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Justizsenator Dirk Behrendt (links) und der Bundestagsabgeordnete Volker Beck (beide Grüne).

© Mile Wolff/Tsp

Dirk Behrendt und Volker Beck im Interview: "Hetze im Netz muss Folgen haben"

Eine Partei, zwei Politiker-Generationen: Ein Gespräch mit den Grünen Volker Beck und Dirk Behrendt über Morddrohungen, Political Correctness und vermeintliche schwul-lesbische Klientelpolitik.

Herr Behrendt, wollen Sie nach Volker Beck das schwule Aushängeschild der Grünen werden?

BEHRENDT: Das wäre wohl etwas vermessen, vor allem nach dem, was dank Volker Beck für LSBTI alles erreicht worden ist. Ich habe mir aber vorgenommen, das Thema Antidiskriminierung voranzutreiben und Berlin als Regenbogenhauptstadt weiterzuentwickeln.

Herr Beck, was würden Sie Ihrem Parteifreund raten?

BECK:  Ein Rat wäre von mir wäre ebenfalls vermessen. Wichtig ist, dass man das Thema gleiche Rechte und Respekt für Lesben, Schwule, Trans* und Intersexuelle nicht isoliert thematisiert. Es muss klar sein: Es geht um unser Menschenbild , um die Gleichheit der Verschiedenen. Man muss das verzahnen mit den Anliegen von Migranten, Flüchtlingen, Juden, Muslimen und Atheisten. Im Kern geht es um Respekt: Sind wir alle gleich an Würde und Rechten? Wenn man das so formuliert, dann ist es ein gesamtgesellschaftliches Thema und nicht mehr nur Interessenspolitik einer Minderheit.

War es dann klug, als erste Amtshandlung gleich mit dem Thema Unisex-Toiletten zu kommen?

BEHRENDT: Das war keine bewusste Themensetzung. Nach einem Parlamentsbeschluss von vor zwei Jahren wurde regelmäßig von der damals zuständigen Senatsverwaltung über den Stand der Dinge berichtet. Zum 31. Dezember war dem Abgeordnetenhaus der nächste Bericht zugesagt – und als fleißiger Senator halte ich mich natürlich daran. Das wurde dann von manchen als Prioritätensetzung gewertet. Aber so war es nicht gemeint. Für die Initiative Sexuelle Vielfalt, die von mir zeitgleich eingebracht wurde, interessierte sich medial dagegen keiner, obwohl es da konkret gegen Gewalt und Diskriminierung und um internationale Zusammenarbeit und Dialog geht.

In der Unisex-Debatte wurde Ihnen vorgeworfen, sie als schwuler Senator machten Klientelpolitik.

BEHRENDT: Um es mal ganz deutlich zu sagen: Unisex-Toiletten sind nicht für schwule Männer gedacht, sondern für Menschen, die sich in ihrer Geschlechtsidentität nicht zuordnen lassen wollen. Ich setzte mich zudem als Nicht-Frau oder Nicht-Migrant ja auch für deren Gleichstellung ein. Das nennt sich Antidiskriminierungspolitik.

Ihr Tipp, Herr Beck, welche Prioritäten der Herr Senator setzen sollte?

BECK: Wichtig ist auf Bundesebene zu beobachten, was dort weiter versäumt wird und Impulse zu geben. Ein vernachlässigtes Thema ist beispielsweise das Transsexuellengesetz, zugegeben ist das kein massenwirksames. Aber es geht um Respekt vor der Geschlechtsidentität. Über diese können nur die Menschen selbst und nicht irgendwelche Gutachter oder Behörden Auskunft geben. Das Gesetz liegt in Trümmern, das Bundesverfassungsgericht hat zahlreiche Bestimmungen aufgehoben, aber der Gesetzgeber hat noch nicht reagiert.

BEHRENDT: Wir haben in der Koalition vereinbart, die Interessen Berlins gegenüber dem Bund stärker zu vertreten. Da spielen LSBTI-Themen eine wichtige Rolle. Mit Rot-Rot-Grün ist beispielsweise die CDU-Blockade bei der Ehe für alle beendet. Das war wirklich peinlich für die Regenbogenhauptstadt Berlin und zeigt, wie lebensweltfern die CDU in Berlin agiert. Ähnlich war es bei der Rehabilitierung von Männern, die nach Paragraf 175 verurteilt wurden. Bei der Initiative hatte Berlin mit der CDU plötzlich kalte Füße bekommen. Aber nun sind wir wieder mit dabei.

