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DJ und Produzent Lotic, 28, der seit fünf Jahren in Berlin lebt.

© Elias Johansson

DJ Lotic im Porträt: Aufbauen, einreißen, aufbauen

Der Berliner DJ und Produzent J’Kerian Morgan alias Lotic bereichert die Clubwelt mit seinen unvorhersehbaren Sets. Jetzt legt er beim queeren Yo!Sissy Festival auf. Ein Treffen.

Es gibt bestimmte Erfahrungen, die machen eigentlich nur Berliner, die noch nicht so lange in der Stadt wohnen. Zum Beispiel die, dass eines Morgens fünf fremde Menschen in deiner Wohnung stehen und dir mitteilen, dass du zehn Minuten hast, um zu verschwinden. J’Kerian Morgan ist das passiert, als Untermieter. Der Hauptmieter hat zwar sein Geld kassiert, es aber nicht weitergeleitet – und auch nichts von einer drohenden Räumung erzählt. Und dann stehst du da, ohne Dach über dem Kopf, in einer Stadt, in der Wohnraum immer knapper wird.

J’Kerian Morgan, Künstlername Lotic, hat sich davon nicht schocken lassen. In Houston, Texas geboren ist er, wie er auf Englisch beim Kaffee – ohne Milch, ohne Zucker – erzählt, der erste aus seiner Familie, der studiert hat, der erste, der ins Ausland gegangen ist.

In Texas fühlte er sich nicht mehr sicher

2012 war das, damals war J’Kerian Morgan 23 Jahre alt, gerade fertig mit dem Studium: „Ich wollte nur noch weg aus den USA, egal wohin! Das Land war in der Rezession und schwarze Jungs wie ich mussten um ihr Leben fürchten“, erinnert er sich. „Es war die Zeit, als Trayvon Martin erschossen wurde. Von Berlin wusste ich so gut wie gar nichts, aber mein Freund wollte damals hierher.“

Er hat es nicht bereut: In den fünf Jahren, die seitdem vergangen sind, hat er an seiner Musik gearbeitet. Er macht als Produzent sehr eigene elektronische Musik, als DJ sorgt er für irritierende Momente – selbst für Berliner Verhältnisse. Und das will etwas heißen, schließlich sind in der Stadt viele irritierende Musiker und DJs zu Hause. Wie Lotic das macht? „Sei anders“, ist seine Devise: „Als DJ will ich, dass die Leute tanzen, aber ich will auch, dass sie nicht genau wissen, was sie als nächstes erwartet.“

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Wer sich Lotics Boiler-Room-DJ-Set im Netz anschaut, versteht, was das heißt: Es geht los mit gesampelten, zerstückelten Rapeinlagen, die an sexueller Eindeutigkeit nichts zu wünschen übriglassen. Es geht weiter mit wilden elektronischen Sounds und Beats, die normalerweise das Label „futuristisch“ übergestülpt bekommen, Techno und Hip-Hop, R’n’B, globaler Ghetto-Tech und elektronische Avantgarde vermischen sich miteinander oder lösen einander ab, so genau lässt sich das nicht sagen. Das Publikum kann sich nicht auf einen durchgehenden Beat stützen, immer wieder wird der Fluss der Musik kurz unterbrochen oder ganz gestoppt. Und auf einmal ertönen Pophits, Rihanna oder Beyoncé etwa, und weil das ganz und gar nicht ironisch gemeint ist, schauen die Leute, halten inne, um schließlich immer mehr in den Bann der Musik zu geraten.

Er studierte elektronische Musik

Das ist eine mutige Art aufzulegen, die Lotic pflegt. Was der 28-Jährige allerdings herunterspielt: „Ich habe vor allem deshalb als DJ angefangen, weil ich damit Geld verdienen konnte“, sagt er. „Dabei geht es ja eher um Geschmack als ums Können. Beim Produzieren ist es anders.“ Aufbauen, einreißen, aufbauen, einreißen, so funktioniert das bei Lotic. Meist ist er der Letzte, der an einem Abend das DJ-Pult übernimmt, denn die Veranstalter wüssten nicht, was sie mit ihm und seiner Musik anfangen sollen.

