffentlichen Auftritte, er geht noch nicht mal mit mir über einen roten Teppich. Von daher wird es diesmal wohl nur Standesamt. Ich habe versprochen, dass ich ohne Kleid gehe. Ich war ja schon mal verpartnert und da habe ich eine Riesenshow gemacht.

Wann war das?

Etwa vor 15 Jahren, als das Gesetz zur Eingetragenen Partnerschaft neu war. Ich war mit einem Rumänen zusammen, der ein Studentenvisum hatte, dann aber aufhörte zu studieren. Also haben wir geheiratet. Ich hatte eine längere Schleppe als Lady Di, auf die ich Sprüche gegen das Ausländergesetz gesprüht hatte. Damit haben wir dann mit hundert Leuten ein paar Runden durchs Rathaus Schöneberg gedreht.

Dann sind Sie also schon mal geschieden.

Ja, bin ich. Und das ist bei der Eingetragenen Partnerschaft wie bei der Ehe: Heiraten ist billig, Scheidung teuer.

- Das Gespräch führten Nadine Lange und Tilmann Warnecke. Am heutigen Freitag, dem 22. April, feiert Gloria Viagra ab 21 Uhr im Kreuzberger Gretchen (Obentrautstr. 19-21) in ihren 50. Geburtstag hinein. Zwölf DJs werden auflegen, darunter viel queere Prominenz wie Ades Zabel, Black Cracker und Aerea Negrot. Außerdem findet eine Tribute Show statt und Gloria Viagra wird mit ihrer Band Squeezebox! um 22 Uhr ein Konzert geben. Am zweiten Mikro: ihre amerikanische Drag-Queen-Freundin Sherry Vine.

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