Ein wichtiges Thema sind Übergriffe auf Homo- und Transsexuelle: Was unternehmen Sie als Justizsenator dagegen?

BEHRENDT: Dass Händchen haltende Männer im liberalen Berlin angegriffen werden, geht gar nicht. Ich werde mich dafür einsetzen, dass solche Übergriffe stärker dokumentiert werden, um Gegenstrategien zu entwickeln. Ein Schwerpunkt wird im Rahmen der Initiative sexuelle Vielfalt auch der gesamte Bildungsbereich sein. In den Schulen soll Homophobie thematisiert werden, damit sich Vorurteile erst gar nicht verfestigen. Und dann sind da noch Polizei und Staatsanwaltschaft - wobei Berlin an dem Punkt gut aufgestellt ist. Beide haben Ansprechpartner für LSBTI, beide wirken nach außen, aber auch in die Verwaltungen hinein, bieten Fortbildungen an, erhöhen die Sensibilität. Trotzdem haben wir noch genug zu tun. Beispielsweise sind besonders Frauen sehr zurückhaltend mit Strafanzeigen.

Stichwort Hasskriminalität im Netz: Sie, Herr Beck,  erstatten ja recht häufig Anzeige. Bringt das was?

BECK: Früher hat man noch Beleidigungen angezeigt, heute komme ich kaum hinterher bei Morddrohungen oder Aussagen, die zumindest semantisch dem sehr nahe kommen. Dennoch: Vor zehn Jahren mag es richtig gewesen zu sein, die Kapazitäten vor allem auf die Verfolgung von Kapitalverbrechen zu konzentrieren und Verfahren wegen einer „läppischen“ Volksverhetzung auch mal einzustellen. Doch das ist heute anders: Solche Äußerungen im Netz sind der Brandbeschleuniger für Gewalttaten. Das sehen wir bei den brennenden Flüchtlingsheimen: Dem ist vorausgegangen, dass man sich im Netz hochgeschaukelt hat. Erst wird es sagbar und denkbar, dann folgen die Taten. Deshalb ist es frustrierend, dass ich zwar jedes Jahr einen Aktenordner voller Strafanzeigen stelle, aber die meisten Staatsanwaltschaften sich bei der Identitätsfeststellung nicht einmal die Mühe machen, die Profile in sozialen Netzwerken zu überprüfen oder Namen zu googeln.

Jetzt wäre Gelegenheit, Herr Justizsenator, ihrem Parteifreund was zu versprechen.

BEHRENDT: Ich gebe Volker Beck vollkommen recht. Die ordnende Funktion des Strafrechts scheint da nicht immer zu funktionieren. Es gibt aber auch Verurteilungen, die nicht bekannt werden. Ich spreche darüber auch mit der Staatsanwaltschaft, dass sie beispielsweise über Verurteilungen und Sanktionen stärker berichtet. Die Menschen sollen merken: Hetze im Netz bleibt nicht folgenlos. Das ist auch ein wichtiges Signal an die Opfer. An der einen oder anderen Stelle müssen wir aber auch strenger verfolgen. Bislang ist es so, dass ein Verfahren eingestellt wird, sobald jemand behauptet, sein Account sei gehackt worden. Ich bin aber dafür, dass die Staatsanwaltschaft in solchen Fällen trotzdem Anklage erhebt. Dann soll derjenige mal vor Gericht erklären, dass da angeblich sein Account gehackt wurde und wie es kommt, dass danach trotzdem persönliche Nachrichten gesendet wurden. Ich denke, dass sich manches dann schnell als Schutzbehauptung herausstellen wird.

Würden Sie die Staatsanwaltschaft auch personell verstärken wollen?

BEHRENDT: Das ist eine Frage der Prioritätensetzung. Wir haben ja immer noch den Irrsinn, dass gegen alle Geflüchteten, wegen illegalen Grenzübertritts ermittelt werden muss. Die Verfahren werden aber alle mit Blick auf die Genfer Flüchtlingskonvention wieder eingestellt. Diese Ressourcen der Berliner Staatsanwaltschaft würde ich lieber bei Straftaten auf Facebook einsetzen.