Gelernt hat Lotic das ursprünglich in Austin, Texas, beim Studium der elektronischen Musik. Vor allem die Musique concrète hatte es ihm angetan, Musik, die aus gesampelten Alltagsgeräuschen und Sounds besteht, die man auseinanderschneidet, staucht oder dehnt, verfremdet, neu arrangiert. Die Ursprünge dieser Klänge liegen schon fünfzig, sechzig Jahre zurück. Lotic aber hat sie ins Jetzt geholt – und ins Hier, nach Berlin.

Schnell wurde Lotic Teil der queeren Clubszene

Die Stadt zieht immer noch Musikerinnen, Musiker und DJs aus aller Welt an. Das hat mit den vergleichsweise moderaten Lebenshaltungskosten zu tun, aber auch mit den vielen Clubs, die Raum bieten, um sich auszutoben, in denen sich Nischen auftun: „Ich kam hierher, als sich gerade – ziemlich schnell – eine queere Szene entwickelte, die es so, glaube ich, vorher nicht gab. Ich weiß nicht, ob ich Teil dieser Szene bin, dieses lokale Denken ist einfach nicht so meins.“ Trotzdem, erzählt er, kämen immer wieder Menschen zu ihm, die sich bedankten. Dafür, dass er mit seiner Kunst Berlin auf die Landkarte setze, dass er Werbung für die Stadt mache: „Das ist zwar sehr süß, aber gar nicht meine Absicht. Ich bin nicht der ‚local queer artist’.“

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„Erwerbstätigkeit gestattet“ steht im Pass von Lotic. Es gibt Monate, da läuft es mit der „Erwerbstätigkeit“ auch sehr gut, im Juli etwa hat er sieben Auftritte als DJ. Einer davon ist diesen Samstag beim Yo! Sissy Festival, das zum dritten Mal stattfindet und bei dem auch Mary Ocher, Planningtorock, Gurr und viele andere auftreten.

In anderen Monaten sieht es mau aus für Lotic. Dann produziert er Musik, zum Beispiel Klänge für sein zweites Tanzstück. Hat diese Musik ein queeres Element? „Muss sie ja“, sagt Lotic, „sie hört sich so an, wie sie sich anhört, weil ich bin, wer ich bin: eine schwarze Person, eine ‚femme’ Person, eine queere Person. Die Frage ist nur, ob das jemand heraushört.“ Wenn Lotic auflegt, dann sind natürlich auch andere Zeichen zu sehen, sein Make-up, sein Nagellack, sein enges, bauchfreies Top, seine einzigartige Art zu tanzen. Ob die, die nur seine produzierten Tracks kennen – „mostly straight white dudes“ –, Titel wie „Slave“ oder „Heterocetera“ decodieren können, bezweifelt er.

So entsteht ein kleines Dilemma: Als DJ bekommt Lotic das direkte Feedback, das ihm viel bedeutet, aber nicht so viel mit der eigenen Musik zu tun hat. Und die selbst produzierten Tracks werden konsumiert, ohne dass jemand mitbekommt, dass er hier „sein Innerstes“ hineingepackt hat. Einen Ausweg gibt es natürlich: J’Kerian Morgan muss als Musiker bekannter werden. Die Phase, da er sich im Berliner Clubleben, im Berghain oder im SchwuZ, verloren hat, ist für ihn ohnehin vorbei, relativ schnell hat er sich entschlossen, das Projekt Lotic ernst zu nehmen, mit Plattenlabel und Agent.

Gerade läuft es gut für ihn, eine neue Wohnung hat er auch

Und dann ist da auch noch die Familie: In den USA leben Lotics Mutter und Schwester. Die Mutter tat sich schwer: „Schwarze sind nicht homophober als Weiße, aber sie haben ein Problem mit der Homosexualität von anderen Schwarzen, vor allem schwarzen Männern. Schwul zu sein, wird oft als ‚failure of blackness’ gesehen, als Scheitern. Man bekommt dann Bibelzitate an den Kopf geworfen“, sagt Lotic. Seine Mutter habe das jedoch kurz getan, sie habe vor allem Angst gehabt, dass die Welt ihm das Leben schwer macht.

Zumindest im Augenblick macht es die Welt J’Kerian Morgan nicht schwer. Es läuft. Und für seine neue Wohnung in der Nähe des Spittelmarkt hat er einen regulären Mietvertrag. Da stehen so schnell keine fremden Männer mehr im Wohnzimmer.

Yo!Sissy Festival: Festsaal Kreuzberg, 28./29.7., ab 20 Uhr

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