"Keine Koalition ohne die Ehe für alle"

Dirk Behrendt (links) und Volker Beck von den Grünen.
Dirk Behrendt (links) und Volker Beck von den Grünen.

© Mike Wolff/Tsp

Wie sieht es aus mit der sexuellen Aufklärung an Schulen? In anderen Ländern macht die AfD mobil dagegen.

BEHRENDT: Wenn ich mir Baden-Württemberg so anschaue, dann macht nicht nur AfD Front gegen einen zeitgemäßen Sexualkundeunterricht, sondern es mobilisieren auch die Kirchen und in Teilen die CDU. Da sind wir in Berlin zum Glück in einer anderen Situation: Die Kirchen hier sind zwar nicht begeistert, halten aber die Füße still, wenn wir über Lehrinhalte diskutieren. Die katholische Kirche hat ja auch relativ wenig Erfahrung mit Sexualität, weshalb sie sich in Berlin besser zurückhält. Was konkret geplant ist, ist zunächst Sache der Jugend- und Schulverwaltung. Wir stehen aber mit unserer Landesantidiskriminierungsstelle mit Rat und Tat zur Seite, um zum Beispiel Lehrer und Lehrinnen für Mobbing gegen junge LSBTI zu sensibilisieren. Dann geht es aber auch um Lehrinhalte, und nicht nur in Sexualkunde: Wird da ein Ehemann-Frau-Kind-Familienbild vermittelt oder tauchen da auch mal gleichgeschlechtliche Paare auf. Das ist ja schon Alltag in Berlin, zumindest im Innenstadtbereich.

Und außerhalb des S-Bahnrings? Wie wollen sie da die Gesellschaft mitnehmen?

BEHRENDT: Die Schulangebote sind für ganz Berlin. Überall wohnen homosexuelle Paare mit Kindern, die sie in die Kita und auf die Schule schicken. Aber klar, unsere Emanzipation hat in den Innenstädten angefangen, in New York in der Christopher Street und nicht in Maine in der Provinz. Insofern gibt es an verschiedenen Orten unterschiedliche Akzeptanz und Sichtbarkeit.

BECK: Man muss klarstellen: worum es geht. Es geht um Respekt vor sexueller Vielfalt, nicht um Sexualerziehung in einem sehr frühem Alter. Ein Beispiel: Es gibt ein ganz altes Kinderbuch aus Dänemark: „Jenny lives with Eric and Martin“. Es erzählt die Geschichte von einem kleinen Mädchen, das bei seinem schwulen Vater und dessen Partner lebt und von seiner Mutter am Wochenende besucht wird. Nirgendwo kommt da Sexualität vor. Aber es wird die Normalität einer Regenbogenfamilie dargestellt – und klargemacht, dass Familien unterschiedlich sind und dass das nicht Angst machen muss. So ein Buch kann man auch im Kindergarten und in der Grundschule einsetzen.

Nun scheint der Respekt für Minderheiten gesamtgesellschaftlich derzeit eher zurückzugehen. Mit dem Aufkommen des Rechtspopulismus stehen Minderheitenrechte wieder unter Druck. Was kann man gegen diesen Backlash tun?

BECK: Differenzieren und aufklären. Rechtspopulismus will pauschalisieren, Menschen in Gruppen zusammentreiben und diese mit Eigenschaften abwertend belegen. Da hilft es nur, selber Pauschalisierungen nicht mitzumachen. Wir müssen schauen: Mit welchen Bildern und Zuschreibungen arbeiten die - und diese Zuschreibungen mit richtigen und differenzierenden Beschreibungen der Realität zertrümmern. Das ist zugegebenermaßen zäh und langwierig. Wir haben da übrigens nicht nur ein Problem mit deutschem Rechtspopulismus, sondern auch mit Islamismus und türkischem Nationalismus. AfD und AKP sind da Brüder im Geiste. Auch Islamismus ist  nur eine andere Form des Rechtspopulismus. Das hören beide Seiten natürlich nicht gerne.

BEHRENDT: Was vor zehn Jahren richtig war, ist nicht plötzlich falsch, nur weil die AfD dagegen ist. Es wäre falsch, den Rechtspopulisten nach dem Munde zu reden und jetzt zu sinnieren, ob wir es mit der Gleichstellungspolitik übertrieben hätten.

Trotzdem: Selbst innerhalb der Grünen steht die vermeintlich linke „Political Correctness“ in der Kritik. Schleswig-Holsteins Vizeministerpräsident Robert Habeck, der die Spitzenkandidatur bei den Grünen nur knapp verpasste, hat zum Beispiel gesagt, man dürfe es damit nicht übertreiben. Hat er doch recht?

BECK: Robert Habeck, Boris Palmer, Winfried Kretschmann – die drei zeichnen selber eine Karikatur nach, die andere von uns zeichnen. Political Correctness war ursprünglich eine selbstironische Bezeichnung von Menschen, die über eine inklusive Sprache nachgedacht haben. Das war nie als Sprachpolizei gemeint, mehr als Knigge: „Wenn sie nicht wissen, wie sie mit einer bestimmten Situation umgehen – wir haben da einen Vorschlag wie Sie Respekt ausdrücken können.“ Aber nicht nach dem Motto: Wenn du nicht genau dieses Wort verwendest, verhältst du dich falsch und es gibt Sanktionen. Dieses autoritäre Bild einer Sprachpolizei versucht die Rechte aber zu erzeugen. Ich finde es nicht klug, wenn liberale, grüne oder linke Politiker diese Sichtweise übernehmen und diese in ihrer Distanzierung davon scheinbar bestätigten. 

Eine jüngst veröffentlichte Umfrage zur Einstellung der Deutschen zu Homosexualität zeigt ein gemischtes Bild. Die große Mehrheit will zwar die Eheöffnung. Sobald Homosexualität aber dem eigenen Leben näher kommt, nimmt die Akzeptanz ab. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?

BECK: Es ist ein Befund mit einer großen Chance. Die Leute sagen: Wir sind für Gleichstellung und die Ehe für alle, wir wollen Respekt für sexuelle Vielfalt an Schulen. Nur wir selber haben individuell noch Fremdheitsgefühle, Unsicherheiten und Ängste. Das ist ein Schrei nach Aufklärung. Also sollte die Politik mit der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen. Wir müssen ein Klima erzeugen, bei dem klar ist: Da darf man auch einfach mal darauf los fragen. Es gibt keine dummen und  unzulässigen Fragen. Es gibt höchstens mal dumme und unbeholfene Antworten.

Winfried Kretschmann hat vor einigen Monaten eine Lanze für die klassische Ehe gebrochen. Die grünen Spitzenkandidaten wirken seltsam unentschlossen beim Thema Homo-Ehe, so hat Cem Özdemir dazu gesagt, die „reine Lehre“ lasse sich nie in einer Koalition umsetzen. Ist den Grünen die Eheöffnung für gleichgeschlechtliche Paare überhaupt noch wichtig?

BEHRENDT: Ohne Ehe für alle wird es keine Koalition auf Bundesebene im Herbst geben.

So deutlich hat man das von Özdemir und seiner Mit-Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt nicht gehört.

BECK: Das stimmt, aber wir haben noch einen Parteitag vor uns und sollten deutlich machen, dass diese Frage der Gleichheit einen großen Stellenwert hat. Das steht nicht im Widerspruch zu Kretschmanns Lob der klassischen Ehe.

Nach der Wahl werden die Karten noch einmal neu gemischt. Einer der fehlen wird, werden Sie sein, Herr Beck. Bei den vergangenen Wahlen waren Sie Spitzenkandidat der NRW-Grünen. Nun wurde Ihnen ein sicherer Listenplatz verwehrt. Wie erklären Sie sich die Abstrafung durch Ihre Partei?

BECK: Die Mandate gehören nicht der Person, auch wenn sie gerne die Arbeit fortsetzen würde, sondern der Partei. Die Partei hat mir 23 Jahre die Chance gegeben, meine Arbeit im Parlament zu machen. Dafür bin ich ihr dankbar. Nun hat die Partei entschieden, dass andere Leute die Arbeit machen sollen. Das ist ihr gutes Recht, das ist Demokratie. Um die Lesben- und Schwulenpolitik mache ich mir wirklich die geringsten Sorgen. Da hat die Arbeit der letzten zwanzig Jahre Platz für ganz viele gemacht.

BEHRENDT: Volker wird uns fehlen, aber sein Ausscheiden aus dem Bundestag ist nicht das Ende der grünen Lesben- und Schwulenpolitik.

BECK: Und meines auch nicht.

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